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Theater, Theater, der Vorhang geht auf

Wer nun den Eindruck von einem jungen Heranwachsenden mit ausschließlich lustigem, beflügeltem Handeln, der frei von sozialem Engagement war, gewonnen haben mag, soll aufrichtig aufgeklärt werden. Es gab damals bei uns jederzeit viel zu tun, wie der Kabarettist Rüdiger Hofmann in seinen Shows darlegt. Ein umfangreiches, fast unübersichtlich erscheinendes Projekt machte seit längerer Zeit der Dorfgemeinschaft, insbesondere den Theaterleuten, arges Kopfzerbrechen. Das muss in der ersten Hälfte bis etwa Mitte der Sechzigerjahre gewesen sein.

Das alte Vereinshaus, unser „Villax“, bedurfte einer dringenden Grundsanierung vom nicht vorhandenen Keller bis zum Dach. Aus heutiger Betrachtung stelle ich fest, dass damals Schüller über etwas verfügte, was sich mancher andere kleine Ort, wie auch finanziell bessergestellte Gemeinden, gewünscht hätte. Wir Jugendliche waren stets aktiv. Es steht außer Frage, dass die Sanierung oder der Ausbau nur unter der Leitung eines engagierten Erwachsenen ein Erfolg werden konnte. Mit felsenfester Überzeugung stellten wir uns vor, für die Gemeinde etwas mit besonderer Bedeutung zu vollbringen. Ein Veranstaltungsort sollte nicht nur für die Jugend, sondern für alle möglichen Festivitäten im Ort wie die alljährliche Kirmes am dritten Sonntag im Oktober, das Feuerwehrfest im August sowie größere familiäre Zusammenkünfte geschaffen werden.

Einigermaßen unverständlich erschien uns, dass die überwiegend älteren Gemeindeväter mit heftigen Argumenten erst in die Spur gebracht werden mussten. Was wussten wir schon über die Finanzen der Gemeinde? Dass kein hohes Steueraufkommen existierte und somit nur begrenzte Haushaltsmittel für freiwillige Aufgaben zur Verfügung standen, wurde uns ausgiebig nahegebracht. Die Mittel waren für die zwingende Unterhaltung von Friedhof, Straßen oder Feldwegen festgelegt. Zudem stand für die Gemeinde der Neubau einer Schule auf der Tagesordnung. Die Finanzierung konnte selbstverständlich nur mit Mitteln des Kreises und des Landes realisiert werden. Meine alte Schule, direkt oberhalb an das Vereinshaus angrenzend, schien aufgrund der Bausubstanz und die an eine moderne Lehranstalt gestellten Anforderungen wirtschaftlich nicht sanierungsfähig zu sein.

Positiv habe ich in Erinnerung, dass überörtliche Behördenvertreter nach Ortsbesichtigung die Notwendigkeit der Sanierung des Gemeindehauses bestätigten. Soweit ich aus Erzählungen noch weiß, hatte die Gemeinde das Gebäude nach dem Zweiten Weltkrieg erworben – ein sehr weiser, wichtiger Schritt für die gesellschaftliche und kulturelle Zukunft der Dorfgemeinschaft mit mehr als dreihundert Seelen.

Jedenfalls erklärten sich sehr viele Männer bereit, für ihren Veranstaltungssaal ihre knappe Freizeit einzusetzen. Wir Jugendlichen hätten das Vorhaben ohne den handwerklichen Sachverstand dieser Männer jedenfalls nicht bewältigen können. Wir zeigten Enthusiasmus und wollten etwas Großes schaffen. Ich war mit meinem Vater abends sowie samstags viele Stunden auf der Baustelle tätig. Er war der Elektriker und ich sein ungelernter Gehilfe.

Der marode Fußboden wurde mit Hacken herausgerissen, sehr viele alte, teilweise angefaulte Holzbretter mussten beiseite geräumt werden. Die Anzahl der bis zum Rand voll beladenen und mir oftmals zu schweren, nach draußen zu schiebenden Schubkarren habe ich nicht gezählt. Eine besondere Problematik ergab sich bei der neuen Konstruktion der Bühne. Die alte, niedrige Saaldecke musste einer neuen, höheren weichen, um Freiraum für Theateraufführungen zu schaffen. Der Einsatz unseres Dorfschreiners war vonnöten. Nach meiner Vermutung stand seinerzeit niemandem der Sinn danach, das Baugeschehen zu fotografieren; ohnehin machte sich kaum jemand Gedanken, möglicherweise Notizen für unsere Nachwelt zu hinterlassen. Als angenehme Tätigkeit gestaltete sich schließlich das Verlegen des Fußbodens mit qualitativ hochwertigen Fichtenbrettern. Damals lernte ich den Unterschied zwischen Nut und Feder kennen. Das schräge Einschlagen der kurzen Metallstifte in die Felder jedes einzelnen Brettes zur stabilen Befestigung war kein leichtes Unterfangen. Nach so manchem Fehlschlag und krummen, mit der Kneifzange wieder herauszuziehenden Nägeln, erlangte ich eine gewisse Schlagfertigkeit.

