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3. Sokrates über den Lohn des "wahrhaft Regierenden“ (345 e – 347 e)

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Bevor Sokrates aber mit der eigentlichen Widerlegungsarbeit beginnt, greift er noch einmal den "wahrhaft Regierenden“ auf, den Thrasymachos ja zur Illustration seiner Ausgangsthese, daß Gerechtigkeit der Vorteil der Regierenden sei, in die Diskussion eingeführt hatte. Er geht dann zu einer allgemeinen Bestimmung der teleologischen Struktur von Dienstleistungshandlungen über und zeigt, daß es durchaus sinnvoll ist, bei diesen Handlungen spezifische, sie definierende Zwecke von allgemeinen, unspezifischen Zwecken zu unterscheiden. Mit jeder Tätigkeit etwa kann man seine Zeit vertreiben, aber keine Tätigkeit läßt sich durch das Ziel des Zeitvertreibs hinreichend bestimmen; mit jeder Tätigkeit kann man seinen Lebensunterhalt verdienen, aber selbst wenn man sie um des Lohnerwerbs willen gelernt hat und ausübt, zeigt man sich nicht dann als ein Meister, wenn man sie allein um des Eigennutzens willen ausübt, sondern wenn man sie ihren immanenten Zweckbestimmungen und Gelingensnormen entsprechend ausübt, wenn man den normativen Erwartungen der Kunden, Klienten und Anbefohlenen, aller, die diese Dienstleistung benötigen und für sie zahlen, entspricht. Der Sinn dieser Überlegung ist klar: daß man sich für seine Dienstleistungen entlohnen läßt, diskreditiert nicht die These, daß die Ausübung der Tätigkeit immer in der Bereitstellung des den Kunden, Klienten und Anbefohlenen Zuträglichen und Nützlichen gipfelt.

Um diesen Gedanken zu bekräftigen, schiebt Sokrates eine kleine Reflexion über den Lohn des Regierens ein. Während Thrasymachos sich sicher ist, daß die wahrhaft Herrschenden aus freien Stücken regieren (345 e) – wie sollte es auch anders sein, wenn die Übernahme der Herrschaft nichts anderes ist als die Übernahme eines Selbstbedienungsladens –, besteht Sokrates darauf, daß die wahrhaft Regierenden ohne Entlohnung nicht ihr Amt übernommen hätten. Und auch das ist unter seinen Voraussetzungen verständlich: wenn ein wahrhaft Regierender sich in der Sorge um das Wohl der Beherrschten, der Bürger aufreibt und nicht an sich selbst denkt, muß ihm ein Lohn für seine Mühen zuteil werden: "entweder Geld oder Ehre, oder aber Strafe, wenn es einer nicht tut“ (347 a). Die Besten aber sind nun weder sonderlich ehrbegierig noch auf Geld aus, ihr Lohn kann ihnen darum nicht auf die übliche Weise und in gewöhnlicher Münze ausgezahlt werden. Schon hier schimmern die Umrisse des platonischen Philosophenherrschers durch, der zwar den menschlichen Dingen sorgenvoll zugewandt ist, selbst aber den Niederungen ordinärer menschlicher Bedürftigkeit weit entrückt ist. Während jede andere Fertigkeit nicht darunter leidet, daß ihr Lohn im üblichen Sinn zuteil wird, hat das wahre Regieren mit der konventionellen Entlohnungspraxis also nichts zu tun. Hier kann der Lohn nur paradox bestimmt werden, nämlich als Strafvermeidung. Die Besten, die weder ehrsüchtig noch geldgierig sind, werden allein durch Strafe zum Regieren gebracht werden können, durch die Strafe nämlich, von Schlechteren, als sie es selbst sind, regiert zu werden. Damit hat Sokrates abermals eine These des Thrasymachos in ihr Gegenteil verkehrt: nicht nur hat ein wahrhaft Herrschender immer den Nutzen der Beherrschten im Auge, er ist überdies so wenig auf seinen Vorteil bedacht, daß er einzig durch die Aussicht, durch Schlechtere als ihn selbst regiert zu werden, zur Übernahme des Herrschaftsamts bewegt werden kann.

Die Zurückweisung der thrasymacheischen These, daß Ungerechtigkeit eine vorteilhafte Strategie zur Mehrung des eigenen Wohls sei, der Ungerechte daher klug, tüchtig und sogar bewundernswert, der Gerechte hingegen einfältig, schwach und mitleiderregend, stützt Sokrates auf drei Argumente: auf das Pleonexie-Argument, auf das Kooperationsargument und auf das Ergon-Argument. Keines dieser Argumente vermag für sich die These des Sophisten in Bedrängnis zu bringen; und auch im Verein vermögen sie nicht, Thrasymachos zu Fall zu bringen. Daß er sich schließlich geschlagen gibt, ist allein der platonischen Inszenierung, nicht jedoch der Qualität der sokratischen Argumente zuzuschreiben. Diese Schwäche überrascht um so mehr, als wir es hier ja nicht mit einer sophistischen Extravaganz zu tun haben, die man mit einem Achselzucken als weit hergeholt, bizarr und idiosynkratisch abtun könnte, sondern mit einer weit verbreiteten und gut belegten Überzeugung. Die Beweise für die These, daß Ungerechtigkeit die rational vorzugswürdige Strategie ist und Gerechtigkeit sich nicht auszahlt, liegen auf der Straße. Nicht nur der Sophist ist hier zu widerlegen, auch der Moralskeptizismus des common sense.

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