Читать книгу Wasserstandsmeldung - Wilhelm Gruber - Страница 7

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Ende der Visite, die weiße Karawane löst sich auf. Schwester Gerda, die Letzte in der Reihe, nimmt Dr. Patolak, den Vorletzten, zur Seite:

„Auf Zimmer 14 möchte Frau Dr. Buchholz noch mit Ihnen sprechen.“

„Mit mir? Nicht mit der Oberärztin oder dem Chefarzt? Es waren doch beide da.“

„Nein, mit Ihnen. Als ich die Tür zumachte, hat sie gefragt, ob sie Ihren Namen richtig verstanden hat. Ich habe ihn wiederholt: Dr. David Patolak und dazu gesagt, dass Sie der Stationsarzt sind. Die alte Dame hat Sie während der ganzen Visite nicht aus den Augen gelassen.“

David Patolak blickt auf den Bettenplan. „Dr. Gerlind Buchholz?“ Er zuckt mit den Schultern. „Was kann ich ihr schon sagen? Seh’ sie heute zum ersten Mal, ich kenn’ die Akte nicht; bin gerade aus dem Urlaub zurück.“

„Frau Buchholz ist ’ne ganz Patente, es geht nicht um ihre Krankheit, glaube ich. Vielleicht stellen Sie sich mal eben als Stationsarzt vor. Zimmer 14!“

„Mach ich, am besten sofort.“

‚Nicht um ihre Krankheit?‘, denkt er. ‚Um was denn sonst? Hier muss man sich so viele Lebensgeschichten anhören, hoffentlich nicht schon wieder; das ist nichts für mich.‘ Er klopft an die Tür.

„Frau Dr. Buchholz, Sie hatten nach mir gefragt?“

„Freut mich, dass Sie sich noch eben Zeit für mich nehmen. Lassen Sie den Doktor gern weg. Ich sag’ dann auch gleich ‚Herr Patolak’ zu Ihnen.“

„Was für einen Doktor haben Sie, Frau Buchholz?“

„Dr. med. vet.“

„Ah, Tierärztin. Ich bin zum Glück noch nicht auf den Hund gekommen, sonst könnte ich Sie konsultieren. Um was geht es, Frau Buchholz?“

„Nichts Medizinisches. Ich falle einfach mit der Tür ins Haus: Kennen Sie einen Ernst Patolak?“

„Ernst Patolak? So heißt mein Großvater.“

„Beinahe hätte ich es raten können, Sie sind ihm wie aus dem Gesicht geschnitten.“

„Da muss was dran sein. Hab’ ich schon mal gehört. Woher kennen Sie ihn?“

„Wir sind ein Jahrgang, zusammen zur Schule gegangen.“

„Und? Haben Sie ihn in guter Erinnerung?“

Frau Buchholz fährt das Kopfende des Bettes hoch. Über ihr Gesicht geht ein Lächeln. „Ernst und ich haben gemeinsam einen verletzten Fuchs gesundgepflegt. Niemand durfte es wissen. Das war vielleicht der Grund, warum ich Tierärztin werden wollte.“

Dr. Patolak bemüht sich, seine Überraschung zu verbergen. „Sie sind Linda?“, fragt er.

„Ja, Linda!“ Frau Buchholz jubiliert, als wolle sie aus dem Bett springen. „Linda, so hat man mich in der Schule genannt, weil es noch eine Gerlind in der Klasse gab. Woher wissen Sie das?“

„Man pflegt doch keinen Fuchs gesund und dazu heimlich, ohne seinem Enkel davon zu erzählen. Die Geschichte habe ich als Kind so geliebt, dass ich sie immer wieder hören wollte.“

„Lebt Ernst noch?“

Dr. Patolak nickt. „Soll ich ihm Grüße bestellen?“

Sie zögert. „Ich weiß nicht. Wir sind damals weggezogen. Ich war gern in Papenburg, fühlte mich wohl dort, ein schmerzlicher Abschied. Wir haben uns nie wiedergesehen und nichts mehr voneinander gehört. Eigentlich hatte er versprochen, mir zu schreiben.“

„Nachtragend, Frau Buchholz? Nach so langer Zeit? Einem Kerl wie Ernst kann man doch nicht böse sein.“ Dr. Patolak sieht auf die Uhr. „Ich hab’ im Moment viel zu tun, Sie verstehen? Bin gerade erst aus dem Urlaub zurück, da ist einiges liegengeblieben, aber ich komm’ wieder“, verspricht er, schon mit der Türklinke in der Hand.

‚Linda‘, denkt er auf dem Flur, ‚dass ich die hier kennenlerne. Naja, vielleicht wird sie ja bald entlassen.‘

Schwester Gerda kommt ihm entgegen. Sie würde gern wissen, was Frau Buchholz auf dem Herzen hatte, er sieht es ihr an, aber er zieht schnell sein Handy aus der Kitteltasche.

„Ja, ich komme!“ Er legt einen Schritt zu und drückt den Knopf zum Aufzug.

Wasserstandsmeldung

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