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Das Biwak

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Die Insassen der Limousine hatten nichts bemerkt. Sie konzentrierten sich gerade auf das Erscheinen einer Felsnase am Weg. Sie lag auf der Höhe, wo der rauschende Wildbach einen kleinen, natürlichen Wassersturz über das dunkle Blockgeröll bildete. Dort sollte sich ihren Informationen nach ein kleines Geheimdepot mit Waffen und notwendiger Ausrüstung finden, die sie nur mit großen Schwierigkeiten mit ins Land hätten bringen können. Doch so war alles einfach und unkompliziert. Und wirklich tauchte da eine regennasse, zerklüftete Felswand auf, die ein Stück aus den dichten Bäumen am linken Wegrand herausschaute. Sie hielten. Der Beifahrer stieg aus und suchte das Depot, während der Fahrer sein Tun aufmerksam absicherte. Dank präziser Angaben fand sich der kleine Hohlraum unter dem Felsen schnell, aus dem sie die benötigten Dinge bargen. Als das Auto leise wieder anfuhr erinnerte nichts mehr an die heimliche Bergungsaktion. Unberührt schien der Grund am Felsen. Die dichten Tannen wiegten ruhig ihre Wipfel, als hätte es die ungewöhnlichen Besucher nie gegeben. Auf dem Rücksitz des Wagens lagen jetzt diverse Waffen, ein Feldstecher und eine kleine Codetafel, die in Kunststoff eingeschweißt war. Nun mußte aus dem Dunst der Bergwälder auch bald der Entladebahnhof „Heinrich“ auftauchen.

„Wir sind ein paar Tage zu früh, aber das macht nichts. Wir werden also ein Biwak in den Bergen aufschlagen und vorab beobachten. Das kann nie etwas schaden“, sagte der Beifahrer in das Brummen des Motors hinein. Der Fahrer bestätigte dessen Worte nur durch ein unmerkliches Nicken. Langsam rollte das Fahrzeug in den sich nun öffnenden Talgrund hinein. Von weitem sahen seine Insassen schon den im Verfall begriffenen Umschlagplatz. Besondere Ausschau hielten sie nach einer Reihe Garagen, die direkt in einen felsigen Talhang gebaut waren. Diese fanden sie recht schnell. Doch die Zufahrt zu deren rostigen Toren, die zwar zum Teil halboffen standen, war mit Schrott und Baustellenschutt ziemlich verbaut. Vorsichtig kreisten die Männer zwischen verwitterten Zementsackstapeln und rostigen Metallhaufen, wobei sie sich weiter den Garagen näherten. Endlich hielten sie das Fahrzeug zwischen zwei hohen Materialstapeln an.

Einer von ihnen kämmte wie ein Luchs das Gelände der verlassenen Lagerplätze und maroden Gebäude durch. Der andere ging inzwischen zu den Garagentoren und zerrte vorsichtig die Tür des ganz rechts gelegenen auf. Knarrend gaben die eisernen Flügel nach. Im Inneren des sich länglich in den Fels erstreckenden Raumes lag alles das, was in eine verlassene Garage hineingehört. Schmutzige Regale mit diversen Metallteilen hingen an den Wänden. Längst eingetrocknete Ölpfützen und ein Haufen Schrott und Müll bedeckten den Boden. Es roch nach Moder und noch immer nach altem Öl. Vorsichtig stieg der Mann über den Unrat hinweg und bahnte sich einen Weg zur hinteren Wand. Hier kniete er nieder und wühlte im Dreck unter einem der Standregale, die an der rechten Seitenwand standen. Tatsächlich fand er dort eine mit Abfall und dickem Ölschlamm gefüllte Senke im Boden. Mit Widerwillen tastete er fast bis zum Handgelenk hinein und stieß auf einen Metallknauf. Daß, was sich hier wie ein Stück zufällig stehengebliebenes Armierungseisen ausnahm war in Wirklichkeit der Hebel, der ihnen samt Fahrzeug Einlaß und Zufahrt in die geheimen Bereiche der Basis gewähren würde. Einige Zeit später erhob sich der Mann in dem dunklen Ledermantel wieder und ging hinaus. Als sein Begleiter vom Erkundungsgang zurückkam begannen sie gemeinsam, die Zufahrt zu dieser Garage freizuräumen.

