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Rathenaus mitteleuropäischer Zollverein
ОглавлениеAngesichts der zu befürchtenden Entwicklungen blieb für den Industriellen, Schriftsteller und Politiker Walther Rathenau (1867–1922) nur eine letzte Möglichkeit: »die Erstrebung eines mitteleuropäischen Zollvereins, dem sich wohl oder übel, über lang oder kurz die westlichen Staaten anschließen würden«230. Letztere verfügten nicht über den gewaltigen Binnenkonsum Deutschlands und würden früher die Unbill der wirtschaftlichen Isolation zu spüren bekommen, da ihre Industrien ihr Dasein auf der engen Grundlage nationaler Syndikate fristeten. Für Rathenau gehörte die industrielle Zukunft der schöpferischen Technik, »und schöpferisch kann sie nur da sich betätigen, wo sie unter frischem Zuströmen menschlicher und wirtschaftlicher Kräfte sich dauernd im Wachstum erneuert«231. Das sei auch in den Nachbarstaaten bekannt, und deren Industrie würde zahlreich der deutschen Vormacht folgen. Es wäre für alle besser, »wenn wir manche Naturkraft, manche begünstigte Produktionsstätte und manchen unerschlossnen Verbrauchskreis unsrer Nachbarschaft in das Netz einer allgemeinen Wirtschaft einbeziehen dürften.«232
Trug Rathenaus Idee eines mitteleuropäischen Zollvereins maßgeblich zu Englands Kriegsinteresse bei? (Foto: Walther Rathenau 1921, ein Jahr vor seiner Ermordung) (© Abb. 15)
Rathenau hielt die Aufgabe, eine freizügige europäische Wirtschaftszone zu schaffen, zwar für schwer, aber nicht für unlösbar. Am Ende würde eine wirtschaftliche Einheit stehen, die der amerikanischen ebenbürtig, vielleicht sogar überlegen wäre und gleichzeitig dem nationalistischen Hass der Nationen den schärfsten Stachel nähme. Fehlendes Vertrauen, Missgunst und Hass seien nur mittelbar Fragen der Macht, des Imperialismus und der Expansion. »Im Kerne sind es Fragen der Wirtschaft. Verschmilzt die Wirtschaft Europas zur Gemeinschaft, und das wird früher geschehen, als wir denken, so verschmilzt auch die Politik. Das ist nicht der Weltfriede, nicht die Abrüstung und nicht die Erschlaffung, aber es ist Milderung der Konflikte, Kräfteersparnis und solidarische Zivilisation.«233
Die Vision Walther Rathenaus löste sich mit den Schüssen von Sarajevo vorerst in Rauch auf.