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Romantikengel 4

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Ich sehe die alte Dame schon von weitem. Ich sehe, wie sie sich an den Ampelpfosten lehnt. Jetzt stehe ich neben ihr, da auch ich warte, bis die Fußgängerampel auf grün umspringt. Ich beobachte Omi aus den Augenwinkeln. Sie wippt leicht mit ihrem Kopf auf und ab. Typisches Zeichen für ein kleines Nervenleiden. Wir stehen immer noch nebeneinander an der Fußgängerampel und ich überlege, wie dämlich die von den Stadtwerken sein müssen, weil es so lange dauert bis es grün wird und ich in der Zwischenzeit meine überfällige Einkommenssteuererklärung hätte machen können. Endlich wird es grün und ich schieße genervt los, da ich in fünf Minuten meinen letzten Termin mit meinem Chef haben werde, um ihm meine Kündigung zu überreichen. Ich brenne darauf, sein sprachloses Gesicht zu sehen. An der anderen Straßenseite angekommen, blicke ich kurz zurück – ich blicke sonst nie zurück, immer nur nach vorne – und sehe, dass Omi immer noch in aller Ruhe an den Pfosten gelehnt ist. Neben dem Kopfwippen, meine ich noch zu erkennen, dass sie jetzt mit sich selbst spricht. Meine Beine laufen weiter in Richtung Ziel, mein Kopf bleibt weiter verdreht zur Omi hin und endlich – so erkläre ich es mir später in den folgenden Wochen – gibt der Romantikengel meinem Herzen den Befehl, anzuhalten. Er würgt meinen Verstand ab, der mir weiterhin suggerieren will, wie wichtig der anstehende Termin ist und mich die Sache mit Omi nichts angeht, da es so viele alte/ältere Menschen gibt und ich nicht jedes Mal stehen bleiben könne. Das, was der Romantikengel bereits im ersten Moment, seit Omi in meinem Blickfeld erschien, erkannt hat, war die Tatsache, dass ich Omi sofort mochte. Mein Hirn ärgerte sich lediglich über die lange Rotphase. Denn Omis Körpersprache wirkte dermaßen gebrechlich und hilflos, dass ich mir sofort berechtigte Sorgen machte.

Sie erinnerte mich an meine Oma, die ich über alles liebte und mich viel zu früh verlassen hatte! Sie war bis zum Schluss zwar agiler als diese Omi am Ampelpfosten, aber ähnlich hilflos, da sie in den letzten Jahren ihres Lebens Phasen hatte, in denen sie niemanden mehr erkannte und wir alle die meiste Zeit, „Fremde“ für sie waren. Ihr „Tick“ war nicht ein permanentes Kopfwippen, sondern, sich alle paar Stunden, einen löslichen Kaffee zu machen. Dafür setzte sie einen Topf mit Wasser auf ihren alten Herd, dessen Platten allesamt aufgesprungen aber noch voll funktionstüchtig waren, stellte sich dann neben den Herd und wartete bis das Wasser kochte. Ihre einzigartige Methode den steigenden Wärmegrad ihres Kaffeewassers zu überprüfen, war die, ca. alle dreißig Sekunden mit ihrem rechten Zeigefinger, im Topf das Wasser umzurühren. Erstaunlich war, dass das Wasser fast kochte und sie weiterhin mit dem Finger umrührte, dabei keine Miene verzog und ich als Kind instinktiv spürte, dass das jetzt doch eigentlich ziemlich wehtun müsste. Meiner Omi aber tat es anscheinend nicht weh und meine Mutter und ich mussten im Nebenzimmer lachen, bis uns die Tränen in den Augen standen, weil es einfach urkomisch war. Auf die Frage, ob das nicht wehtat, antwortete sie nur beleidigt: „Lass mir doch mei Ruh!“ Zurück zur Omi am Ampelpfosten: Sie redete inzwischen etwas heftiger mit sich und ihr Kopf wippte mit mehr Elan. Also überquerte ich erneut die Straße. Ich stellte mich neben sie und fragte: „Kann ich Ihnen irgendwie helfen?“ Omi schaute mich nachdenklich an und antwortete kopfwippend:

