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Dritter Balkankrieg

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Am 29. Juni 1913 griffen bulgarische Truppen gleichzeitig Griechenland und Serbien an. Rumänien und die Türkei sprangen ihnen bei. Während die Rumänen fast kampflos auf Sofia marschierten, eroberten die Türken Adrianopel zurück. Nun sahen sich die Bulgaren von vier feindlichen Mächten umringt und konnten nur noch um Frieden bitten. Der slawische Bruderkrieg forderte große Opfer, und Bulgarien büßte etwa 6000 Quadratkilometer ein.

Im Vertrag von Bukarest vom 10. August 1913 erhielt Griechenland den größten Teil Makedoniens, das sogenannte Ägäis-Makedonien, während Serbien Vardar-Makedonien, das heutige Mazedonien, zugeschlagen bekam. Dagegen ging der Süden der Dobrudscha an Rumänien und Ostthrakien mit Adrianopel zurück an das Osmanische Reich. Diese Verschiebungen hatten ca. 60 500 Soldaten (18 500 Serben, 2500 Griechen, 1500 Rumänen, 20 000 Türken und 18 000 Bulgaren)191 das Leben gekostet. Noch heute zeigt der damalige Kriegseintritt Rumäniens Nachwirkungen bei den Bulgaren, die gegenseitigen Animositäten sind auch nach hundert Jahren deutlich zu spüren.

Auch Russland muss als Verlierer gesehen werden, denn der unter seinem Patronat so mühselig zustande gekommene Balkanbund war geplatzt. Warum hatte es die Chance, es auf einen europäischen Konflikt ankommen zu lassen und zusammen mit den erfolgreichen Serben dem Panslawismus zum Sieg zu verhelfen, nicht genutzt? Eine mögliche Antwort kommt aus der deutschen Botschaft in St. Petersburg. An deren Spitze stand bis zum Kriegsausbruch 1915 Graf Friedrich Pourtalès. Seit den Unruhen von 1905 weitete sich in Russland der Graben zwischen Regierung und Gesellschaft beständig. Die Gegner des Zarenregimes setzten »all ihre Hoffnungen auf einen auswärtigen Zusammenstoß«, so wurde aus dem deutschen Konsulat berichtet.192 Unter einer scheinbaren äußerlichen Ruhe und Ordnung brodele es unterirdisch weiter, während der Hass unter Bauern, Arbeitern und Intelligenz steige. Botschafter Pourtalès berichtete von einer vertraulichen Unterredung mit dem reaktionären Reichsratsmitglied Petr Nikolajewitsch Durnowo, der zu ihm im November 1913 gesagt habe: »Das einzige Mittel, die Duma wirklich herunterzudrücken, ist ein Krieg!«193

Nach Lageanalyse des Botschaftsrats Hellmuth Lucius von Stoedten gab es zu diesem Zeitpunkt »keinem Zweifel, daß beim Ausbruch eines Krieges die Revolution sofort, und zwar in anderem Umfang als 1905, ausbrechen würde«194 und, so folgerte Lucius, dass es »daher jedes Kabinett vermeiden (werde), durch eine zu Konflikten führende äußere Politik den Umstürzlern die erhoffte günstige Gelegenheit zum Hervortreten zu geben«195.

Das russische Revolutionspotenzial schätzte Kaiser Wilhelm II. wohl ähnlich ein. Gegenüber dem österreichischen Außenminister Graf Berchtold äußerte er Ende 1913, dass man weiterhin mit einer Revolution rechnen müsse, was für die Mittelmächte von großem Vorteil sei.196

Auch das Verhältnis zwischen Albanien und Serbien war nicht unbelastet. Ende September 1913 belagerten 6000 aufständische Albaner die serbische Stadt Dibra. Angesichts der Vorgänge fühlte sich Serbien gezwungen, entschlossen zu handeln, und berief drei Reservejahrgänge ein. Der russische Geschäftsträger in Belgrad Strandmann meldete am 25. September an das Außenministerium in St. Petersburg, dass Serbien »das Verhalten Österreichs in dieser Frage vollkommen gleichgültig sei, da die Nachbarmonarchie jetzt keine aktiven Schritte unternehmen werde; wenn überdies sehr viele geeignete Gelegenheiten seitens Österreichs unausgenutzt geblieben sind, so schreibt dies die serbische Regierung auch der gemäßigten Haltung Deutschlands zu«197. Weiter kam Strandmann zu dem Schluss, dass die serbische Regierung die Lage in Albanien dazu benützen würde, um »1. eine Grenzberichtigung zu erlangen und 2. in dem neuen Nachbarstaate eine zu Serbien freundschaftliche stehende und nicht dem Einfluß Österreichs unterliegende Regierung zu schaffen.«198

In einem Geheimtelegramm nach London mit Abschriften nach Paris, Konstantinopel, Sofia, Athen und Cetinje, der alten Hauptstadt Montenegros, erkannte das russische Außenministerium das Recht Serbiens an, energische Mittel gegen die Albaner zu ergreifen, welche die Grenze verletzten und Unruhen erregten. Am 15. Oktober erklärte Pašić dem österreichischen Legationsrat Ritter von Storck auf die Frage, wann die auf albanischem Territorium stehenden serbischen Truppen zurückgezogen werden sollen, das »würde von der Entwicklung der Verhältnisse in Albanien abhängen. Solange den serbischen Positionen kampfbereite Arnautenbanden gegenüberstünden, werde diese Räumung nicht erfolgen«199.

