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23. August 1991

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Statt des Sturms aufs KGB-Zentrum der Bildersturz: Die Statue Felix Dserschinskis, des KGB-Gründers, wurde heute Nacht gestürzt.

Sich vorzustellen, die KPdSU wäre an vorderster Front mit dabei gewesen, ihren Generalsekretär zu retten! Nun wird der Umsturz des Umsturzversuchs sie zu Fall bringen. Jetzt findet eine politische Revolution statt, aber als nationale Revolution. Ihr Zeichen ist der Engel der Geschichte, wie Benjamin ihn sieht: der Wind bläst zwar vom Paradiese her, aber treibt sie gerade deswegen fort davon, hinterrücks in die Zukunft.

Die FAZ (EF) spricht vom »geradezu weltgeschichtlichen Epochenwechsel« der vergangenen drei Tage. Sie feiert seinen Gehalt bedenkenlos als die nationale Rekonstitution Russlands, blind dafür, welches weltzivilisatorische Potenzial da seiner Verwirklichung beraubt und welches nationalistische Potenzial hier herausbeschworen wird. Es ist, als erhielte der Putsch gegen Gorbatschow nun den Sinn eines Putsches von entgegengesetzter Seite: »Gorbatschow verkennt den historischen Moment […] Der politische Horizont endet dort […] Die Begriffsstutzigkeit, die Gorbatschow erkennen lässt, ist auch in der öffentlichen Meinung und unter den Politikern des Westens weit verbreitet. Auch hier glaubt man weiterhin, dass mit den Begriffen ›Glasnost‹ und ›Perestrojka‹ der optimale Weg […] beschrieben sei« usw.(EF). Und was die Perspektive des Zusammengehens von Gorbatschow und Jelzin anbelangt: »eine merkwürdige Vorstellung, wenn man sich vergegenwärtigt, dass die beiden Männer verschiedenen Zeitaltern angehören«. Die FAZ fördert einen Jelzin, der die KPdSU verbietet. Reißmüller macht in kaum mehr verschleierten Worten klar, dass der Übergang zum Kapitalismus die Beseitigung Gorbatschows voraussetzt. Es gibt viele Hindernisse. »Aber nicht einmal die kleineren werden sich überwinden lassen, solange der Präsident am ›Sozialismus‹ hängt, solange er ›sozialistischem‹ Eigentum den Vorrang gibt vor privatem.« Und Werner Adam, wohl wissend, dass G in der Tat weiterhin »am ›Sozialismus‹ hängt«, verkündet dessen politisches Todesurteil: »Hielte Gorbatschow aber an der Vorstellung fest, diese Partei mithilfe eines neuen Programms reformieren zu können, wäre wohl auch ihr Generalsekretär nicht mehr zu retten.«

In den Schlieren des Diskurses fängt sich Reinhard Olt, der in einem Artikel über Alexander Ruzkoj schreibt: »Ruzkoj sieht sich selber als Kommunist, aber als ›aufgeklärter‹. Er und seine Gesinnungsfreunde, die auf Seiten derer waren, die dem Putsch widerstanden, treten für politische Freiheiten, Pluralismus, Marktwirtschaft, ein Mindestmaß an sozialen Garantien für die Menschen, für Rechtsstaat und Parlamentarismus ein. Sie sprechen sogar, es muss Gläubigen der ›reinen Lehre‹ die Haare zu Berge stehen lassen, von der Errichtung einer bürgerlichen Gesellschaft‹.« Den Schlusseffekt kriegt Olt hin, weil er »Zivilgesellschaft« als »bürgerliche Gesellschaft« übersetzt. Sonst alles ziemlich genau der Gehalt der Perestrojka, die doch totgesagt werden soll.

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In der TAZ vom Mittwoch (21.8.) – wie lange das her ist! – ein interessantes Gespräch mit Boris Groys, der von Willi Winkler als »sowjetischer Philosoph« vorgestellt wird. Groys sah den Staatsstreich siegen, »jede Gegenwehr zum Scheitern verurteilt«, »und das Volk verhält sich weitgehend passiv«. – Diese vom Gang der Ereignisse tags darauf widerlegten Gewissheiten dürfen einen nicht daran hindern, den Gedankengang ernst zu nehmen, dem sie entstammen, auch wenn er nicht sehr klar artikuliert ist. Den Staatsstreich sieht Groys in der Linie des Stalinismus: »Stalin wollte den Marxismus-Leninismus zerstören«, sagt er merkwürdigerweise, »und zum Zarismus des 19. Jahrhunderts zurück – was ihm nicht ganz gelang. Jetzt werden wir es mit einem vollkommenen Stalinismus zu tun haben: einem modernen Staatsapparat, in dem Beamte das Sagen haben.« Nun sei ein antiwestlicher nationaler Militärstaat zu erwarten, ein »Gewaltsystem« anderen Typs: »Der Übergang von der ideologischen Zwangswirtschaft zur ökonomischen wurde noch nicht vollzogen. […] hier im Westen ziehen wir den ökonomischen Zwang vor. Andere, etwa die Menschen in der Sowjetunion, bevorzugen den ideologischen. Es ist in mancher Hinsicht der erhabenere Zwang. Dieser ideologische Zwang bietet nach dem Ende des Kommunismus eine neue Ersatzreligion. Der Staatsgedanke wird zementiert.« – Groys scheint Genuss am Unheil zu finden. Das schärft seine Analysen. Ich erinnere mich gut an sein Auftreten in Dubrovnik, vor bald zwei Jahren. Er schenkte mir seinen Gesprächsband »Die Kunst des Fliehens«.

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Jelzin hat Gorbatschow wie einen zahmen Bären vorgeführt. Dieser Musste das Protokoll einer Geheimsitzung verlesen, bei der mit einer Ausnahme alle Minister entweder für den Staatsstreich waren oder sich opportunistisch heraushielten. Dann unterzeichnete er im Beisein des protestierenden Gorbatschow vor laufenden Kameras ein Dekret, das die Aktivitäten der KPdSU bis auf weiteres verbietet. Das ZK-Gebäude bereits versiegelt.

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