Kurz darauf ließen sie den Wagen darin verschwinden, zogen das Tor wieder zu und verbauten es von außen so, daß es aussah, als lägen die wieder herbeigeschafften Teile schon lange davor. Sie kampierten jedoch nicht bei der Garage, sondern richteten sich ein Biwak oben am Hang ein, wo sie das gesamte Terrain des verlassenen Umschlagplatzes im Auge hatten. Dort bauten sie ein kleines, tarnfarbenes Zelt in einer mit weichem Gras bewachsenen Bodenmulde auf, inmitten von Fels und junger Tannen.

„Dieser Eingang funktioniert noch immer“, sagte Hase, als sie ihren provisorischen Lagerplatz fertig hatten.

„Ja, ich habe es geprüft. Das Schott öffnet sich einwandfrei, und dahinter liegt der Fahrstuhl in den wir tatsächlich mit dem Wagen direkt hineinfahren können. Dann braucht man nur noch den Wandschalter zu drücken und wir dürften samt der Karre eine Etage tiefer sein.“ Zufrieden nahm Seidel die Mitteilung entgegen. „Dann müßte ja alles in Ordnung gehen. Wir wollen den alten Hahnfeld trotzdem nicht zu früh erschrecken.“ Er schaute auf seine Uhr. „Wir haben weit über 24 Stunden bis zum vereinbarten Zeitpunkt. Morgen noch den ganzen Tag, und dann werden wir bei ihm wie ausgemacht um Mitternacht anklopfen.“

„Außerdem ist es doch gut, wenn wir bis dahin ein wenig die Gegend im Auge haben. Schließlich können wir in den nächsten Tagen keine bösen Überraschungen gebrauchen“, meinte sein Gegenüber und machte sich daran, diverse Konserven aus einem braunen Rucksack zu holen und vor dem niedrigen Zelt ein bescheidenes Mahl herzurichten, wozu er einen kleinen Spiritus-Schnellkocher benutzte.

Die beiden Männer aus der fernen Eisbasis konnten sich auf jede Situation einstellen. Es war zwar ein ungewohnter Auftrag, der sie zudem überraschend weit weg vom inzwischen heimatlich gewordenen Stützpunkt führte, doch ihre Befehle waren eindeutig. Und ihre absolut streng geheime Mission hatte eine derartige Brisanz, daß ihnen bei dem Gedanken um die Verantwortung schon bisweilen ein kleiner Schauer über den Rücken lief.

„Die ganze Gegend macht einen gottverlassenen Eindruck. Wollen wir hoffen, daß es die kurze Zeit so bleibt“, meinte Seidel, während er es sich in der grasigen Bodenmulde vor dem kleinen Zelt bequem machte. Sie schauten von hier aus durch dichtes Gezweig über den ausgedehnten Platz im Tal, auf dem sich nichts regte. „Strese hat ja eine Andeutung gemacht, daß die Mannschaften nach den Kämpfen noch dafür gesorgt hätten, daß kein Einheimischer sich vorerst in die Berge wagen würde.“

„Ich denke, diese Aktionen sind nicht unwirksam geblieben“, erwiderte sein Kamerad leise, wobei er dennoch mit dem Fernglas nochmals aufmerksam den Talgrund beobachtete, ehe er die nun fertige Mahlzeit auf einer Zeltplane ausbreitete. Auch während des anschließenden Essens lagen dicht neben ihnen die kleinen, schwarzglänzenden Mpi‘s.

