Читать книгу Jahrhundertwende - Wolfgang Fritz Haug - Страница 241

26. August 1991 (2)

Оглавление

Die Sowjetunion nur mehr ein Wort, ansonsten ein riesiger Raum in Dekomposition. Von allen Seiten werden sich Außeneinflüsse geltend machen. Ein auf Erbeutung wartendes Land. Das wird Kompradorenbourgeoisien und Marionettenregime hervorrufen. Die Atomrüstung als letztes Ding an sich der SU, denn die kann man nicht teilen.

Zivilgesellschaft. – In der FAZ vom Wochenende (24.8.) ein Vortrag von Tadeusz Mazowiecki, »Polens schwieriger Weg in die Normalität«. Eine Verarbeitung der Krisenhaftigkeit des Übergangs zu kapitalistischer Demokratie. Indirekt hört man die Furcht vor einer neuen autoritären Wende heraus. Was den Vortrag interessant macht, ist die Tatsache, dass Zivilgesellschaft seine theoretische Zentralkategorie ist, von der FAZ allerdings auf Englisch als »civil society« wiedergegeben. Der Begriff habe »in der antitotalitären demokratischen Opposition seine Renaissance« gehabt. Damit verbunden wird der Zielkonflikt zwischen Konsens und pluralistischer Differenzierung erörtert. Seine Beschreibung des »Gewebes« der Zivilgesellschaft klingt nach einem vergröberten Gramsci: »Dies können wirtschaftliche, politische, gesellschaftliche und lokale Strukturen sein, aber genauso auch Strukturen wie die einer Vereinigung der Züchter von Kanarienvögeln«. Ein liberales Staatsverständnis, das so wenig Staat wie nötig und so viel Gesellschaft wie möglich beinhaltet. Dazu fügt sich das von der katholischen Soziallehre vertretene Subsidiaritätsprinzip. »Danach soll der Staat nichts an sich reißen, was auf einer niedrigeren Ebene der Gesellschaft erledigt werden kann.« »Zivilgesellschaft« hat einen Bedeutungswandel durchgemacht beim Übergang von der antikommunistischen Systemopposition zur Regierungsmacht. Zuvor wurde sie völlig außer-, ja antistaatlich verstanden, jetzt quasi staatstragend. Mazowiecki formuliert diesen Sachverhalt allerdings positiv, gehöre doch zum »Wesen des demokratischen Systems nicht nur der Schutz von individuellen Rechten, sondern auch der Schutz autonomer Sphären im gesellschaftlichen Leben. Im demokratischen System ist die ›civil society‹ etwas […], was nicht in Opposition zum Staat steht.« Jetzt muss der eigne Staat vor Ansprüchen der Bürger geschützt werden. Kurz, ein Umbau der Ideologie ist vonnöten. Vorher herrschte de facto zwischen Familie plus Freundeskreis und Volk ein Vakuum, das erst jetzt allmählich gefüllt werden kann. Eine weitere ideologische Umbaunotwendigkeit: »Die Einführung der Marktwirtschaft erfordert […] unbedingt […], dass die Menschen die Tatsache akzeptieren, dass verschiedene Phänomene im Bereich der Produktion, Distribution und Investition das Ergebnis des Zusammenspiels vieler komplexer Faktoren sind, auf deren Verbindung niemand direkt Einfluss nehmen kann, ohne den empfindlichen Mechanismus […] zu zerstören«. Die Formationen der vormaligen Opposition drohen nun zu Störfaktoren zu werden. »Die ›Solidarnosc‹ hat den Weg zu einer ›Nur-Gewerkschaft‹ noch nicht ganz gefunden.« Schön jesuitisch formuliert. Mazowiecki wagt nicht zu sagen, dass auch die Kirche den Weg zu einer Nur-Kirche noch nicht ganz gefunden hat, aber das will er im Grunde sagen. »Bislang erfüllte sie gewissermaßen Ersatzfunktionen: In Angelegenheiten des öffentlichen Lebens sprach sie für die Gesellschaft. Der ›civil society‹ gab sie Asyl.« Er fürchte nicht, »dass es in Polen zur Herausbildung eines konfessionellen Staates kommen muss.« Gefährdet sei die Demokratie durch »das populistische Chaos« und die Gewaltkonzentration auf eine Führungsperson (Walesa nennt er nicht, meint ihn jedoch). Übrigens erwähnt er den Fall des Präsidentschaftskandidaten Tyminski, dessen Anziehungskraft er mit einem »magischen Kapitalismus« begründet.

Jahrhundertwende

Подняться наверх