Читать книгу PUNKTUM. - Wolfgang Priedl - Страница 22
*
ОглавлениеAuf dem Parkplatz ist wieder Ruhe eingekehrt. Das Zelt ist abgebaut, nur mehr ein Einsatzfahrzeug zu sehen. Langsam streckt sich der lange Schatten des Flammenkogels über den See und das Hotel. Keine einzige Wolke zeigt sich am Himmel.
Claudia und Peter haben auf der Terrasse Platz genommen. Der alte Thilo kommt zu ihrem Tisch und erkundigt sich, ob sie einen Getränkewunsch haben.
»Ich hätte gerne ein Bier. … auch wenn ich noch im Dienst bin. Meine Kehle könnte man mit der Sahara vergleichen. Trocken – trockener – am durstigsten«, scherzt Peter.
»Vom Fass oder Flasche?«
»Vom Fass bitte. Claudia, ich lade dich ein. Was hättest du gerne?«
»Vorab ein Mineralwasser, groß und prickelnd. Und danach einen Aperol-Spritz.«
»Kommt sofort … «, antwortet der Alte.
»Äh, verzeihen Sie, ist Ihr Sohn in der Nähe. Ich würde ihm gerne ein paar Fragen stellen.«
Der betagte Thilo hält inne und dreht sich langsam zu Peter. »Wenn es nicht sein muss. Er hat sich niedergelegt, es geht ihm miserabel.«
»Miserabel?«
»Ja, miserabel. Er hat sich übergeben. Ich glaube, der Leichenfund hat ihm zu sehr zugesetzt … «
»… Lassen Sie ihn schlafen. Nicht so wichtig. Andere Frage, haben Sie noch Zimmer frei?«
»Ja. – Fünf Räumlichkeiten haben wir immer bezugsfertig hergerichtet. Wollen Sie Einzel- oder ein Doppelzimmer?«
»Zwei Einzelzimmer bitte«, antwortet der Kriminalist. Thilo schmunzelt.
»Ich bringe Ihnen sofort die Schlüssel.«
Als der Wirt außer Sichtweite ist, sagt Peter zu Claudia: »Der … wie heißt er doch gleich? … Ach ja, Norman Bergmann, der scheint ja von sensibler Natur zu sein. Würde man bei seiner Körperstatur gar nicht vermuten. So kräftig und wohlgenährt, wie der aussieht.«
»Kann ja nicht ein jeder mit solch einem Nervenkorsett ausgestattet sein, wie deiner einer«, schmeichelt ihm Claudia.
Der Kommissar holt tief Luft und sagt förmlich: »Ich muss noch ein wenig arbeiten. Ich möchte gerne mit meinem Boss telefonieren und die Notizen ordnen … «
»Absolut kein Problem. Den Artikel für die Zeitung habe ich bei aller Aufregung beinahe vergessen. Aber der ist schnell getippt. Schlage vor, erst die Arbeit, dann das Vergnügen.«
»Klingt gut. So machen wir das. Ich brauche nicht lange.«
Claudia steht auf und am Weg zur Gaststube, wo sie vormittags ihren Computer deponiert hatte, nimmt sie Thilo den Schlüssel und den Aperol-Spritz ab. Sie setzt sich an den Tisch neben dem Eingang. Als sie die Tageszeitung anhebt, merkt sie, dass ihr Diktafon noch immer läuft. Sie schaltet es ab, öffnet den Laptop und beginnt zu tippen.
Headline: Mord am Flammenkogel?
Copy: Heute Morgen fand ein Fischer eine tote Frau, Mitte 50, am Fuße der Erlöserwand. Die Wanderin dürfte von der Ausblickplattform »Seeblick« gestürzt sein. Die Bergung der Leiche gestaltete sich sehr aufwändig. Sie musste mit Booten geborgen werden. Die gerichtsmedizinische Untersuchung geht zwar von Selbstmord aus, jedoch sind auch Hinweise auf ein Fremdverschulden entdeckt worden. Die Identität gibt der Polizei weitere Rätsel auf. Die Tote hatte weder Ausweis noch ein Mobiltelefon bei sich. (Eigenbericht / Claudia Bigler)
Kaum hat sie den Bericht fertig getippt, drückt sie auf >>SEND<<.
»OOOPS«, entfährt es ihr.
