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25. August 1991 (2)
ОглавлениеMarschall Achromejew hat sich heute Nacht erhängt.
Treffende Beschreibungen der Krisenlage im Aufruf des Notstandskomitees. Aber kein Schatten eines Begriffs. Einiges grotesk neben aller Wirklichkeit: »Über die Gesellschaftsordnung soll das Volk entscheiden, dem dieses Recht heute entzogen wird.« Ein Dokument der Verzweiflung. Ich müsste herzlich froh sein – und bin es nur verstandesmäßig –, dass uns dieses Militär- und KGB-Regime erspart geblieben ist.
Was jetzt in Russland läuft, trägt Züge eines Gegenstaatsstreichs, ist aber auch eine Revolution, wie ich sie nie verschlungener und zweideutiger gesehen habe. Falls sie sich nicht positiv beschäftigt, und zwar umgehend, droht die vom Notstandskomitee an die Wand gemalte Hungersnot, begleitet von Racheorgien.
Nun hat sich auch Weißrussland aus der Union verabschiedet. Der wegen des Staatsstreichs ununterzeichnet gebliebene Unionsvertrag wird wegen des Zusammenbruchs des Staatsstreichs für immer ununterzeichnet bleiben, zumindest dieser. Hier hält man eine lose Konföderation für möglich.
Arnold Schölzel kann sich Russland nicht ohne die Ukraine vorstellen. Aber warum sollten sie künftig nicht Handel treiben? Die EG wird ihre Agrarüberschüsse kaum durch ukrainische Agrarimporte vergrößern wollen. Arnolds tiefer Kummer, der an Verzweiflung grenzt, kommt meines Erachtens zu spät, wäre spätestens vor einem Jahrzehnt – andere würden sagen, vor drei Jahrzehnten – überfällig gewesen. Die Ursachengeschichte eilt den Folgengeschichten für gewöhnlich weit voraus.
Mit Katja Maurer einen letzten Artikel für den »Freitag« vereinbart. Aber was gibt es da noch zu sagen? Bislang habe ich immer versuchen können, das Geschehen auf künftige Handlungsmöglichkeiten hin zu untersuchen. Bisher konnte ich immer in einen durch G aufgespannten Horizont mit sozialistischer Perspektive eintreten.
Die Bewegung hatte sich längst verlagert, die Hoffnung, wo sie nicht dumm geworden war, war längst woanders. Wir schrecken zurück vor der nachträglichen Entwertung unermesslicher Anstrengungen.
Was ist zu sagen? Ja, die Dialektik des Staatsstreichs hat, schneller als erwartet, die vorausgesagte Wirkung gezeitigt. Das Kräftegleichgewicht zerstört, damit Gorbatschows Stellung. Mit Antje Vollmer: dass es zur »Glorious Revolution« werden konnte, ist das Werk der Perestrojka, die freilich nicht Umgestaltung des Sozialismus, sondern nur der politischen Institutionen und der geistigen Lage des Landes werden konnte.
Eine antimythische Bilanz zu ziehen. Sonderbar, dass man tief empfinden kann, mitzuverlieren, wo man zuvor wenig erwarten konnte. Dass die Systemkonkurrenz die Dritte Welt freisetzte, dass sowjetische Unterstützung Drittweltrevolutionen die Möglichkeit gab, sich zu behaupten, das alles verlor zunehmend sein Gewicht seit Mitte der siebziger Jahre. Die Standardausrede, äußere Feindschaft habe die Entfaltung gehindert, erscheint nun wie eine Lebenslüge. Im Gegenteil, der Notstandsstaat bedurfte der Ausnahmezustände; ihrer militärischen Logik war er gewachsen. Den zivilen Logiken, aus denen sich Zusammenhalt und Wirtschaftsblüte einer Gesellschaft ergeben, war er nicht gewachsen. Wir können nicht anders, als unseren enttäuschten Hoffnungen nachzuweinen, objektive Möglichkeit aber waren sie schon lange nicht mehr.
Muss man also gegen das nostalgische Klagen anschreiben, gegen Begriffslosigkeit, aber auch gegen das Mit-den-Wölfen-Heulen? Für das Neu-Entspringen kritischen Denkens in der Marx-Nachfolge?