Die beiden Schatzsucher kamen in der Morgendämmerung. Der zu dieser Zeit wachende Seidel sah sie im Frühnebel schemenhaft auftauchen. Unter ihren Füßen klirrten Schrotteile, und kurz darauf öffnete sich die Tür eines alten Schuppens knarrend. Hier holten die beiden Polen einiges Werkzeug heraus, das sie offensichtlich darin verborgen hatten. Sie fühlten sich anscheinend recht sicher bei ihrer Tätigkeit, denn sie blieben vor dem baufälligen Schuppen stehen und palaverten ausgiebig wohl über ihr weiteres Vorgehen. Dann machten sie sich wieder auf den Weg, nun bewaffnet mit kurzen Armeespaten und dicken Seilrollen, die einer von ihnen salopp über die Schulter gelegt hatte.

„Wenn du jetzt noch zu pfeifen beginnst, haue ich dir eine in die Fresse!“ fuhr Golzew seinen Kumpan harsch an. „Bei dir piept es wohl völlig. Meinst wohl, weil wir hier immer unbehelligt blieben, kann man den dicken Max markieren. Das ist noch immer das gefährlichste Gebiet im Umkreis von hundert Kilometern. Den Deutschen, diesen alten Füchsen, traue ich jede Schweinerei zu. Zum Beispiel ‘n falscher Tritt. Eine Klappe geht über dir zu und schon bist‘e weg für immer.“

„Und kein Aas findet dich wieder“, stimmte der zuvor Gerügte brummend ein. „Und ade, ihr schönen Schätze ...“

Nur eine kurze Berührung von Seidel, und schon war sein Kamerad Hase blitzartig wach.

„Psst, hier sind welche gekommen“, zischte er den eben Geweckten an. Die beiden Männer sahen nun vorsichtig durch das Gezweig vor ihrem Versteck hindurch.

„Eine unangenehme Geschichte“, flüsterte Hase. „Das sind auf jeden Fall Einheimische. Und die haben ganz sicher etwas Bestimmtes vor, verdammt nochmal.“

„Die wollen sicherlich in der Anlage herumkriechen. Bestimmt nicht zum ersten Mal“, bestätigte Seidel. „Wir müssen ihnen schnell die Suppe versalzen. Wir brauchen hier keine solchen Zaungäste, die uns vor den Füßen rumlaufen!“

„Ich erledige das.“ Hase nahm eine Präzisionswaffe aus dem Rucksack, die einer kleinen Armbrust ähnelte. Sie verschoß sofort wirkende Betäubungspfeile, die zwar schmerzhafte Wunden verursachten, den Getroffenen jedoch nicht töteten.

„Paß aber gut auf“, ermahnte ihn sein Kamerad, bevor er vorsichtig den Hang hinabstieg, um den beiden Unbekannten zu folgen.

Die beiden Schatzsucher stolperten über den wüsten Lagerplatz der Waldschneise entgegen, die zur eigentlichen Baustelle am Felsenhang führte. Überall lagen Holzbalken, aufgerissene Zementsäcke, Steinhaufen und Metallteile, die wie immer das Vorankommen erschwerten. Golzew und Martyn hielten sich daher mehr in Richtung des Wildbaches, dessen steiniges Bett hier noch einmal dicht an einen Fahrweg herankam. Es traf Martyn, bevor sie diesen Weg erreichten. Gerade überquerten sie einen letzten Haufen Blechplatten, als er aufschreiend zusammensank. Golzew hatte keinen Schuß gehört. Er wollte vor Überraschung noch einen Satz in einen nahen, schon halbverschütteten Graben machen, als das Blech unter seinen Füßen unvermutet nachgab. Sein nächster Schreck war der Sturz in die dunkle, modrige Tiefe. Doch er schlug schnell auf und kroch in Panik einfach in die Dunkelheit. Irgendwie ertastete er ein verwinkeltes System niedriger Gänge. Es war eine stinkende Masse aus Wasser, halb Schlamm, in der er kroch. Sein Schädel schmerzte wahnsinnig. Mit ihm war er beim Absturz sehr heftig gegen die recht harte Wand geprallt. Nun wurde ihm auch noch übel. Alles drehte sich. Was war nur mit Martyn geschehen? Doch schon diesen einfachen Gedanken konnte er nicht beenden. Mit einer Welle Dunkelheit brach die Bewußtlosigkeit gnädig über ihn herein.