Holzinger blättert in seinen Notizen, als der alte Wirt zum Tisch kommt. »Bitte sehr, ein Frischgezapftes. Lassen Sie es sich schmecken … So hier noch der Schlüssel für Ihr Zimmer. Ist gleich neben dem des Fräuleins. Ist zwar ein Doppelzimmer, aber ich verrechne Ihnen selbstverständlich nur den Einzelzimmerpreis. Ist einfacher beim Saubermachen«, grinst Thilo verschmitzt. »Ich hoffe, die Verbindungstür ist abgeschlossen, wenn nicht, dann geben sie mir Bescheid … «. Das Grinsen des Alten wird stetig breiter. »… und hier habe ich die gewünschte Liste, Sie wissen schon, die mit den Namen.«
»Vielen Dank«, sagt Holzinger und greift nach dem Bier. Mit der anderen Hand nimmt er das Blatt und wirft einen Blick darauf. Er gönnt sich einen tiefen Zug aus dem Bierglas. Der erste Schluck Bier ist immer noch der Beste, philosophiert er insgeheim und wendet sich an den Wirt. »Herr Bergmann, wo kann ich die Leute erreichen? Ich bräuchte deren Adressen.«
»Oh, die einzelnen Häusernummern habe ich jetzt nicht im Kopf. Brauchen Sie die Anschriften heute noch?«
»Nein, nicht heute. Ich will nicht bis Mitternacht unterwegs sein, und die Leute haben am Wochenende sicher etwas anderes vor, als zuhause herumzusitzen. Morgen reicht.«
»Wollen Sie nicht zur Messe ins Dorf fahren? In der Früh, um 8:00. Da werden Sie die meisten antreffen.«
»Ja, das ist eine gute Idee … «
»Warten Sie … «, unterbricht ihn der tranige Thilo und kramt umständlich sein Telefon unter seiner grünen Schürze hervor. »Ich rufe den Jagdaufseher an. Er wird die anderen verständigen, damit Sie morgen zur Messe nach Lengthal kommen. Unser Pfarrer freut sich sicher über ein vollgefülltes Haus«, sagt alte Wirt, während er grinsend eine Nummer ins Mobiltelefon tippt.
»Das würden Sie für mich tun?«
»Selbstverständlich … Moment. Thilo hier. Du, die Polizei muss mit jedem, der am Freitag hier war, reden. Könntest du sie über dein Programm am Telefon informieren, dass sie in die 8:00 Uhr Messe kommen? … Ja, es geht um die Tote, die Norman heute früh gefunden hat … OK, vielen Dank. Vielleicht komm ich auch, aber ich habe meine Aussage ja schon gemacht. Waidmanns Heil. … Dir auch.«
»Ist gebongt. Er verständigt die anderen. Via ›Wotsepp‹ – oder so ähnlich. – Haben Sie ja mitgehört. – kann ich sonst etwas für Sie tun?«
»Nein danke. Sie haben mir sehr geholfen«, erwidert Peter dankbar.
»Ich schicke Ihnen nachher meinen Sohn vorbei, sollte er sich heute Abend nochmals blicken lassen. Aber wie schon gesagt: Es hat ihn ziemlich umgehauen. Sie müssen wissen, tatsächlich ist mein Sohn hochsensibel. Ich weiß, er macht nicht diesen Eindruck. Aber so ist er nun mal.«
»Danke, danke, es läuft mir nichts davon. Es reicht morgen in der Früh. Richten Sie ihrem Sohn meine Genesungswünsche aus«, ruft er Thilo nach, der einen Arm hebt, um sich zu bedanken.
Holzinger blättert nochmals seine Notizen vom Anfang bis Ende durch. Schließlich greift er zum Telefon und wählt Hauptkommissars Tomacics Privatnummer.
»Ja bitte?«
»Servus Richard. Peter spricht.«
»Grüß dich. Wo brennt’s? Läuft alles?«
»Ich bin noch beim See … «
»Warum das? Gibt es ein Problem?«, will Richard neugierig wissen und schaut auf seine Uhr.
»Keines und viele. Ich möchte dir ein kurzes Update geben, was hier so abgeht: Hör zu: Also die Tote scheint von der Aussichtsplattform gesprungen zu sein. Extreme Höhe! Aber Fremdverschulden ist auch nicht auszuschließen. Die Leiche ist derart verunstaltet, dass wir sie bis jetzt nicht identifizieren konnten. Hier am See wird sie von niemanden vermisst. – Bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt. – Die Spurensicherung hat ein Mobiltelefon gefunden, mit leerem Akku, aber das könnte auch ein Wanderer, oben bei der Plattform, verloren haben. Die Kollegen kümmern sich schon darum. Sie werden versuchen, es zu laden und zu aktivieren, sollte es … «
»... Heißt das, dass die Tote keinen Ausweis bei sich hatte? Das wäre seltsam.«
»Ist leider so, wir haben weder eine Handtasche, noch ein Fahrzeug am Parkplatz gefunden, das zur Identifizierung beitragen könnte.« Peter blättert in seinen Notizen. »Ja – noch etwas. Die Leiche hat am Hinterkopf eine stumpfe Platzwunde, in der man Holzsplitter gefunden hat. Rühren wahrscheinlich von einem Schlag mit einem Ast her oder von einem der dürren Bäume, die sich in der Steilwand wachsen. Die Kollegen kommen morgen nochmals her. Mit Alpinausrüstung.«
»Die Kollegen kommen nochmals? Du hast vor, im Berghof zu übernachten? Überstunden … «, seufzt Richard.