Irgendwann gerieten wir arg unter Zeitdruck. Mit großen Schritten kam der Dezember auf uns zu. Etwa vier Wochen vor Weihnachten und der geplanten Theateraufführung drängte die Zeit. Aufregung und Sorge existierten zur unklaren neuen Bestuhlung. Das Glück ist jedoch den Fleißigen hold und wir nutzten die Chance, dass Verwandte eines an den Arbeiten indirekt Beteiligten in ihrem Kinosaal in Bochum ihre Kinostühle nicht mehr benötigten. Ob deren Vorführtempel keinen Zuspruch fand oder die Eigner sich zur Ruhe setzen wollten, ist mir nicht mehr erinnerlich. Irgendwie wurde ein Transport für die geschenkten Stühle organisiert. Ein Trupp reiste an, um die Stühle loszuschrauben und die Einzelstücke transportfähig aufzubereiten. Wer die Fuhre zu unserem Bauprojekt auf den Weg brachte und auf welche Art, weiß ich auch nicht mehr. Im Vereinshaus steckten wir die Stühle reihenweise mit seitlichen Verbindungselementen aneinander. Eine Verschraubung auf dem neuen Fußboden war ohne Worte verboten.

Endlich Dezember und unsere ersehnte Aufführung konnte präsentiert werden. Das erste Stück, „Das Vater unser“, war sehr prägnant, emotional und ernst. Mein Vater und eine meiner Schwestern gehörten zum Kreis der Hauptdarsteller. In diesem Stück hatte ich keinen Auftritt. Sehr oft wirkte ich in Luststücken als Gendarm oder junger Liebhaber mit. Meine Mutter hingegen blieb alle Zeiten Zuschauerin. Es war für uns Theaterleute durchaus sehr erfreulich, wenn wir nach den oft einige Stunden dauernden Proben nach Hause kamen und eine Mahlzeit für uns auf dem Tisch bereitstand.

Heute bedauere ich gelegentlich, kein Tagebuch geführt zu haben, das wäre zur damaligen Zeit unüblich gewesen, für einen Jungen zudem nicht passend. In der Biografie über Liselotte Pulver las ich, dass sie bereits seit ihrem zwölften Lebensjahr Tagebuch geführt hatte – aber sie lebte in einem anderen familiären Umfeld.14

Im Lauf einiger Jahre wurden Stücke aus unterschiedlichen Genres aufgeführt. Ich weiß noch, dass es besonders schwierig war, in Lustspielen auf der Bühne selbst ernst zu bleiben; es sei denn, das Regiebuch erlaubte ein Lachen. Wir hatten strenge Lehrmeister bei den Proben. Der erste, ich sage mal, Regisseur, war ein sehr kleiner Mann, allerdings von stämmiger Statur. Infolge hohen Alters übergab er den Stab an seine Tochter. Sie hatte eine nicht so strenge Art, gab aber bestimmt und gekonnt ihre Anweisungen. Insgesamt stelle ich im Nachhinein fest, dass ernste Stücke leichter aufzuführen waren. Wenn sogar die großen Stars hin und wieder über Lampenfieber plaudern, mussten wir auf einer so kleinen und unbekannten Volksbühne uns dessen nicht schämen. Mein leicht flackerndes Lampenfieber verließ mich nach festem Blick auf die teilweise im Dunkel verharrenden Zuschauer. Ein kribbelndes Gefühl der Freude kam auf – ich durfte mich vor einhundertfünfzig Menschen fühlen wie auf den Brettern, welche bekanntlich die Welt bedeuten sollen.

Es gab eine ungeschriebene Vereinsparole, dass die Spieler nicht noch selbst an der baulichen Vorbereitung und Gestaltung der Bühne wirken sollten. Aber wie in fast jedem Verein üblich, existierte nur eine kleine Handvoll Akteure, während die Übrigen der Auffassung waren, mit dem Mitgliedsbeitrag wäre der Pflichten Genüge getan. So blieb der Künstlerschar doch die Aufgabe, zum gesamten Gelingen und zur rechtzeitigen Fertigstellung der Ausstattung selbst Hand anzulegen, damit das große Vorhaben gelingen möge.

Unsere unter schwierigen Umständen beschafften Kinosessel stellten sich nicht nur als Gewinn dar. Aus mir nicht mehr aus der Erinnerung abrufbaren Gründen musste im Laufe der Zeit ein Ersatz durch anderes Mobiliar erfolgen. Der Ärger mit der Familie, welche die Schenkung der Stühle organisiert hatte, war vorprogrammiert. Wie beleidigte Leberwürste15 geriet diese mit einem großen Teil der Dorfgemeinschaft in Fehde. Neuer Ärger zu anderen Gemeindeprojekten putschten den Zwist in größere Dimensionen hoch bis zur überörtlichen Verwaltung.

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