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Der Zwischenfall

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Die Alarmmeldung einer der von ihm höchstpersönlich nach-installierten Sicherheitsanlagen erreichte Kommandant Hahnfeld, als er gerade wieder die Zentrale verlassen wollte, um seine persönlichen Unterkunftsräume aufzusuchen. Das plötzliche durch-dringende Summen, verbunden mit einem hektisch aufleuchtenden roten Blinklicht, ließ ihn regelrecht erstarren. Von dieser Warnanlage wußte außer ihm niemand. Er hatte nach dem Herbst 1947 alle Sicherheitseinrichtungen gründlich untersucht und sie um seine eigenen Konstruktionen ergänzt. Immerhin saß er hier völlig allein in der Basis. Zwar hatte er hier einige Machtmittel zur Verfügung, von denen die Alliierten da draußen wahrscheinlich nicht einmal ansatzweise etwas ahnten, aber vor folgenschweren Überraschungen mußte er sich dennoch hüten.

Blitzartig reagierend beobachtete Hahnfeld aufmerksam die Anzeigen, die ihm den genauen Auslösungspunkt des Alarms im gesamten System der riesigen Untergrundbasis zeigten. In der Art des Weichenbildes eines Stellwerks waren hier alle sensiblen Tunnel, Versorgungsgschächte, Hallen usw. dargestellt. Und dies alles mehrfach, entsprechend der verschiedenen Ebenen. Und das hetische, rote Blinken kam aus den Laboratorien der Ebene V.

Der Major nahm es mit einem leichten Grausen wahr. Er wußte natürlich, was man dort zu schaffen versucht hatte. In seinen Augen war dies das Teufelswerk einiger irrer Wissenschaftler. Er konnte persönlich sich nie mit dem Gedanken anfreunden, irgendwelche seelenlose, wenn auch fast unverwundbare Kreaturen zu befehligen und sie in den Kampf zu schicken. Das war ihm alles andere als geheuer. Bei den Landsern und ihren Offizieren wußte er wenigstens halbwegs, woran er war. Aber so etwas ... Er schüttelte sich. Eine hintergründige Angst machte sich in ihm breit.

‚Keine Panik!‘, befahl er schließlich sich selbst. Sollten die Kreaturen durch irgendeinen Defekt sich wahrhaftig selbständig gemacht haben, konnte er dies im Moment jedoch nicht ändern. Es galt nun aber, dies schnellstens festzustellen. Er hatte die Laboratorien, seitdem sie die Wissenschaftler nun schon vor langen Jahren verließen, nie wieder betreten. Der Weg von der Zentrale bis dorthin war jedoch relativ weit, selbst wenn er den Expreßlift hinunter zur Ebene V benutzte. Es blieben dann noch immer lange Tunnelstrecken, in denen er so gut wie ungeschützt und fast ohne jede Deckung wäre.

Hahnfeld überlegte nun krampfhaft. Sich selbst durfte er keinesfalls gefährden. Sein überraschender, unnatürlicher Tod würde, aufgrund des an seinem Körper angebrachten Sensors und kleinen Senders, nur wenige Stunden später die nukleare Vernichtung der Basis zur Folge haben. Das war sozusagen die ultimative und letzte Sicherheitsoption überhaupt, die man schuf, um, bei einem Eindringen des Gegners in die Basis, so unwahrscheinlich dies auch war, einen Zugriff auf die hier ruhenden wichtigen Geheimnisse des Reiches zu verhindern und ihn gleichzeitig umfassend zu vernichten. Träfe ihn bei einem Angriff z.B. ein überraschender Schuß oder eine andere Verwundung und er würde handlungsunfähig, ginge die Anlage in einen für Eindringlinge überaus verderblichen Selbstschutzzustand über. Und eine Stunde später aktivierte sich dann automatisch der Zündmecha-nismus des Atommeilers, sofern der Prozeß nicht von Hand abgebrochen wurde. Große Vorsicht war daher angebracht.

