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23. Oktober 1990

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Die Jugendlichen aus der DDR stolzer, Deutsche zu sein, als die gleichaltrigen Westdeutschen.

Mathias Schreiber (in der FAZ vom 19.10.) über die »Namensnot« beim Reden über das, was bislang DDR hieß. Dieses Zeichen, DDR, erklärt er für »ein eklig belastetes Stasi-Propagandakürzel«. So mimetisiert der feine Herr Ästhet eine Wut von unten. Manche sprechen jetzt von den »fünf neuen Bundesländern« oder einfach von den »fünf neuen Ländern«. »Ost-Deutschland« lehnt er ab, weil dieses Namenlose die Mitte sei. Die Bundespost nennt die DDR »VGO« (heißt das »Verwaltungs-Gebiet Ost«?), lässt aber sicherheitshalber auch »DDR« auf die Säcke schreiben. In unserem Reichelt-Supermarkt hängen Schilder an den Kassen, die einem mitteilen, dass DDR-Münzen bis 50 Pfennig »nur in der DDR gelten«, daraus entnehme ich, dass es, wo’s ums Geld geht, die DDR noch gibt.

In der Hauptstadtfrage droht der FAZ-Herausgeber Fack den Berlinern an, falls sie wieder mehrheitlich rot-grün wählen, »wird Bonn das Rennen machen« (19.10.).

In Moskau stellte vergangene Woche Abel Aganbegjan Gorbatschows Wirtschaftsprogramm vor. G sei tatsächlich »der Hauptautor des Dokumentes«; er habe mehrere Tage daran gearbeitet, und »jeder Punkt wurde mit ihm abgesprochen«. Laut TASS ist es nun klar: »Es wird keinen Kapitalismus in der UdSSR geben.« Die einzelnen Republiken sollen über das Tempo der Durchführung entscheiden sowie über »Sein oder Nichtsein« des Privateigentums an Boden.

Die Hass-Reaktion habe ich ja in Dubrovnik zu spüren bekommen, etwa aus dem Munde von Valerij Podoroga. In Moskau gründete sich jetzt eine »Demokratische Union« als antisozialistische Sammlungsbewegung.

Bourgeoise Ausbeutungskritik. – Nach dem Sturz des ›realsozialistischen‹ Sicherheitsstaats eröffnet Ernst-Otto Maetzke in der FAZ (19.10.) eine neue Front, die er, den Sozialismus beerbend, als Front des Kampfes gegen Ausbeutung artikuliert: »Nicht mehr die Herrschenden saugen den Bürger aus, […] sondern die Bürger erwürgen den Staat mit Ansprüchen.« Diese Gefahr malt er als tödlich: »Der realexistierende Sozialismus ist untergegangen; die realexistierende Demokratie ist nicht davor gefeit«. Anlass für das Alarmgeschrei ist, dass die Reichen mehr Steuern zahlen sollen. Die Haushaltskrise in den USA und der Generalstreik in Griechenland dienen als Demonstrationsobjekte.

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Nicht vergessen: Die Zensurgeschichte, die mir Wladimir in Dubrovnik erzählt hat. Als er die Fernseh-Diskussion »Marx-Lenin-Gorbatschow« übersetzt hatte, veranlasste Frolow die Streichung eines einzigen Satzes, und zwar einer Äußerung von mir: Als Nelly Motroschilowa mir vorgehalten hatte, es sei schade, dass ich die sowjetische Philosophie-Literatur in den »Woprossy« nicht verfolgt habe, sagte ich: »Das war, als müsste man in einem Heuhaufen nach einer Stecknadel suchen.« Anscheinend fühlte er sich mit-gemeint.

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