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Wieder ins Gebirge ...

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Der Tag dämmerte gerade herauf, als Wolf, erfrischt von einer morgendlichen Dusche, sein einsames Frühstück im Hotelrestaurant einnahm. Einige Zeit später fuhr er auf den zu dieser frühen Stunde noch leeren Straßen der Kleinstadt wieder in Richtung Gebirge hinaus. Blau und dunstig zeichneten sich dessen Höhenzüge schon von fern über der Landschaft im Süden ab. Wolf fuhr so schnell, daß er die ersten Konturen von Bergen und Tälern bald deutlicher wahrnehmen konnte. Er trieb das Fahrzeug rücksichtslos vorwärts. Landstraßen wurden zu besseren Feldwegen. Der alte Wagen ächzte und stöhnte erbarmungswürdig in seiner spartanischen Federung, doch der starke Motor zog ruhig und zuverlässig. ‚Wenigstens auf etwas ist Verlaß‘, murmelte Wolf, während er wieder hochschaltete und den Pkw durch eine lange Senke jagte. Die Bergwälder zogen sich hier schon hinab, und er konnte, die willkommene Deckung der kühlen Baumdächer ausnutzend, die letzten Kilometer völlig unbeobachtet zu den bald aufsteigenden Berghängen vordringen. Etwa zwei Stunden nach der Abfahrt rollte sein Auto auf die gewundene Bergstraße, die ihn schon das erste Mal zuverlässig in die ihn interessierende Gegend brachte.

Er hatte die Absicht, sein Fahrzeug wieder auf dem verlassenen Umschlagplatz abzustellen. Gleichzeitig liebäugelte er jedoch mit dem Gedanken, die mysteriöse Betontraße zu finden, die er bei seinem Marsch auf das Plateau des Steinberges mehrfach überquert hatte. Diese war in dem ihm verfügbaren Kartenmaterial jedoch nicht eingezeichnet. Wahrscheinlich kam diese Straße aus einer ganz anderen Richtung zum Berg und wand sich in weiten Serpentinen durch die Wildnisse der fernen Nordhänge. Vom Umschlagplatz war sie jedenfalls nicht erreichbar. Dort endete die bekannte Zufahrtstraße. Nur die Gleise gingen früher von dort aus noch weiter. Er mußte wohl in den sauren Apfel beißen und den kraft- wie zeitaufwendigen Marsch hinauf auf den geheimnisvollen Berg erneut machen. Diesmal war er auch noch beladen mit einem schweren Rucksack. Wolf scheute nicht so sehr die körperliche Anstrengung. Ihm wäre es rein aus Sicherheitsgründen lieber gewesen, mit dem Fahrzeug näher an die Stelle seines beabsichtigten Einstieges heranzukommen.

Langsam fuhr er die ihm nun schon bekannte Bergstraße aufwärts. Hier hatte es in der Nacht geregnet. Pfützen und leichte Schlamm-strecken wechselten mit Partien grob geschotterten Bodens. Ab und an glaubte er plötzlich, halbverwischte Reifenspuren zu sehen. Er hielt an, stieg aus und ging ein Stück die Straße entlang, den Blick auf den Boden geheftet - doch da war nichts. Neben dem Weg rauschte der Waldbach, unsichtbares Wild ließ die Äste in den Tannendickichten knacken und tiefliegende Wolken zogen gegen das Gebirge. Wolf ging zum Auto zurück, angelte sich eine Zigarette aus der Windjacke, die in der Kabine hing und überlegte. Neben dem Wagen stehend, alle Sinne angespannt, glaubte er dennoch, irgend-etwas sei in der Umgebung, was von Natur aus nicht hier in die Wildnis gehörte. Sein Auto würde er jedenfalls nicht wieder, wie ur-sprünglich geplant, mitten im Gebiet des alten Umschlagplatzes abstellen, wo jeder Neugierige darüberstolpern könnte. Wolf witterte und spürte regelrecht, konnte aber im Augenblick noch nichts Ungewöhnliches lokalisieren. Er stieg wieder ein und setzte seine einsame Fahrt in die Berge fort. Doch irgendwie gewarnt, beobachtete er äußerst vorsichtig jeden vor ihm liegenden Wegabschnitt, und im geöffneten Handschuhfach glänzte jetzt griffbereit der dunkle Griff einer Armeepistole ...

Am gleichen Morgen, an dem Wolf sich wieder ins Gebirge aufmachte, traf in dem kleinen Dorf am Rand der Bergausläufer ein Kurier ein. Der durch einen übergeworfenen Kapuzenanorack fast völlig vermummte Mann klopfte vorsichtig in einem bestimmten Rhythmus an Pawleks Hintertür. Er kam wie ein Gespenst aus dem Dunst der nahen Felder. Ungesehen hatte er den Dorfrand erreicht, an dem Pawleks kleiner Hof lag. Als sich im Haus nichts tat, wiederholte er das Klopfen nochmals schärfer. Endlich kam Bewegung hinter die Tür. Nur ein kurzes Codewort, schon öffnete sie sich einen Spalt. Der Vermummte schob einen braunen Umschlag hinein, nachdem er sich versichert hatte, daß auch wirklich Pawlek öffnete und mit dem richtigen Gegenwort antwortete. Er zischte ihm nur noch ein kurzes „Sofort!“ zu und verschwand im Morgennebel hinterm Haus, als hätte es ihn nie gegeben.

Der vorläufige Empfänger des kleinen, versiegelten Umschlags stand in Schweiß gebadet. Hatte er doch gerade eine schlaflose Nacht hinter sich. Und das bedeutete erneut nichts Gutes. Irgendetwas war in Gang gekommen. Sicherlich gab man die Anlage auf, ging es ihm durch den Sinn. Was sollte der Alte auch da oben in den Bergen noch? Das Blatt ließ sich nicht wieder wenden. Da konnte man lange in unterirdischen Bunkerzentralen hocken, auch wenn diese noch schier ewige Zeit funktionieren mochten. Doch dies alles würde auch Veränderungen für ihn mitbringen, die er noch nicht abzusehen vermochte.

Minuten später war er am versteckten Nachrichtengerät und sandte seine kurze Botschaft in die Basis. Die Antwort kam umgehend. Pawlek fluchte. Er mußte sofort nochmals in die Berge und das Dokument in den toten Briefkasten bei dem geheimen Personeneingang hinterlegen.

„Wo willst Du nun schon wieder hin?“ knurrte ihn seine Frau an, die halbverschlafen im Nachthemd im kleinen, dunklen Flur des Hauses auftauchte. „Ich muß noch mal weg“, antwortete ihr Mann verbissen, „Bin bald zurück“.

„Immer wieder kriechst Du da hoch in die Berge. Denkst scheinbar gar nicht mehr an Deine Familie“, keifte die dunkelhaarige Frau zurück. „Die Zeit ist endgültig vorbei, begreift Ihr das nicht. Du willst uns wohl alle noch ins Unglück stürzen? Ich habe jedenfalls keine Lust, auf Transport nach Sibirien zu gehen!“

„Schwätz du nur, verstehst es eh‘ nicht“, konterte Pawlek erzürnt. „Glaubst‘ vielleicht, ich renne aus Jux und Dollerei wieder los! Es muß halt‘ sein. Wird wohl alles auch nicht mehr lange dauern.“ Klatschend schloß sich die hölzerne Tür hinter ihm.

„Dieser Wahnsinnige...“, murmelte die Frau noch, ehe sie wieder in der niedrigen Schlafstube verschwand.

Das Erbe

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