Hahnfeld ging eilig zu den schmalen Metallschränken in der Nähe des zentralen Kontrollpultes. Er öffnete einen von ihnen. Zum Vorschein kam ein vollständiger Schutzanzug mit luftdicht verschließbarem Helm. Das plexiglasähnliche Material der Sichtscheibe blinkte matt im Schein der Lampen. Hastig nahm er den Anzug heraus, streifte ihn mühselig über und eilte zurück zur Kontroll- und Schalteinrichtung. Dort legte er einige Sperren frei und betätigte anschließend den Schalter, der die gesamte Untergrundbasis in den Zustand erhöhten Selbstschutzes versetzte. Nun schlossen sich in den mehretagigen und kilometerweiten Gangsystemen zusätzliche Schotte, verschiedene automatische Waffensysteme wurden aktiviert und absolut tödliche Fallen gingen in den aktiven Zustand über - die riesige Basis war nun zur tödlichen Bedrohung für jedes Wesen geworden, das sich unbefugt in ihr aufhielt ...

Mit einem leiser werdenden Surren verstummte der Motor der Draisine. Das Fahrzeug rollte aus und blieb endgültig inmitten des dunklen Tunnels stehen. Wolf nahm den Umstand zuerst mit Erstaunen zur Kenntnis. Dann setzte hintergründig so etwas wie ein leises, aber immer deutlicheres Unwohlsein ein. Er war von seinem Abgangsbahnhof noch nicht sehr weit gefahren. Der Rückweg zu der Halle, in der der Einstieg zum Bahnsystem lag, war noch recht entfernt. Vorsichtig stieg er aus dem kleinen Schienenfahrzeug. Er ließ den Strahl des Handscheinwerfers in beide Richtungen des Fahrtunnels leuchten, stellte aber nur Leere und allgegenwärtige Verlassenheit fest. Und kein Laut drang an seine Ohren. Eine unmittelbare Gefahr bestand offenbar nicht. Vielleicht hatte nur das Stromversorgungssystem eben gerade dieser Strecke seinen Geist aufgegeben. Das war zwar unangenehm, aber es gäbe Schlimmeres. Da mußte er eben den verbliebenen Rückweg zu Fuß antreten. Mit pochendem Herzen machte sich Wolf auf seinen unheimlichen Marsch.

Ihm war alles andere als wohl zumute. Der Rucksack mit dem wertvollen Inhalt war sicher auf den Rücken geschnallt. Den Scheinwerfer noch fester haltend, lief er eilig in den dunklen Tunnel hinein. Zurück blieb die verlassene Draisine, die nun als technisches Relikt an die Unzulänglichkeit menschlichen Tuns zu mahnen schien. Bald hatte sie die Dunkelheit verschluckt. Der Schein-werferstrahl tastete über feuchte Wände und über die funkelnden Schienenköpfe der Gleise. Wolf schritt zügig aus, wollte er doch so schnell wie möglich aus den ihm langsam anrüchig werdenden Bereichen gelangen. Schließlich sollte auch das von ihm geborgene Material schnellstens in Sicherheit gebracht werden. Eine Art leises Zischen ließ ihn plötzlich wie angewurzelt erstarren. Es kam aus der Dunkelheit des vor ihm liegenden Tunnelabschnitts und wurde zunehmend lauter und deutlicher ... Wolf spürte, wie ihm eine Gänsehaut über den Rücken kroch. Er schmiegte sich dicht an die Wand. Da sah er ganz nah den Seitengang. Mit ein paar schnellen Schritten hatte er ihn erreicht und sich darin verborgen. Er löschte die Handlampe und starrte angespannt in die Finsternis. In der Hand hielt er schußbereit die entsicherte Pistole ...

Die Anlage aktivierte sich noch immer. Schützende Metallplatten schoben sich geräuschlos von Sensoren weg, Waffenläufe fuhren aus versteckten Öffnungen der menschenleeren Tunnel- und Hallenwände heraus. Zusätzliche Kameraaugen, gekoppelt mit Bewegungsmeldern und Beleuchtungstechnik, richteten ihre Objektive vorsorglich in die Tiefe ausgedehnter Gänge. Unbemannte automatische Draisinen rollten aus verborgenen Abstellplätzen heraus und machten sich auf ihre gespenstisch-einsame Fahrt, die der direkten Kontrolle endlos langer Fahrtunnels diente. Diese speziell gepanzerten Roboterfahrzeuge zogen sehr schnell über die schmalen Gleise. An Bord hatten auch sie Kameras und von diesen gesteuerte Waffen. Ihr Fahrgeräusch glich dabei eher einem Zischen, mit dem sie über die Schienen hinjagten.

