Читать книгу Wer A sagt, sollte auch weitergehen - Winfried Niebes - Страница 13
ОглавлениеSturm- und Drangzeit
Der Name unserer Dorfkneipe „Zur alten Kapelle“ gehörte bei uns nicht zum gewöhnlichen Sprachgebrauch. Für uns lautete die Formel recht simpel: „Wir treffen uns bei Anneliese.“ Der Name stellte einen wichtigen Bezugsort dar. Bekannt war uns, dass die alte Kapelle bereits in den Jahren nach 1850 profaniert und irgendwann zu einer Bäckerei und Schänke mit Tanzsaal umgestaltet worden war. Dort konnte sich jeder im Geiste im ehemaligen Chorraum einen Altar an der halbrunden, nach Osten ausgerichteten Wand vorstellen.
Sehr häufig war die schmale, sandsteinfarbene Fensterbank links der Haustüre unser Treffpunkt. Entweder kamen wir zu Fuß oder der eine oder andere kam mit seinem Fahrzeug zur unorganisierten Versammlung. Hin und wieder wurde die nächste Tour oder der kommende Tag bis ins Detail beratschlagt, wenn für den gleichen Abend keine Idee gezündet hatte.
Bitburger11 Pils floss immer aus dem Zapfhahn. Wenn ein neues Fass aus dem Keller geholt und angeschlagen war, musste manchmal gedrängt werden, erst mal ein paar gefüllte Gläser wegzukippen. Ich weiß noch zu gut, dass manch einer das trübe Wasser im Spülbecken eigenhändig mit frischem Quellwasser auffüllte. Die Wirtin wollte sicherlich Kosten sparen. Gegen den Hunger hatte sie reichlich eigenhändig produzierte Frikadellen auf einer weißen Platte und Soleier in einem großen Glas, direkt vorne links auf der Theke, vorbereitet. Nach so vielen Jahren möchte ich nicht verleugnen, dass wir bei Anneliese oft von Durst geplagt waren. Die Uhrzeit vergaß ich des Öfteren und klebte am Biertresen fest, meistens natürlich nicht alleine. Frühschoppenzeit schloss sich nach dem sonntäglichen Hochamt in der gegenüberliegenden, jetzt bereits einhundert Jahre stehenden, St.-Paulus-Kirche an. Die ebene Fensterbank fungierte nicht als einziger Treffpunkt. Eine ähnlich praktische Sitzgelegenheit mit rundherum mehr Freifläche bot sich am Lebensmittelgeschäft gegenüber an. Nach manchen Wochen unserer Fernsterbankbelagerung hörten wir die klaren, klagenden Worte der Geschäftsfrau Helma: „Müsst ihr eigentlich tagtäglich hier hocken und das Schaufenster blockieren? Es gibt hier so viele Plätze, um sich zu treffen, um ausreichend zu quatschen.“
Viele Jahre lebe ich seit Oktober 1970 mit einem Unbehagen im Herzen. Ich war zu einem Wochenendbesuch zu Hause. Meine Eltern feierten ihre Silberne Hochzeit. Dessen ungeachtet saß ich mit meinem Freund Winfried bereits tags zuvor in der Kneipe. Bei bestem Willen ist mir völlig unklar, wieso ich mit ihm und einer Kiste Bier die ganze Nacht im Lokal hockte bzw. einschlummerte (ob es so war, habe ich vergessen – es ist nur dunkel im Gedächtnis). Irgendwie schliefen wir mit dem Kopf auf einem der Tische im menschenleeren Gastraum. Anneliese hatte uns allein gelassen und sich zur Mitternacht zum Schlafen begeben. Jedenfalls kam ich erst Sonntagnachmittag nach Hause geschlichen. Das Wohnzimmer war gut gefüllt mit vielen Gästen, vor allem die Kegelfreunde meiner Eltern waren dort.
Der Josef mit der Dreschmaschine meinte: „Da kommt der verlorene Sohn.“
Meine Antwort und mein Verhalten liegen völlig verborgen in den Milliarden meiner Gehirnzellen. Die menschliche Größe meiner Eltern erfuhr ich, da sie mir keinerlei Vorhaltungen machten. Die weiteren Stunden sind vollumfänglich aus meinem Gedächtnis gefallen, ebenso zu welchem Zeitpunkt ich zurück nach Köln reiste.
Bis heute vergaß ich nicht die verschiedentlich sorgenvollen Aussagen der Eltern, ihr Sohn könnte ein Trinker werden. Gewiss, viele Mark rollten in die Kasse der Wirtin. Aber keine Sorge, so prall gefüllt war das Portemonnaie nicht. Der Inhalt bot die nötige Grenze!