»… Ja, die Kollegen werden sich morgen über die Steilwand abseilen und nach weiteren Spuren suchen. Das auch deshalb, weil Schleif- oder Rutschspuren oben gefunden wurden. Könnten sogar von einem kurzen Kampf herrühren … «, versucht Peter die Gedanken seines Chefs wieder auf die Ermittlungen zu konzentrieren.
»Verstehe ich dich richtig, du vermutest tatsächlich ein Gewaltverbrechen?«
»Glaube es zwar nicht, aber wie hat mein Lehrmeister, der alte Tomacic, immer gemeint: Wenn du ein ungutes Gefühl im Bauch hast, überprüfe es. Deshalb bleibe ich jetzt bis morgen hier … «
»… Ich hab’s befürchtet … «, fällt ihm Richard ins Wort.
»Ich übernachte im Berghof und in der Früh spreche ich mit dem Pfarrer, den man um die fragliche Zeit hier gesehen hat. Mit den Restaurantgästen ebenso. Ich werde sie alle, morgen, in der heiligen Messe im Dorf treffen. Ist schon arrangiert. Wird ein ›Early Bird‹.«
»Das klingt höchst merkwürdig. Du in einem Gottesdienst? Dann kannst du gleich beginnen deine Sünden zu notieren. Nimm aber ein großes Blatt Papier und schreibe mit kleiner Schrift … «, lacht Richard ins Telefon. »… Spaß beiseite. Das ist alles sehr aufwändig. Ich hoffe für uns beide, dass es sich nur um Schall und Rauch handelt, du weißt, ich möchte mich in Ruhe von meinem Job verabschieden und keine offenen Fälle hinterlassen. Ungeachtet dessen tu, was du für nötig hältst. Ich stehe hinter dir. Wenn du mich morgen brauchst, rufe mich jederzeit an. Ich verständige vorab die Staatsanwaltschaft. Schauen wir Mal, was sie zu dem Fall sagt. … Ansonsten sehen wir uns am Montag in der Früh, in alter Frische, im Büro. … «
»… Passt. Ich halte dich am Laufenden. Ciao.« Peter legt auf und atmet tief durch.
Er überfliegt nochmals seine Aufzeichnungen. Wo hat er nur den ›Priester‹ notiert, fragt er sich. Zuletzt findet er die Stelle: Pfarrer kommt von Plattform. Ist in Eile. – Bierführer trinkt Mineral an Theke …
›Muss Norman nach der genauen Uhrzeit fragen‹, vermerkt Peter am Ende der Liste, als er plötzlich eine Hand auf seiner Schulter spürt.
»Na, kommst du voran?«, fragt ihn Claudia neugierig.
»Ja. Ab sofort bin ich im Freizeitmodus. Ich habe mit meinem Chef telefoniert, habe ihn auf den neusten Stand gebracht. Er ist mit den von mir getroffenen Entscheidungen zufrieden. Als ich mit ihm sprach, hatte ich den Eindruck, als hörte ich ständig das leise Klingeln einer Registrierkasse in seinem Hinterkopf. So als wollte er mich darauf hinweisen, dass er derjenige ist, der meine Spesenabrechnung unterschreibt. Und wie sieht es bei dir aus?«
»Habe fertig«, scherzt sie. »Habe nur einen kurzen Artikel geschrieben … «
»Zeig her, ich muss ihn dir ja freigeben? Oder?«
»Äh …. Ja, das musst du«, antwortet Claudia, die insgeheim gehofft hat, dass Peter ihre Vereinbarung nicht so wörtlich nehmen würde. Sie öffnet ihren Computer und zeigt ihm den Artikel. Er liest und runzelt die Stirn.
»Wo hast du denn das mit dem Fremdverschulden her?«, fragt er Claudia streng.
»Wer Ohren hat, kann hören«, antwortet sie keck. »… und wer mitdenkt, der kann kombinieren.«
»Also, ich weiß nicht, ob ich diese leise Vermutung in der Presse lesen will.«
Claudia massiert Peters Nacken, beugt sich zu seinem Ohr und flüstert: »Was wäre die Welt ohne Fake-News? Langweilig. Ein bisschen Flunkern muss erlaubt sein, erhöht die Auflage ungemein … «
»Meinetwegen. Schicke es ab«, antwortet Peter und drückt seiner Freundin ein Küsschen auf die Wange. Erfreut bedankt sie sich, klappt ihren Laptop zu und setzt sich zu ihm.
»Und wie legen wir jetzt den angefangenen Abend an?«, schnurrt Claudia.
