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Das Regierungsjubiläum Wilhelms II.
ОглавлениеWährend die Balkankrise die europäische Diplomatie in Atem hielt, bereitete sich Berlin auf zwei Großereignisse des Jahres 1913 vor: die Hochzeit von Prinzessin Viktoria Luise von Preußen mit Herzog Ernst August von Hannover am 24. Mai sowie die Feierlichkeiten zum 25-jährigen Thronjubiläum Wilhelms II., welche anschließend im Juni begannen.
Zur Hochzeit reisten sowohl der russische Zar Nikolaus II. als auch der britische König George V. an und waren beim Kaiser zu Gast, neben ungezählten anderen, gekrönten und ungekrönten Häuptern aus ganz Europa, was allgemein als deutliches Zeichen des Friedenswillen und der Entspannung der internationalen Situation angesehen wurde, denn man ging davon aus, dass sich darin die Haltung der politischen Kabinette widerspiegelte.
Inspiriert durch die viertägigen Feierlichkeiten zum Thronjubiläum des als Friedenskaiser gefeierten Wilhelm II. schrieb der damals 15-jährige Bertolt Brecht folgende Verse in sein Tagebuch:
Und wenn am Abend wir sinken
u. sterben den Heldentod,
dann soll uns tröstend winken
die Fahne schwarz-weiß-rot.
...
Der Wind soll in ihr singen:
Du hast deine Pflicht getan!
Du starbst im Kampf u. Ringen
als treuer, deutscher Mann.184
Hatte der junge Brecht im Gegensatz zu vielen Zeitgenossen Vorahnungen?
Am 13. Juni nahm Wilhelm II. auf der Döberitzer Heerstraße in Berlin die Parade der Wagen ab, welche der Kaiserliche Automobilclub zu Ehren seines Thronjubiläums organisiert hatte.185
Ludwig Geiger, Herausgeber der Allgemeinen Zeitung des Judentums, hob am 13. Juni auf der Titelseite die 25 Regierungsjahre des Kaisers als eine Zeit gesegneten Friedens hervor, stellte ihn als leuchtendes Beispiel unermüdlicher Tätigkeit hin, etwa für die Sozialreform sowie den nationalen Arbeiterschutz. Es sei des Kaisers fester Wille, »daß die Gesetzgebung auf dem Gebiete der sozialpolitischen Fürsorge nicht ruhe und auf den Schutz und das Wohl der Schwachen und Bedürftigen fortgesetzt bedacht sei«. Geiger lobte zudem die Reden Wilhelms II., die »von einem ungeheuren Schwung, oft von einer elementaren Kraft« seien, doch führe das heißblütige Temperament des Kaisers »gelegentlich auch zu Entgleisungen und Ausschreitungen«186. In einem kurzen Rückblick konstatierte er, dass Preußen und Deutschland eine führende Rolle in der Welt spiele, »zwar viel beneidet und angefeindet, nicht überall geliebt, vielleicht auch manchmal befehdet und zurückgedrängt« werde, aber »im allgemeinen mit Stolz auf die Vergangenheit sehen und mit Ruhe, wenn sich auch in sie gelegentlich Bangigkeit einmischt, der Zukunft entgegensehen« könne.187
Reichstagspräsident Johannes Kaempf betonte in seiner Festrede hingegen die ernste Lage, drückte aber dennoch das felsenfeste Vertrauen aus, »daß der Kaiser das bleiben wird, was er war und was er ist: der Friedensfürst, der das Kriegsschwert nur ziehen würde, wenn es gälte, die Lebensbedingungen des deutschen Volkes zu verteidigen«188.
Von US-Präsident Wilson lag ein Gratulationstelegramm vor: »In der aufrichtigen Hoffnung, daß eine lange Dauer Eurer Majestät segensreicher, friedlicher Regierung dem großen deutschen Volke wachsenden Segen bringen möge, bringe ich Euer Majestät die herzlichsten Glückwünsche der Regierung und des Volkes zum 25jährigen Tage von Euer Thronbesteigung dar.«189
In der Ergebenheitsadresse der englischen Kirchen betonte Bischof Boyd Carpenter den außergewöhnlichen Fortschritt in der materiellen, moralischen und intellektuellen Wohlfahrt des deutschen und seines eigenen Volkes, um dann festzustellen: »Ein solcher Fortschritt ist nur möglich, wenn die Völker frei sind von den Besorgnissen und Störungen des Krieges, und wir erkennen es mit Dankbarkeit an, daß die Erhaltung des europäischen Friedens nächst Gott in nicht geringem Maße auf den früh gebildeten und unermüdlich festgehaltenen Entschluß Eurer Majestät zurückzuführen ist, die Segnungen des Friedens zu fördern und zu erhalten«.190 Das sollte sich jedoch noch als äußerst schwierig erweisen.
Frappierende Ähnlichkeit: der russische Zar Nikolaus II. (li.) und sein Vetter, König George V. von England, 1913 in Berlin anlässlich des Regierungsjubiläums Wilhelms II., ebenfalls ein Cousin (© Abb. 12)