Es war für mich als junger, mittelloser Bursche ein Vergnügen, im Auto mit einigen älteren Jungs zum Kino nach Hillesheim oder Prüm12 mitreisen zu dürfen. Falls die Filme in Hillesheim uns nicht als interessant genug erschienen, peilten wir meistens unsere Kreisstadt oder Gerolstein an. Der Weg in das weiter entfernte Daun kam selten infrage. Wir Schüllerer sahen dort keinen lohnenden Anziehungspunkt. In den Sechziger- und Siebzigerjahren liefen viele Filme mit Freddy Quinn über seine Seeabenteuer. Als sehr prägend und interessant erinnere ich mich an die jeweilige viertelstündige Wochenschau (eine Art Weltnachrichten) vor dem eigentlichen Filmstart. Gern mochte ich den Schauspieler Hansjörg Felmy. Unsere frühere Kreisstadt Prüm (bis Ende 1970) und das angrenzende Belgien hatten eine außergewöhnlich starke Anziehungskraft. Besonders die amerikanische Radarstation auf dem Berg Richtung Schwarzer Mann steuerten wir zielorientiert an vielen Samstagabenden an. Die Treffen mit den dortigen Soldaten, gleich welcher Hautfarbe, in deren Bar, stellten nach meiner Erinnerung ein fast exotisches und fremdartiges Erlebnis dar. Es gab keine Zufahrtsbehinderung an der Einfahrtsschranke. Wir zeigten unseren Personalausweis und waren im Radargelände, wie wir den Bereich allgemein nannten. Die dortigen Soldaten erschienen uns nicht so arm, da sie nicht zur Infanterie gehörten, sondern zur Gattung der Luftwaffe. Die Unterhaltungen waren hin und wieder etwas kompliziert. Als Einziger unserer Truppe konnte ich mit meinen Englischkenntnissen aus der Handelsschulzeit und aus der Fernsehserie „Walter and Conny“ mit einfachen Worten als Dolmetscher dienen. Mit einem relativ preiswerten Glas Whisky in der Hand, welches uns die Soldaten auch spendierten, war es ohnehin unmöglich, große Debatten und Diskussionen über die Weltpolitik oder die gesellschaftliche Situation der US-Soldaten und ihrer Angehörigen vom Zaune zu brechen. Dennoch erreichten wir mit Wortbrocken einfacher Sprache in gewisser Weise nette und witzige Unterhaltung. Besonderer Vorteil war, dass einige schon längere Zeit in Prüm stationierte Soldaten bereits passable Deutschkenntnisse erlangt hatten. Nach mehrmaligem Kommen waren wir bekannt und wurden freundlich begrüßt.
Selbst hatte ich mir noch kein Auto leisten können und erhielt unsere Familienkutsche zum Besuch meiner Freundinnen in anderen Orten.
Eines Tages kam Vater von seinem Dienst und meinte humorvoll: „Na, hast du letzte Nacht sehr lange an der Straße nach Birgel am Steinbruch geparkt?“ Klar, dass ich ihn sehr verdutzt anschaute und dann hörte: „Mein Kollege Hans kam aus Gerolstein und erkannte mein Auto dort weit nach Mitternacht.“
„Ja, ich war mit Brigitte dort, von der ich doch schon erzählt habe. Mit ihr und ihren Eltern war ich letzten Sonntag in deren Kirche zum Hochamt und bin anschließend dortgeblieben.“ Nun wurde mir bewusst, welchen Bekanntheitsgrad Autos haben können.
Aus alten Zeiten rücken einige prägnante Ereignisse in den Mittelpunkt meiner Gedanken. Wenn ich in der Küche aus dem Fenster schaute, war häufig zum Wochenende ein Motorrad auf der kurvigen Straße aus Jünkerath zu beobachten. Links neben dem Haus auf der Wiese oder der Terrasse konnte man ein wunderbares sonores Geräusch hören. Ach ja, das musste Kurt sein. Er kam aus dem Raume Nürnberg zum Wochenende nach Hause. So saß er jedenfalls besser auf seiner 500er BMW als auf seinem Bagger, mit welchem er die Erde zum Bau der Autobahn A 3 aus Richtung Frankfurt nach Nürnberg schaufelte. Nach einiger Zeit leistete er sich ein komfortableres Gefährt.