Wolf sah vom Tunnelbogen des Seitenganges aus das kleine dunkle Gefährt wie ein Gespenst aus dem Dunkel heranjagen und mit dem merkwürdigen Geräusch schnell vorbeifahren. Voller Schrecken dachte er daran, was wohl die Ursache dieser unheimlichen Begegnung sein könnte. Der Fahrstrom für seine Draisine war schließlich weg gewesen. Aber dieses offensichtlich automatische Fahrzeug hatte Strom. Oder lief es eventuell mit Akkus? Aber warum zog es plötzlich hier so schnell entlang? Eine Person war jedenfalls nicht an Bord gewesen. Und wie es gebaut war, konnte er auch keine Sitze oder ähnliches erkennen, was auf einen Personentransport hätte schließen lassen. Es dauerte nur Sekunden, da dröhnte eine schwere Salve durch den Tunnel. Es waren die Schüsse aus einer großkalibrigen Maschinenkanone, mit denen Wolf‘s stehen-gebliebene Draisine zerstört wurde. Deren Trümmer krachend und funkensprühend beiseite fegend, setzte das unbemannte Fahrzeug seine Fahrt ins Dunkel fort.

Wolf lag am Boden. Er hatte automatisch Deckung genommen. Nun wußte er überhaupt nicht mehr, was plötzlich vor sich ging. ‚Raus‘, dachte er nur. ‚Ich muß so schnell wie möglich hier raus!‘ Er begann die aufsteigende Panik zu unterdrücken. Eine wilde Flucht durch diesen Tunnel könnte zum tödlichen Verhängnis werden. Kam das Ding vielleicht zurück gerast, konnte er schnell das Opfer der Salven werden. Nicht überall öffnete sich schließlich ein rettender Quergang. Wie die Sache lag, mußte er es sowieso mit diesem versuchen. Der andere war lebensgefährlich geworden. Auch wenn er dabei wahrscheinlich weit vom eigentlich geplanten Rückzugsweg abkam. Wieder etwas Mut fassend marschierte er los ...

Erschöpft ließ Hahnfeld sich schließlich in den Sessel fallen. Gerade jetzt mußte es hier zu einem Zwischenfall kommen. Jahrelang war Ruhe gewesen. Nie hatte die Anlage selbst Probleme bereitet. Er konnte den erhöhten Sicherheitszustand nicht endlos beibehalten. In wenigen Stunden trafen die Leute ein, die das wichtigste bewegliche Objekt in der Basis abholen würden. Die versiegelte Botschaft, von Pawlek im toten Briefkasten hinterlegt, war eindeutig. Es ging nun hier zu Ende. Eigentlich müßte er jetzt den Hangar und die dort befindliche ungewöhnliche Technik kontrollieren. Was sollte er tun? Wenn das Kommando kam, konnte er nicht wie ein Depp hier sitzen und erzählen, daß es eben gerade zu Problemen mit irgendwelchen Roboterapparaturen gekommen war und sie sich nicht ungefährdet durch die Tunnels und Hallen wagen könnten. Hahnfeld fluchte, und die Zeit strich hin. Erneut gingen Signallampen auf dem Pult an. Sie zeigten aber nur, daß alle Sicherheitssysteme den erhöhten Bereitschaftszustand nun erreicht hatten und einwandfrei funktionierten.

Endlich erhob sich der Kommandant, nahm eine Maschinenpistole aus dem Waffenständer und versah sich zusätzlich mit einigen Handgranaten und etlicher Munition. Dann machte sich auf seinen gefährlichen Weg. ‚Durch Wände und stählerne Schotten werden sie wohl nicht gehen können, diese verdammten Viecher‘ überlegte er, während er sich zu einem abgelegenen Seitengang begab, dessen gepanzertes Zugangsschott halb verborgen im düsteren Halbrund der mit zahlreichen Anlagen verbauten Aggregatehalle lag, die sich direkt an die eigentliche Zentrale anschloß. Der Labortrakt, in dessen Ebene es zu dem unangenehmen Zwischenfall gekommen war, lag von hier noch immer weit entfernt. Außerdem befand er sich in einer ganz anderen Etage. Zwar gab es in bestimmten Schächten auch stählerne Treppen, aber die Zugänge waren nun alle hermetisch verschlossen. Das Übel könnte nach menschlichem Ermessen nicht weit von seinem ursprünglichen Aufenthaltsort entweichen, doch völlig sicher war Hahnfeld da keineswegs ...

„Diese verfluchten Wissenschaftler ...“, murmelte er leise vor sich hin. Es nutzte nichts, er mußte dringend wenigstens einen Blick in den Hangar tief in der basaltischen Bergkuppe werfen.

Das Erbe

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