Читать книгу Wer A sagt, sollte auch weitergehen - Winfried Niebes - Страница 15
ОглавлениеMaskenball in Schüller, nicht Venedig
„Was soll das denn sein?“, mag sich jemand aus SchleswigHolstein, welcher unsere einzigartige jährliche Tradition nicht kennt, fragen.
Im Winter Karneval feiern, womöglich in dünnem Kostüm? „Da holt man sich de Peps“, war eine dörfliche Entsprechung zu „Du holst dir eine Erkältung“.
Karneval bedeutete für alle Dörfler ein besonderes und spannendes Ereignis. Ein Mensch schlüpft während der närrischen Tage, innerhalb der sogenannten fünften Jahreszeit (Fastelovend) in ein anderes Kostüm. In allen möglichen Variationen sich zu verbergen oder sich möglichst für alle Übrigen im Tanzsaal unerkennbar zu machen, war oberstes Ziel dieser Tage. Nur zu Rosenmontag existierte die Chance, das herrliche Spektakel zu erleben und zu genießen. Gewiss hatten nicht alle besonderes Interesse oder die Gabe, in eine andere Haut zu schlüpfen. Als freudig, spannend und äußerst reizvoll erlebte ich, dass ständig ein geheimnisvoller Vamp auf mich zukam und mit mir das Tanzbein schwingen wollte. Nun war ich das Opfer, aber gerne. Es bedeute für mich, in Ruhe abzuwarten. Sie wird wiederkommen. Nun fehlte mir jegliche Kenntnis über diese heimliche Gestalt. Keinen Muckser konnte ich aus ihrem Munde hören; ansonsten hätte ihre Stimme sie vielleicht verraten. So wurde der Abend Stunde um Stunde zum Zerreißen spannender. Endlich, die Glocke lässt ihren Gong zwölf Mal schlagen. Es ist Mitternacht. Nun müssen alle Hüllen fallen – ich meine nur die Gesichtsmasken. Meine Verführerin erwies sich als die Tochter eines damals noch gut betuchten Unternehmers aus Jünkerath. Eine schlanke Schönheit, mit etwas kleinen runden Pausbacken, natürlich Wangen. Unsere Oma hatte auf das Wort Backen eine passende Antwort parat: „Auf den Backen sitzt du. Links und rechts deiner Nase sind die Wangen.“ (Die Backen willst du packen, die Wangen willst du küssen!)
So erinnere ich mich zu vielen Gegebenheiten an meine alte, freundliche Großmutter, welche vor Vollendung des neunzigsten Lebensjahres nicht mehr alles klar verstehen und wiedergeben konnte. Demenz oder Alzheimer waren noch unbekannte Worte.
Zurück zu meiner Femme fatal dieses Abends. Das reinste Vergnügen fühlte ich im Inneren wie heiße Flammen, sie während der wirbelnden Walzerschritte fest in meinen Amen. Wie eine Feder im Wind ließ sie sich auf der Tanzfläche bei einem flotten Foxtrott führen. Meine Freude übermächtigte mich, dass ich am liebsten aus vollem Halse jubilieren wollte: „Hurra, sie gehört jetzt mir.“ Ab und zu waren eine Pause und kleine Abkühlung angesagt. Eiligst, um nur ja nichts zu verpassen, huschte ich zu einer kurzen Verschnaufpause durch die breite Türe des Gebäudes hinaus. Der kühle Wind säuselte um mein erhitztes Gesicht, ich spürte die Wohltat und eilte mit ebenso raschem Schritt in den Tanzsaal zurück. Im ersten Moment glaubte ich, nicht atmen zu können angesichts des nach meinem Gefühl fehlenden Sauerstoffs. Besonders traf das für den kleinen Schankraum zu, gefüllt mit trunkfreudigen Frauen und Männern. Das laute Gelächter über die Witze schallte immer wieder unüberhörbar bis in den schweißgeschwängerten Saal. Ich hoffte, an der belagerten Theke noch eine kleine Lücke in zweiter oder dritter Reihe für mich und meine Eroberung zu finden. Spaß und große Heiterkeit herrschten während der mehrstündigen Veranstaltung. Also, im Nachhinein habe ich schon hin und wieder „Heimweh“ nach all den lustigen, mit viel Witzeleien und Neckereien erlebten Zeiten.
Als grandiosen Witzeerzähler kann ich mich nicht hervortun. Im Gegensatz dazu schien mir Spaßmachen und herzlich zu lachen angeboren zu sein – von welchen Vorfahren, ist nicht ergründbar. Zum Stichwort lachen fällt mir ein früherer Dorfnachbar ein, welcher so herzlich lachen konnte, dass sein gesamter rundlicher Körper erbebte. Mir entströmten in den vergangenen Jahren des Öfteren lautstarke Jubelkanonaden zu manchen Filmdarbietungen und ich durfte mir anhören: „Schrei doch nicht so laut!“ Im Gegensatz zu Liselotte Pulver bin ich unbedeutend und niemand kann mein Lachen als Markenzeichen bezeichnen.13 Andererseits liefen mir bei sentimentalen Sendungen, gleich ob zu Filmen oder Berichten zu historisch-bedeutsamen Ereignissen, die Tränen aus den Augen.
Nicht vergessen habe ich, dass im Dorf Krawalle und angehende Schlägereien immer dann angesagt waren, wenn einige ungehobelte und körperlich sehr stabile Kerle, Brüder, so richtige Raufbolde, aus Stadtkyll eintrafen. Der ältere der Brüder war breitschultrig und groß, der jüngere kleiner und hatte eine freche Gosche. Das Augenmerk dieser Rabauken lag auf Stänkereien, sie waren von Natur aus nicht friedliebend. Mit keinem von ihnen, besonders mit dem größten, meist betrunkenen Bauernsohn, hätte ich eine Rauferei erleben mögen. Sehr rasch musste die Wirtin einschreiten; oft wurden sie unter Beteiligung starker Dorfmänner des Saales verwiesen.
Überaus ärgerlich war eine Kontrolle während einer Tanzveranstaltung in Jünkerath. Der Hotelier und Gastwirt Schneider in der Nähe des Bahnhofs kontrollierte, ob ich bereits achtzehn Jahre sei und alleine am Abend hier erscheinen dürfe. Derartige Probleme hatte ich verschiedentlich, zu meinem Leidwesen auch bei den Mädchen, die mich jünger einschätzten und sich daher eher nach älteren Jungs umschauten. Der Gastwirt kannte mich aufgrund der mehrfachen Besuche mit meinen Eltern und deren Kegelklub in seinem Haus. Treu und brav kramte ich aus dem Portemonnaie meinen Ausweis, er schaute gelangweilt die Daten an und verschwand kommentarlos.
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