Sein erstes Auto war ein weißer Opel Rekord, kantig wie die damaligen Karossen konstruiert waren und die Straßen belebten, manchmal rasant vorbeirauschten. Ich sah ein mit vier Türen ausgestattetes, herrlich weiß leuchtendes Fahrzeug vor mir. Kürzlich entdeckte ich an einer mehrspurigen Straßenkreuzung ein Modell, wie er es fuhr.
An einem sonnigen warmen Frühlingstag, ich trug bereits ein kurzärmeliges Hemd, jedoch noch keine kurze Hose, meinte er: „Möchtest du mal mit meinem Auto fahren?“
„Na klar, das wäre prima, wenn ich das probieren dürfte.“
Mir fehlte noch jegliche Erfahrung mit einem solchen Gefährt. In Windeseile instruierte er mich zu den wesentlichen Bestandteilen des Fahrzeugs. Die Lenkradschaltung glaubte ich, nachdem er mir deren Funktionsweise vorgeführt hatte, problemlos steuern zu können. Ich startete in der Dorfmitte vor der Kirche und erreichte nach den vielen Kurven und dem zwölfprozentigen Gefälle nach etwa zehn Minuten Fahrt durch den langgestreckten Ort Jünkerath den dortigen Bahnhof als Ziel. Hier wollte ich wenden und zurückfahren. Vor dem wunderbar rötlich schimmernden Backsteingebäude fuhr ich vorwärts bis etwa zwei Meter vor die Eingangstreppe. Das Anhalten und Bremse anziehen war für mich ein Kinderspiel. Ein jeder konnte mich stolz wie Oskar als Autobesitzer aussteigen sehen und beobachten, wie ich den Wagen von allen Seiten eingehend betrachtete. Ich freute mich des Lebens. Eine Übernachtung war hier nicht geplant, ich musste zurück, einhundert Meter hoch auf den Berg nach Hause und den Leihwagen abgeben. Na ja, wie so schön gesagt wird, hatte ich die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Die Lenkradschaltung war erheblich anders zu betätigen als die Knüppelschaltung im damaligen VW-Käfer meiner Fahrschule. Der Opel fuhr nach Loslassen der Kupplung fortan scheibchenweise weiter nach vorne auf die Eingangstreppe zu. Ich stoppte, schaltete mehrfach mit dem Hebel am Lenkrad rechts, um den Rückwärtsgang einzulegen. Mein Gefährt wollte seine Fahrt ausschließlich zentimeterweise vorwärts fortsetzen. Sollte ich verzweifeln? Nein, natürlich nicht. Der häufig vom Vater gehörte gute Ausspruch durchzuckte mein Gehirn: „Du darfst so dumm sein wie ein schwarzes Ferkel, du musst dir nur zu helfen wissen.“ Prima, die Rettung sah ich im Rückspiegel auf der Straße.
Rasch öffnete ich die Tür, um einen Passanten zu rufen: „Ob Sie mir wohl mal helfen könnten? Ich kann nicht rückwärtsfahren, irgendwie klappt es mit der Schaltung nicht.“
„Na klar, ich komme. Das ist doch kein Problem. Ich habe einen Renault 4 mit Lenkradschaltung.“
Er hantierte an dem Hebel, legte den Rückwärtsgang ein und schon stand das Auto parallel zum Gebäude an der rechten Straßenseite. Jedenfalls fuhr ich auf dem Weg zurück nur vorwärts zum Treffpunkt, um den Wagen ohne Blessuren übergeben zu können. Übung macht den Meister.
Die Tage und Wochen vergingen, ich hatte Kurt wegen seiner auswärtigen Montagetätigkeit eine Zeit lang nicht gesehen, dann trafen wir uns zufällig, wieder in der Dorfmitte. Diese Stelle schien immer eine magnetische Funktion auszuüben. Er meinte, da ich so gelangweilt ausschaute, ob ich ihn auf eine Baustelle weit südlich von Prüm begleiten wolle. Er hatte an einem Samstag einen Auftrag abzuschließen. Da ich mit dem Rad dort war, musste ich zuerst nach Hause, um Bescheid zu geben. Er kam mit seinem VW-Bus zu uns und wir starteten von dort, um nach etwa vierzig Kilometern die Baustelle zu erreichen.