„Kenne ich Sie, junger Mann?“

„Wir kennen uns nicht, aber standen doch die ganze Zeit nebeneinander hier an der Ampel!“ „Welche Ampel?“, entgegnete Omi überrascht. „Ich soll mit Fremden nicht reden!“, fuhr sie fort. Ich hatte Omi bereits in mein Herz geschlossen und musste über ihre letzten beiden Statements schmunzeln. „Wo wollen Sie denn hin?“, fragte ich sie. „Geht Sie gar nichts an!“, schoss sie zurück. Wieder musste ich schmunzeln. Sie wirkte so hilflos, wollte jedoch die Starke markieren. „Nach Hause!“, fügte sie hinzu und ihre Stimme zitterte nun ängstlich. „Wo wohnen Sie denn?“, war meine logische Reaktion. „Hm, mal sehen“, antwortete Omi, wieder etwas gefasster. „Also, vorhin wusste ich es noch, junger Mann!“ Und drehte während sie das sagte, suchend ihren Kopf in alle Richtungen. Mir wurde jetzt erst richtig klar, dass hier eventuell ein größeres Problem auf mich zukam. Keine Menschenseele war in der Nähe, die ich um Rat hätte fragen können. Omi hatte vergessen, wo sie wohnte. Das ist mir zwar auch schon passiert, aber nur sehr selten, wenn es Melvin gelang, mich „abzufüllen“. Handy raus, Polizei anrufen oder Omi nach einen Ausweis fragen. Auf Polizei hatte ich keine Lust. Erstens kann es Jahre dauern bis die auftauchen und zweitens, was ist, wenn Omi mal „musste“? Ich selbst spürte seit geraumer Zeit wieder einmal meine viel zu klein geratene Blase (Nein, etwas anderes ist dafür nicht größer!) und malte mir lebhaft aus, was passieren könnte, wenn Omi mal „müsste“! Eine geniale Idee durchzuckte meine – um diese Tageszeit sonst eher trägen – Gehirnwindungen. Ich erhob leicht meine Stimme und sagte freundlich aber bestimmt: „Deutsche Kriegsgräber, könnte ich mal bitte Ihren Ausweis sehen?“ Omi schaute mich überrascht aber freundlich an und begann widerstandslos in ihrer grünen Einkaufstasche zu kramen. Jedes „Teil“, das sie in die Hand nahm, händigte sie mir wortlos aus: Pudding im Plastikbecher – mit Sahne und ohne Sahne – , Zartbitter-Schokolade; Lippenstift, Haarbürste und viele Papiertaschentücher. Gut, dass sie als nächstes ihren Geldbeutel in der Hand hatte, da mich ihre vielen Utensilien langsam aber sicher überforderten. Ich legte diese zurück in ihre Einkaufstasche, welche sie neben sich gestellt hatte und öffnete schnell ihren Geldbeutel. Anscheinend büchste Omi des Öfteren aus, denn ein weißer, sichtlich gut platzierter Zettel, steckte in der durchsichtigen Hülle: Mit einer schönen Handschrift in Großbuchstaben stand dort Omis Anschrift. Ich kannte die Straße. Nicht weit von hier. Ich freute mich und war sehr erleichtert, da ich mich immer noch fragte, was wäre, wenn Omi mal „musste“.

„Darf ich Sie nach Hause begleiten?“ versuchte ich so galant wie möglich zu fragen, da ich mir gut vorstellen konnte, dass Helene – so heißt meine Heldin – in ihren jungen Jahren, bestimmt eine attraktive und vornehme Frau war. „Wenn Sie wissen, wo ich wohne, junger Mann, dann dürfen Sie! Ich hab’s mal wieder vergessen!“, kicherte sie. Helene mochte mich anscheinend, denn sie hakte sich locker bei mir ein, gab mir wie selbstverständlich ihre schwere Einkaufstasche und wir marschierten los. In weniger als 10 Minuten erreichten wir das Haus in dem sie wohnte und bevor ich nach einem Schlüssel fragen konnte, riss eine junge Frau mit verquollenen und verweinten Augen die Haustüre auf und rief sichtlich erleichtert: „Oma!“ Sie umarmte und drückte „Oma“, als hätte sie diese seit Jahren nicht mehr gesehen. Da war sie also. – Christine, vierunddreißig bald fünfunddreißig, Diplomkauffrau (der Beruf ist eigentlich auch zweitrangig! Wichtig sind die inneren Werte wie zum Beispiel Humor! Anmerkung von mir, dem Verfasser!) geschieden mit einer fünfjährigen Tochter. Die erklärte Lieblingsenkelin von „Omi“ bzw. „Oma“. Der Ausdruck von großer Sorge und Angst in ihren Augen war von einer solchen Intensität, dass es keinen Zweifel darüber gab, wie sehr sie „Oma“ liebte. Ich starrte Christine mit offenem Mund an und stammelte: „Hab sie ein paar Ecken von hier gefunden!“ Das war das Einzige was ich herausbekam und bereute sofort das Wort „gefunden“, weil es fehl am Platz war und eigentlich „Omi“ mich gefunden hat, um mich hierher – zu dir, du feenhaftes Wesen – zu führen, weil ich sonst niemals die einzigartige Chance gehabt hätte, dir zu begegnen. Nachdem sie Oma wieder losgelassen hatte und diese schnurstracks in ihrer Wohnung verschwunden war, umarmte Christine jetzt mich, einen Wildfremden. Ihre Tränen berührten meinen Nacken und sie drückte mich in einer Dankbarkeit an sich, die ich heute noch spüre. „Darf ich Sie auf einen Kaffee einladen?“ sagte sie. An dieser Stelle halten wir den Film wieder an:

Na, Wissensfrage (diese Art von Fragen kommen doch immer gut an, wie zum Beispiel diese Ratespielsendung, die es in tausend Jahren noch geben wird und wo jedesmal 80 Millionen Deutsche zuschauen: "Wer wird kein Millionär?"): Wann hat der Romantikengel aktiv in mein Leben eingegriffen? a,b,c,d oder e? Richtig, als ich mich umdrehte und mein Herz mir den Impuls gab, Omi hinterher zu schauen und ich entschieden hatte, zu ihr zurückzugehen. Ohne Engel, hätte jedoch nicht „Omi“ sondern „Hirni“ wieder mal dominiert, weil ich ja einen so wichtigen Termin hatte!

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