Fluchend nahm Hase den Vorfall zur Kenntnis. In der Sekunde, wo er das nächste Geschoß auf den zweiten Mann abfeuerte verschwand dieser mit einem Aufschrei geradewegs im Boden! Damit konnte niemand rechnen. Rasch lief er zu dem von ihm Getroffenen. Der wenigstens lag reglos am Boden. Der Pfeil steckte in einer leicht blutenden Wunde in seinem Rücken. Das Opfer würde sich für die nächsten 24 Stunden nicht mehr bewegen. Aber wo war der andere hin? Der blieb indes wie vom Erdboden verschluckt. Sollte dieser in irgendeinen Spalt am Boden gekrochen sein? Des Rätsels Lösung fand Hase schließlich nach wenigen Schritten in Form eines dunklen Wasserschachtes, durch dessen maroden Deckel sein zweites Opfer gebrochen war.

Doch direkt unter dem nicht sehr tiefen Loch war niemand. Hase fluchte abermals leise vor sich hin. Wenn ihm der Typ entkommen war! Das könnte eine Katastrophe für das ganze Unternehmen bedeuten! In dem Moment kam Seidel aus ihrem Versteck. Geduckt lief er den Hang hinab, überquerte vorsichtig das Gelände und erreichte den unglücklichen Schützen nur wenige Minuten nach dem Vorfall.

„Ich habe es gesehen. Wo steckt der Kerl?“ fragte Seidel aufgeregt. Hase deutete in das Loch. „Er ist da hinabgestürzt. Ausgerechnet genau in dem Moment, wo ich schoß. Ich kann aber von ihm nichts sehen. Er muß da unten irgendwo weggekrochen sein.“ Mit einer von Seidel geistesgegenwärtig mitgebrachten Lampe leuchteten sie die Kanalisation aus. Als auch so nichts sichtbar wurde, nahm Hase die Lampe und stieg selbst hinunter. Im Lichtkegel erkannte er schließlich am Ende des niedrigen Ganges so etwas wie einen Schuh. „Ich glaube, ich habe ihn“, tönte es dumpf zu Seidel nach oben. „Dann wirf eine Granate! Wir können nichts riskieren, der muß weg“, kam die Antwort von der Erdoberfläche. Mit einem lauten Platschen schlug der kleine Sprengkörper Momente später am Ende des niedrigen Tunnels in den Schlamm. Dort, glaubte Seidel, mußte der zusammengebrochene Mann liegen. Nach dem Wurf hechtete er schnell aus dem Kanalisationsloch, aus dem Sekunden später ein starker Explosionsknall drang. Dreckspritzer flogen den beiden Männern um die Ohren, eine bläuliche Rauchwolke verzog sich - dann war es wieder still auf dem Platz inmitten der Wälder.

„Ich glaube, wir können den Deckel jetzt schließen“, ließ sich Hase mißmutig vernehmen. Den anderen Mann durchsuchten und knebelten sie und legten ihm schließlich eine mit Zeitschaltuhr versehene stählerne Handfessel an, die ihn an stabile Metallverstrebungen im Inneren eines der verfallenen Schuppen fesselte. Erst nach eingestellten 48 Stunden würde sich die Fessel aktivieren und von alleine wieder öffnen. Bis dahin mußte sich der Gefesselte gedulden. Unruhig eilten sie zurück in ihr Biwak. Dort fanden sie jedoch alles in Ordnung und unverändert vor.

Das Erbe

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