Es war ein Fahrzeug seiner damals in Jünkerath ansässigen Baufirma. Bevor er sich auf die Firmenraupe setzte, meinte er: „Wenn du willst, kannst du den Bus nehmen und hier auf dem Gelände etwas üben.“
Ich muss schon sagen, er war so nett und großzügig mir gegenüber. Ein Schlitzohr schien er zu sein – im Hinterstübchen musste er doch so handeln, da er Interesse an einer meiner Schwestern hatte. Ohne Bedenken nahm ich den erfreulichen Vorschlag an. Ruck, zuck saß ich auf dem Fahrersitz; er beachtete mich nicht, hatte ja genug zu erledigen.
Somit fuhr ich auf dem Gelände hin und her, bis das Fahrzeug fast in eine Enge zwischen einigen Erdhügeln eingeklemmt war. Nur durch Rückwärtsfahren konnte mich aus dieser misslichen Lage befreien. Parksensoren oder gar eine Rückwärtskamera waren vor fünfzig Jahren noch unbekannte technische Möglichkeiten. Mir fehlte im VW-Bus die Übersichtlichkeit, da ich das Gelände mangels Rückfenster nur durch den Außenspiegel einsehen konnte. Die Topografie wies zu allem Ungemach eine leichte Hanglage auf und im unteren Bereich lagerten sogar Steine. Es machte leicht „Bauz“, „Bumm“ und „Krr“ und ich hatte dem Fahrzeug eine ordentliche Delle verpasst. Auch ein Rücklicht war gesplittert. Weder eine Schelte noch eine andere Missbilligung hörte ich von dem lieben Freund. Es war halt ein Baufahrzeug, was Derartiges erleiden musste.
Bevor Karl und Kurt ein vierrädriges Vehikel ihr Eigen nennen konnten, hatte ich das Vergnügen, auf deren Motorrädern als Sozius Platznehmen zu dürfen. An eine bestimmte Straße im Kreis Daun, die „Himmelsleiter“, erinnere ich mich überaus gut. Kurt drehte seine 500er BMW so auf, dass der Tacho fast die Zahl Zweihundert zeigte. Tempoangst kannte ich überhaupt niemals und fühlte mich sicher. Meine Hände klammerten sich um seinen Körper, sodass wir während rasanter Fahrt für Außenstehende wie nur eine Person ausgesehen hätten. Das war eine Voraussetzung für das Kurvenfahren. Es war eine herrliche Zeit, wenn wir am Wochenende Richtung Ahr oder Mosel und sogar bis an den Rhein gelangten. Wenn ich bedenke, wie schön sich das kleine Flüsschen Ahr von der Quelle in einem Keller bei Blankenheim in verschiedenen Himmelsrichtungen durch Auen und an Straßen entlangwindet, bei Altenahr dem Betrachter ihre große Schleife anbietet, waren wir auch entzückt, dieses klare Wasser auf den schmalen Straßen entlang der schroffen Felshänge zu begleiten.
Auf solchen Touren war Alkohol kein Thema. Die Fahrer mussten ja sicher und unfallfrei wieder auf dem Berg ankommen und unbedingt den Führerschein behalten.
Karl durfte sich irgendwann als stolzer Besitzer eines Ford Taunus betrachten. Das zweifarbige Gefährt glich einer schaukelnden Badewanne mit „runden Ecken“. Seine 250er BMW mochte er gern eintauschen, um bei schlechter Witterung oder im Winter trocken und im geheizten Automobil sitzen zu können. Ein BMW befuhr bereits damals schon unsere Straßen. Egal welches Wetter herrschte, wir genossen den Abend. In Belgien, nicht weit von Losheimergraben entfernt, entdeckten wir irgendwann in einem waldreichen Gebiet und nach vielen scharfen Kurven in einem Seitental eine Ansammlung von Häusern.
Ein Bericht über das belgische Dorf wäre eigentlich unbedeutend, wäre dort nicht eine ausgesprochen hübsche Gastwirtstochter in der Gaststätte der Eltern wie eine Fee hinter dem Tresen erschienen. Eine außergewöhnliche natürliche Gabe besaß sie mit ihrem freundlichen Auftreten. Wir frohlockten, sobald sie mit ihren strahlenden Augen und weiß blinkenden Zähnen hinter der Theke erschien. Vielleicht hatte sie auch das Geschick, uns „geschäftsmäßig“ zu belgischem Bier zu ermuntern. Zu seinem Bedauern musste der Fahrer sich mit Coca-Cola vergnügen. Wie im Roman hatte sie langes, über die Schultern herabfallendes blondes Haar, blaue Augen und eine filmreife Figur. In der damaligen Zeit interessierten wir uns nicht für eine Twiggyfigur oder, wie es heute oft zu hören ist, Hungerhaken. Der Anblick war für uns Burschen ein wunderbarer, ich muss sagen, sehr reizvoller. Aber wer sollte hier anbändeln, und wie? Vielleicht hatte ich nicht den Durchblick und war nur froh, dabei zu sein. Wir plauderten, tranken, natürlich war jedenfalls eine große Portion Flirt inbegriffen bei witzigen und amourösen Gesprächen.
