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3 Das afrikanische Flachrelief

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Lysander saß in Dr. Bensimons Sprechzimmer und sah sich um, während der Arzt seine Personalien in ein Patientenverzeichnis eintrug. Das Zimmer war geräumig, mit drei Fenstern auf einer Seite, schlicht möbliert und fast ausschließlich in Weißtönen gehalten. Weiß gestrichene Wände, weiße Wollgardinen, auf dem hellen Parkett lag ein weißer Teppich und über dem Kamin hing ein primitives Flachrelief aus gehämmertem Silber. In einer Ecke stand Dr. Bensimons Mahagonischreibtisch, dahinter verglaste Bücherregale, die bis zur Decke reichten. Neben dem Kamin befand sich auf einer Seite ein Sessel mit hoher Lehne und einem cremeweißen Überwurf aus grobem Leinen, auf der anderen ein Diwan mit einer dicken gefransten Wolldecke und zwei bestickten Kissen. Beide Möbel standen mit dem Rücken zum Schreibtisch, sodass Lysander, der den Sessel gewählt hatte, sich schier den Nacken verrenken musste, wollte er Dr. Bensimon sehen. Im Zimmer war es sehr still – wegen der Doppelfenster –, und Lysander hörte nicht das Geringste vom Straßenlärm, der unten herrschte – weder das Rattern der Tram noch das Klappern der Kutschen und Pferdewagen oder irgendwelche Automobile. Die Ruhe war vollkommen.

Lysander betrachtete das silberne Flachrelief. Afrikanische Fabelwesen, halb Mensch, halb Tier, mit bizarrem Kopfputz, filigrane Muster aus winzigen Löchern, in das weiche Silber getrieben. Es war kurios und wunderschön – und wimmelte bestimmt von einschlägiger Symbolik, dachte Lysander.

»Mr L.U. Rief«, sagte Bensimon. Es war so still, dass Lysander den Füller kratzen hörte. Der Stimme war ein leichter Akzent anzuhören, vielleicht aus Nordengland, dachte Lysander, Yorkshire oder Lancashire, aber so verschliffen, dass man ihn nicht genau zuordnen konnte. Mit Akzenten kannte Lysander sich aus, was ihn stolz machte – zum Entschlüsseln benötigte er in der Regel keine zwei Minuten.

»Wofür stehen die Initialen?«

»Lysander Ulrich Rief.«

»Ein großartiger Name.«

Manchester, dachte Lysander – dieser typische a-Laut.

»Rief – ist das schottisch?«

»Altenglisch. Angeblich heißt das ›gründlich‹. Ich habe allerdings auch gehört, es sei ein angelsächsischer Dialektausdruck für ›Wolf‹. Ziemlich verwirrend.«

»Ein gründlicher Wolf. Von wölfischer Gründlichkeit. Und was hat es mit ›Ulrich‹ auf sich? Sie sind teils deutscher Abstammung?«

»Meine Mutter ist Österreicherin.«

»Aus Wien?«

»Linz, um genau zu sein. Ursprünglich.«

»Geburtsdatum?«

»Meins?«

»Das Alter Ihrer Mutter dürfte wohl kaum eine Rolle spielen.«

»Verzeihen Sie. 7. März 1886.«

Wieder verdrehte Lysander den Kopf. Bensimon saß bequem zurückgelehnt, er lächelte, die Hände hinter der glänzenden Glatze verschränkt.

»Sie müssen sich nicht ständig umdrehen. Stellen Sie sich einfach vor, ich sei nichts weiter als eine Stimme.«

Eine große Zeit

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