»Ich schlage vor, wir gehen zum Steg hinunter, setzen uns auf diese Bank unter der Trauerweide und genießen das letzte Tageslicht. Anschließend dinieren wir hier im Restaurant. Heute gibt es ja Forellen, steht zumindest dort unten auf der Tafel. Und für hinterher fällt uns sicherlich auch noch etwas ein.«
»Au ja, Forelle. Habe ich schon lange nicht mehr gegessen. Ein großartiger Vorschlag. Und für nachher bin ich mir ganz sicher, dass uns da etwas einfällt«, lacht Claudia begeistert.
Plötzlich hören sie Thilos Stimme neben sich: »Darf ich den Herrschaften noch etwas bringen?«
»Nein danke, wir sind bestens versorgt. Aber … wir würden gerne in einer Stunde Abendessen. Die Forellen haben es uns angetan … «
»… Forellen? Ich muss sie leider enttäuschen. Wir haben nur mehr ein fangfrisches Stück von heute Morgen. … Wegen dem Unfall sind wir nicht mehr dazugekommen, nochmals auf den See … «, fällt ihm Thilo ins Wort.
»… das ist jetzt schade … dann für mich ein Steak. Geht das?«
»Durchgebraten, medium oder rare?«
»Medium rare, mit Pfeffersauce und Bratkartoffeln.«
»Ja, kein Problem, ein Pfeffersteak und Ihnen, mein liebes Fräulein, empfehle ich: Forelle-Blau mit Salzkartoffel und grünem Salat.«
»Klingt ausgezeichnet. Das nehme ich«, stimmt Claudia dem Vorschlag zu.
»Ach ja, wie es aussieht, haben Sie ja kein Gepäck dabei. Falls Sie ein frisches Leibchen benötigen, Sie finden jeweils ein T-Shirt aus unserem Souvenirshop auf ihr Zimmer. Einwegzahnbürsten sind im Badezimmer.«
»Sehr aufmerksam. Ich habe zwar einen ›Notfallkoffer‹ immer dabei, aber ich befürchte, dass ich lediglich frische Unterwäsche eingepackt habe. Ich für meinen Teil, nehme ihr Angebot an. – Äh, welche Farbe hat denn das T-Shirt?«, erkundigt sich Claudia.
»Dunkelgrün, mit gesticktem gelbem Berghof-Logo«, ergänzt Thilo und zeigt auf seine Schürze.
»Super, dann sind wir ja morgen im Partnerlook unterwegs«, antwortet Peter mit einem breiten Lachen.
Das Abendessen schmeckte hervorragend, obwohl Thilo anstelle von Norman die Pfannen in der Küche schwang.
Vom Alkohol beflügelt gehen die beiden auf ihre Zimmer. Als Claudia die unversperrte Verbindungstür entdeckt und obendrein sieht, dass Peter ein Doppelbett zur Verfügung hat, lacht sie laut auf, um im nächsten Augenblick eine ernste Miene aufzusetzen: »Das hast du aber fein eingefädelt. So ganz hinter meinem Rücken … Du glaubst doch nicht, dass das so einfach ist. Dass ich so leicht zu haben bin.«
Claudia dreht sich um, schlägt mit einem lauten Knall die Verbindungstür zu und lächelt amüsiert.
Peter hingegen ist perplex. Jedenfalls hat er ihr mehr Humor zugetraut. War es nicht sie, die ihm den ganzen Tag Avancen gemacht hat? Hat er sich nicht stets zurückgehalten und ließ sie gewähren? Und jetzt das? Peter resigniert und verschwindet zur Abendtoilette im kleinen, modern eingerichteten Badezimmer. Er nimmt eine erfrischende Dusche, danach trocknet er sich ab, und hüpft unbekleidet, in Ermangelung eines Pyjamas, in sein Bett. Er dreht das Licht ab und versucht gerade, einzuschlafen, als die Verbindungstür aufgestoßen wird.
Claudias Zimmer wird von der Nachttischlampe beleuchtet. Sie selbst steht lasziv im Türrahmen, mit einem Hauch von Nachthemd bekleidet. Ihre wohl geformte Silhouette zeichnet sich nur allzu deutlich im Hintergrundlicht ab. Peter erkennt, dass sie nichts darunter trägt.
»Ich habe gewonnen«, haucht sie.
»Irrtum. ICH habe gewonnen. Das Adamskostüm gewinnt immer«, erwidert er und wirft die Decke zur Seite.
Zu guter Letzt liegen sie eng umschlungen in der Löffelchenstellung nebeneinander.
»Haben wir jetzt auf Staatskosten geschnackselt?«, neckt ihn eine sichtlich zufriedene Claudia.
»Ich hoffe, – wenn Richard, mein Boss die Spesenabrechnung unterzeichnet«, flüstert ihr Peter ins Ohr.