Wir erlebten in den 1960er Jahren noch schneereiche Winter. Dennoch machten wir uns an einem Samstagabend auf den Weg. Wir fuhren auf der Landstraße von Stadtkyll nach Kronenburg im deutsch-belgischen Grenzgebiet. Ich war dort im Herbst 2018 zu einem Konzert des rumänischen Künstlers Florin Negreanu, welcher meine ehemalige Volksschule zu einem Musikzentrum ausbaute. Die dortige ehemalige Hermann-Göring-Meisterschule für Malerei ist im Besitz des Landes Nordrhein-Westfalen und titelt heute als „Haus für Lehrerfortbildung“.
Eigentlich waren wir guten Mutes, doch vielleicht hatte unser Fahrer doch etwas zu rasant in eine Kurve gesteuert und so geschah es trotz aufgezogener Schneeketten: So rasch kann man gar nicht denken, der Wagen schleuderte etwas und landete nicht allzu tief im rechten Straßengraben. Was tun, war die Frage? Alle vier Insassen spuckten in die Hände und mussten ran. Das Auto wurde an allen vier Enden angepackt und auf die Straße gehievt, ohne einen Schaden feststellen zu müssen.
So mancher Fahrer hatte in der damaligen Zeit hin und wieder anscheinend zu viele Bierchen getrunken. Mit geschwellter Brust nach dem Motto: „Was kann uns schon passieren?“, da sich noch keine einzige Polizeikontrolle auf unseren Touren hatte blicken lassen. Wenn wir manchmal fast vor Mitternacht von unseren kleinen Zechtouren nach Stadtkyll kamen, erfolgte zwingend noch ein Halt an der Wirtschaft mit Metzgerei Juchems. Dort einzukehren war üblich und eine Art Pflicht, um ein letztes Bitburger Pils zu trinken. Mir war das oft zu kalt und ist mir nicht gut bekommen. Die Kerle lachten später noch, weil ich während einer Fahrt, kurz nach dem Ortsausgang, links im Mondenschein war das leuchtende Wasser der Kyll zu sehen, den Kopf überaus eiligst aus dem Fenster halten musste. Das bezahlte Bier wollte wieder an die frische Luft. Vielleicht war dieses sogar schlecht (denn das letzte Bier ist nach üblicher Redensart bei reichlichem Genuss oft schlecht) oder die Ursache war die Unvereinbarkeit von kaltem Bitburger mit einem Viertel Zwiebelmett. Nicht vergessen habe ich, dass Heinrich mit Leichtigkeit spätabends noch ein ganzes Pfund von dem rohen Mett verputzen konnte. Aber, na ja, nach der Aktion kam alles wieder ins Lot und die Fahrt endete erfreulicherweise wohlbehalten im Wohnort. Immer fand ich alleine und ohne Lärm mein Bett.
Im Gegensatz dazu erschien es manchem von uns vielleicht seltsam, dass Heinrich bei Annelise – ich sehe ihn links des Eingangs, etwa sechzig Zentimeter vor dem Thekenende an dem längeren Tisch sitzend – häufig nur ein kleines Schälchen Schöller Eis verzehrte. Nicht ein einziges Bier oder etwas anderes bestellte er während unseres einstündigen Aufenthalts. Damals war es nicht so wie heutzutage im Restaurant, dass manchmal lästige und unnötige Fragen uns in Gesprächen stören: „Ist alles in Ordnung?“ oder „Ist alles recht?“. Tatsächlich beinhaltet eine solche Frage der Bedienung indirekt die Aufforderung zu einer weiteren Bestellung. Nobel geht die Welt zu Grunde. Ein Satz aus dem Jahr 1865 schreibt diese Aussage einem gewissen Leutner zu, der „einst ein beliebter Restaurateur in Stetten“ gewesen sein soll.
Nun muss ich im Gegensatz die südeuropäischen Länder als Vergleich erwähnen. Wie ist es dort häufig zu betrachten? Mehrere Männer sitzen plaudernd beisammen, aber ein einzelner Gast liest im Il Corriere della Sera, der La Republica oder der spanischen El Pais, wobei während einer Stunde lediglich ein Espresso oder Cappuccino getrunken wird.
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