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7. Der Sophist und der Philosoph

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Daß Thrasymachos nicht im mindesten durch Sokrates überzeugt worden ist, zeigen seine Ironie und sein abwehrend-lustloses Verhalten mit Deutlichkeit. Was hat ihn aber dann aus dem Gespräch gedrängt, wenn es nicht das überlegene Argumentationsverhalten des Sokrates war, wenn es nicht das offensichtliche Scheitern seiner eigenen Position war? Offenkundig betrachtet Thrasymachos das Gespräch als sinnlos und reine Zeitverschwendung. Das kann man als Parteinahme für die Philosophie interpretieren und noch einmal auf den tiefen Graben zwischen sophistischer Intellektuellenexistenz und philosophischem Lebensernst hinweisen. Dann zöge letzlich der Sophist sich vor der philosophischen Wendung des Gesprächs zurück; der Sophist ist an den Tatsachen des Lebens, an der sozialen Erfolgsmechanik, an der gesellschaftlichen Funktion der Moral interessiert; seine Hintergrundüberzeugungen weichen nicht allzusehr von der flachen Alltagsmetaphysik des common sense ab. Für den von Sokrates angesteuerten Begründungsdiskurs, für die Belange eines philosophischen Ausgriffs auf tieferen Grund und konturierteres Hintergrundprofil besitzt er sowenig Sinn wie Interesse. Letztlich hat er keine Nerven für die Philosophie. Diese, das ist selbst den knappen und gelegentlich hakenden Äußerungen Sokrates’ während der Eröffnungsphase des Dialogs zu entnehmen, geht solche Fragen wie die nach der Gerechtigkeit nicht unmittelbar und Arm in Arm mit den common-sense-Überzeugungen an, sondern vor dem Hintergrund einer umfassenden Theorie über Mensch und Gesellschaft, über Seele und Erkenntnis, die ausgebreitet werden müßte, um der gerechtigkeitstheoretischen Argumentation Halt und Stärke zu geben. Die Philosophie jedoch, in ein unerquickliches Scharmützel mit dem forschen sophistischen oberflächenkompetenten Realismus verwickelt, mußte sich unter Wert und Niveau darstellen und somit gegen ihr eigenes Interesse handeln. So beenden beide, der Philosoph wie der Sophist, das Gespräch voller Unzufriedenheit.

Nicht jeder kann eben mit jedem reden. Nicht allein, daß Platons Dialoge kein ubiquitär anzuwendendes Erkenntnismittel zur probaten Didaktisierung philosophischer Einsichtsgewinnung sind, sie sind häufig genug auch Lehrstücke über die Grenzen dialogischer Verständigung und die vordialogischen Voraussetzungen gelingender Unterredung, die durch die Unterredung selbst offenkundig weder erzeugt noch regeneriert werden können. Ein sinnvolles philosophisches Gespräch bedarf bestimmter Voraussetzungen; und deren sicherlich nicht geringsten sind Ernsthaftigkeit und eine grundlegende Empfänglichkeit für die zumutungsvolle Eigentümlichkeit philosophischen Fragens und Antwortens und die damit notwenig verbundenen grundbegrifflichen und großformatigen konzeptuellen Rahmungen. Diese Voraussetzungen besitzt der Sophist nicht. Deswegen disqualifiziert er sich letztlich nicht durch die Unfähigkeit, sich überzeugen zu lassen, nicht durch die Unfähigkeit, bessere Argumente zu erkennen, sondern durch die Unfähigkeit zu philosophischem Ernst. Demjenigen, der im Rahmen interessenmaximierender Strategien denkt, kann die Wichtigkeit der Frage nach der Weise angemessener Lebensführung nicht aufgehen. Denn schon darum kann er sich nicht durch die Unfähigkeit, sich besseren Argumenten zu unterwerfen, disqualifizieren, weil Sokrates keine besseren Argumente geboten hat. Der Widerlegungseffekt seiner Auslassungen ist äußerst dürftig. Letztlich hat Sokrates sich bislang damit begnügt, die einzelnen Thesen des Sophisten durch ihr jeweiliges Gegenteil zu ersetzen. Diese Widerlegungskasuistik ist freilich kein Ersatz für die Bestimmung der Gerechtigkeit an sich selbst, für die Wesensbestimmung der Gerechtigkeit. Keiner weiß besser als Sokrates selbst, daß er keine gewichtigen philosophischen Argumente vorgebracht hat, daß eine philosophische Klärung des Problembestandes immer noch aussteht, daß die ausgesparte Wesensbestimmung letztlich auch die ohnehin nur scheinbaren Erfolge auf den Nebenkriegsschauplätzen der eudämonistischen Abschätzung der Gerechtigkeitseffekte vollständig zunichte macht. Und das sagt er dann auch: von einem Thema sei er unsystematisch zum nächsten gesprungen, und nichts sei dabei herausgekommen; das Ergebnis des Gesprächs sei für ihn nur: "daß ich überhaupt nichts weiß. Denn solange ich nicht weiß, was das Gerechte ist, werde ich schwerlich zu einem Wissen darüber gelangen, ob es eine Tüchtigkeit ist oder nicht, und ob der, dem es innewohnt, unglücklich ist oder glücklich“ (354 c). Damit zieht er redlicherweise also auch alle Einzelargumente zurück, die sich bislang gerade dem Nachweis dieser Thesen gewidmet hatten, daß nämlich die Gerechtigkeit eine Tüchtigkeit sei und denjenigen, der sie besitzt, glücklich mache. Auch die sich anschließende Unterhaltung mit den Platon-Brüdern Glaukon und Adeimantos liefert noch nicht die philosophische Wesensbestimmung, die von Thrasymachos eingeklagte Antwort des Sokrates auf die von ihm selbst aufgeworfene Frage nach dem Wesen der Gerechtigkeit; vielmehr wird mit dieser Unterhaltung die Erörterung der eudämonistischen Auswirkungen der Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit aus dem Thrasymachos-Gespräch auf beträchtlich höherem Niveau fortgesetzt und Sokrates erneut veranlaßt, den guten eudämonistischen Ruf der Gerechtigkeit zu retten.

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