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... draußen vor der Stadt

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Sabine lebte weiter draußen vor der Stadt. Ihr Haus stand an dunklen Waldrändern eines flachen Hügelzuges. In der Nähe lagen noch einige weitere Grundstücke verstreut, ansonsten war die Gegend noch recht ländlich-einsam. Felder, Wiesen und hin und wieder einige Waldstreifen prägten hier die Landschaft im schon fernen Weichbild Frankfurts. Wolf steuerte den Wagen vorsichtig über die hier zunehmend unebenen Wege. Kieslöcher und Wasserpfützen breiteten sich aus. Endlich hatte er sein Ziel erreicht und stellte das betagte Fahrzeug an Sabines Gartenzaun ab. Er brauchte nicht zu läuten, die Tür tat sich schnell auf und die Bewohnerin des Anwesens lies ihn eintreten. Im kleinen, dunklen Flur hing sie sich schon an ihn.

„Endlich, endlich bist Du wieder da“, hauchte sie ihm ins Ohr. „Du sollst doch nicht so lange in der Stadt bleiben, wenn ich hier auf Dich warte.“ Im geräumigen, gemütlich eingerichteten Wohnraum, in dem es sogar einen kleinen Kamin aus Feldsteinen gab, saßen sie sich dann gegenüber. Der Tee stand schon auf dem Tisch, und das Abendbrot war in der Küche des kleinen Landhauses vorbereitet. Wolf fühlte sich bei Sabine wohl, die ihn jetzt intensiv mit ihren grünlichen Augen ansah und augenscheinlich versuchte, seine Gedanken zu lesen. Sabine war keine von den unerträglichen dünnen Modepüppchen, deren Fotos jetzt wieder die Zeitschriften füllten, die ihren Leserinnen einen so völlig fremden wie unwirklichen Lebensstil vorgaukelten und dies alles zum allgegenwärtigen Trend erhoben. Wie sie vor ihm auf dem Sofa saß, die Beine keck übereinandergeschlagen, zeigte sie ihm in dem anliegenden grauen Pulli und der hellen Hose deutlich wieder ihre für ihn so begehrenswerte Figur. Sie lächelte, als sie seine leuchtenden Augen bemerkte.

„Du mußt erst essen, und ich auch, Du Wilder ...“ Sie stand auf, ging in die Wohnküche nebenan und holte eine große, kalte Platte. „Greif zu, ich brauche doch keinen ausgehungerten, sondern einen kräftigen Wolf“, sagte sie leise mit einem listigen Lächeln auf den Lippen. Setzte jedoch gleich sachlich hinzu: „Aber mal Spaß beiseite, hast Du Dich nun entschlossen? Willst Du die Firma Deines Vaters weiterführen oder geht da wirklich nichts mehr? Und was ist denn nun eigentlich bei dem komischen Anwaltstermin rausgekommen?“

„Viele Fragen auf einmal, meine Liebe“, seufzte Wolf. „Mit der pharmazeutischen Firma meines Vaters ist im Moment nicht viel Staat zu machen. Die Leute sind entlassen, und der Betrieb ruht. Wir müssen erstmal ein paar Geschäftsverbindungen aktivieren. Unser Prokurist ist gerade dabei. Morgen werde ich von ihm den Stand der Dinge erfahren. Wir können eh‘ nicht gleich ein riesiges Unternehmen aufziehen. Ich schätze, wir werden uns zum Anfang an ein paar Naturheilprodukte halten. Ein paar Sälbchen, Tropfen und noch dies und jenes. Aber auch das braucht Abnehmer und Werbung. Es kostet eben alles zuerst mal Geld. Den Start des Betriebes brächten wir noch auf die Beine, hat zumindest Keller gesagt. Aber was so ein alter Prokurist ist, der hätte eben gerne noch einen gewissen Rückenhalt bei der Sache.“

„Ich seh‘ schon, ich werde Dich eines Tages doch noch in meiner kleinen Landwirtschaft aufnehmen müssen. Da weißt Du in diesen Zeiten wenigstens, daß Du nicht verhungern musst!“ lachte sie ihn an. „Aber erzähl‘ weiter.“

„Nun, bei Meurat war es interessant. Stell Dir vor, hat doch mein alter Herr eine Art Hinterlassenschaft für mich bei ihm deponiert.“