Daraufhin stellte Österreich-Ungarn ein Ultimatum, dem sich die serbische Regierung zähneknirschend fügte; sie erklärte, bis Sonntag, den 26. Oktober Albanien zu räumen. Nun erging sich die serbische Presse – bis auf die offiziöse Samouprawa – in Pöbeleien gegen die österreichisch-ungarische Politik, und Pašić beschwerte sich, nun »könne er mit seinen Absichten wegen Verständigung mit der Donaumonarchie wieder von vorn anfangen«200.

Besonders wütend über das Ultimatum war der russische Gesandte in Belgrad, von Hartwig. Er befürchtete in Albanien nach Abzug der serbischen Truppen Erhebungen und Aufstände, für die dann Österreich-Ungarn verantwortlich sei.201 Für den deutschen Gesandten in Belgrad, Julius Freiherr von Griesinger, schien es nicht ausgeschlossen, »daß die Serben selbst, um die Räumung Albaniens zu verzögern, ihrerseits Putsche der albanischen Bevölkerung provozieren«202. Von diesem Verdacht wollte Griesinger die serbische Regierung ausnehmen, »aber sie kann auch hier nicht immer wie sie will – und die militärischen Einflüsse und Hemmungen können von Herrn Paschitsch nur mit großer Schwierigkeit überwunden werden, zumal sich der Thronfolger vollständig in die Hände der Militärpartei gegeben hat«203.

In Paris war der russische Außenminister Sasonow Zeuge der Missbilligung, die das österreichische Ultimatum bei der französischen Regierung und im Volk fand. Bei Präsident Poincaré, Ministerpräsident Barthou und Außenminister Pichon versuchte Sasonow Frankreichs Interesse an einer Erstarkung Serbiens zu wecken, denn »im Falle schwerer internationaler Konflikte würde dieses notgedrungen auf Seiten Frankreichs stehen, da es naturgemäß ein Feind des bedeutendsten Verbündeten Deutschland sei«204.

Mitte November nahm eine internationale Grenzkommission ihre Arbeit in der Konfliktregion auf. Am 22. November berichtete der deutsche Delegierte, Major von Laffert, an Reichskanzler Bethmann Hollweg von dem parteiischen Verhalten des französischen und russischen Delegierten. »Sie empfangen allein serbische Deputationen, reiten zur Besichtigung der neuen Grenzlinie mit serbischen Offizieren heraus und fassen jedes für Serbien ungünstige Urteil als persönliche Beleidigung auf.«205 Ihre Forderungen würden weit über die der Serben hinausgehen. Mit dichten Vorpostenketten, so die Schilderungen des Majors, sicherten die Serben ihre Grenze und verweigerten jedem Albaner die Rückkehr in sein Dorf. In der Stadt Dibra mit ihren ehemals 30 000 Einwohnern sei nur noch ein kleines serbisches Viertel bewohnt. Die Häuser seien nicht zerstört, aber bis auf das letzte ausgeplündert. Dagegen seien die Dörfer in der Umgebung von Dibra völlig niedergebrannt, dazwischen einzelne wohlbehaltene serbische Dörfer. »Die Serben haben ein großes Glück gehabt«, stellt der Major abschließend sarkastisch fest, »daß die Albaner diesen unglückseligen Aufstand unternahmen. Indem sie alle Albaner ohne Unterschied als Rebellen erklärten und jeden, ob bewaffnet oder nicht, ohne Gnade niederschossen, veranlassten sie diese ungeheure Panik, die sie mit einem Schlage von einer mißliebigen Bevölkerung von über 100.000 Menschen befreite. Mit rücksichtsloser Zielbewusstheit und ohne sich um das philantropische Wehgeschrei Europas zu kümmern, zogen sie die von ihrem Standpunkt aus einzig richtige Konsequenz.«206

Während die Arbeit der Kommission weiterging, machten sich Serbien und Russland daran, die montenegrinische Armee zu reformieren. Sechs Divisonen sollten gebildet und die ständigen Kader erhöht werden. Am 10. Februar 1914 schrieb der russische Geschäftsträger Obnorski aus Cetinje/Montenegro, der serbische Ministerpräsident könne nicht umhin anzuerkennen, wie schwierig die Verwirklichung des Gedankens, einige serbische Unteroffiziere in die montenegrinische Armee einzubinden, sei und dass Pašić »in der Wahl von Mitteln unsere machtvolle Unterstützung in dem dann unvermeidlichen und gewiß vorzeitigen Kampfe Serbiens gegen die österreichische Monarchie auszunutzen gedenkt (!)«207. Obnorski rät seinem Vorgesetzten Sasonow, sowohl Serbien als auch Montenegro vor den übereilten Plänen ihrer Politiker zu bewahren. Auch der talentierte Pašić, ebenso wie viele andere Balkanpolitiker, würde sich durch einen Mangel an weitem Blick infolge eines gewissen Provinzialismus der politischen Gedanken auszeichnen. »Deshalb dürfen die Großmächte, wenn sie den kleinen Reichen Unterstützung und Hilfe erweisen – wie unser Vaterland immer tut, die Führung und Initiative nie aus der Hand lassen.«208

Im Februar 1914 verlegte der russische Generalstab ein sibirisches Korps nach Polen, und der montenegrinische König Nikola lud König Peter von Serbien ein, unverzüglich mit Montenegro eine Vereinbarung über die Vereinigung beider Staaten auf militärischem, finanziellem und diplomatischem Gebiet zu treffen. Abschließend hob er hervor, dass eine derartige Vereinbarung »für das noch nicht befreite Serbentum sehr nützlich sein werde« und auch im Sinne des ewigen Protektors der Slawen, Russlands, sei.209

Wiederkehr der Hasardeure

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