„Eine Hinterlassenschaft, was war das denn?“ staunte Sabine. „Ein Päckchen“, beeilte sich Wolf zu erklären. „Darin sind verschiedene merkwürdige Sachen. Karten, Gegenstände, alte Fotos und so. Alles stammt noch aus den letzten Kriegsjahren. Er muß da in einer Art geheimer Untergrundfabrik auf heute polnischem Gebiet eingesetzt gewesen sein, wo er zudem noch irgendetwas Wertvolles versteckt hat. Und genau das soll ich jetzt holen. Seine Beschreibungen und Anweisungen in dem Päckchen sind deutlich. Und Meurat wußte auch irgendwie Bescheid ... Wenn ich es fände und herausholen könnte, dann wären wir saniert, so zumindest die Botschaft. Es hängt jedenfalls auch eng mit dem Orden zusammen. Ich denke, es sind vor allem auch einige wichtige Sachen aus den Archiven, die damals verborgen wurden. Wenn ich das Material berge, es dann auf die Burg zu denen vom Schrarzen Stein schaffe, stehen uns alle Wege offen.“

„Du mit Deinen schwarzen Herren. Das ist mir alles unheimlich, weißt Du das eigentlich. Ich habe Angst um Dich.“, regte sich Sabine auf.

„Es sind doch keine schwarzen Männer, die Böses im Schilde führen, meine Liebe, Du weißt es doch eigentlich“, lachte Wolf leise auf. Dann setzte er sich dicht neben sie, nahm sie fest in den Arm und strich ihr liebevoll durch das rötlich schimmernde Haar. „Du brauchst überhaupt keine Angst zu haben. Wir wollen doch nur nicht, daß in diesem Land alles verkommt und das gute und fortschrittliche Erbe völlig vergessen oder in den Schmutz gezogen wird. Die sogenannten Sieger zerstören alles, doch haben sie noch immer riesige Angst. Und dafür haben sie auch allen Grund. Denn dieser liegt in den Menschen, besonders den noch immer im Verborgenen wirkenden Herren von Schwarzen Stein und ihren geheimen Aktivitäten begründet. Sie setzen alte Vermächtnisse fort. Noch sind sie da und besitzen bestimmte Machtmittel, die irgendwo ruhen ... Und den Hauch einer Ahnung haben ihre Gegner auch davon. Sie sind sehr vorsichtig geworden, lecken sich ihre Wunden und versuchen aber weiter in die Organisation einzudringen, ihrer Köpfe und der Geheimnisse habhaft zu werden ...“ Es war unterdessen vollends dunkel geworden im Raum.

„Sei still, sei doch endlich still“, sagte Sabine leise, während sie ihn leidenschaftlich zu küssen begann und immer fester an sich zog. Der Duft ihrer Haut nahm Wolf schließlich vollends den Atem. Und bald schwanden ihrer beider Sinne im samtenen Licht ferner, nebelhafter Sterne ...

Es war dann mitten in der Nacht, als Sabine allein am breiten Fenster des Wohnraumes stand und nachdenklich in die dunkle Stille hinausschaute. Die helle Gestalt ihres Körpers hob sich vorm dunklen Hintergrund sanft ab. Ihre warmen Hände rangen miteinander, an Schlaf war nicht zu denken. Sie fürchtete für den Mann, der hinter ihr friedlich schlafend auf der breiten Couch ruhte. Noch nie hatte sie eine solche Angst um ihn verspürt. Sie hegte keinen Zweifel, daß er sein Vorhaben in die Tat umsetzen und in das ferne, gefährliche Gebirge zu den dort ruhenden Geheimnissen aufbrechen würde. Er war, so lange sie ihn kannte, schon immer eigensinnig gewesen. Was er sich in den Kopf setzte, mußte er ausführen. Auch auf die Gefahr hin, dabei zu verlieren. Sie konnte ihm kaum raten. Sein Entschluß stand wohl schon fest. Daß er einer geheimen Organisation angehörte, deren tieferer Sinn ihr sich noch nicht vollends offenbart hatte, störte sie weniger. Sie hatte schließlich auch eine ausgeprägte Ader für mystische Dinge, sah aber auch gern die Realitäten. Und die bestanden in den von ihren Eltern geerbten Land und dem kleinen Hof. Hier hatte sie auch Wolf kennengelernt. Er war auf einer Fahrt zurück nach Frankfurt an der Oder in der Nähe mit Reifenschaden liegengeblieben. Kein Mensch weit und breit. Dann kam sie und half ihm mit fehlendem Werkzeug aus. Ein plötzlicher Regenguß hatte sie dabei beide durchnäßt. Also bat sie den ihr sofort sympathischen Pechvogel ins Haus. Er strömte eine besondere Art von Wärme und Zutrauen aus, die sie schon sehr lange vermißte. Und ihr Wolf fuhr seit diesem Tag bald öfter zu dem kleinen Hof an den waldigen Högenzügen. Es dauerte auch nicht lange und sein Auto blieb bis zum frühen Morgenlicht stehen ... Hatte es ihm doch seine einstige Pannenhelferin inzwischen mehr als angetan. Und dies beruhte nun schon über ein Jahr auf wachsender gegenseitiger Sympathie.

Das Erbe

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