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1. Erkenntnis

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Ich hätte nicht Journalismus studieren sollen.

Nach dreizehn Jahren Berufsalltag bin ich so deprimiert wie ein junger katholischer Priester, dem es schlagartig bewusst wird, welchen grossen Fehler er in seiner Berufswahl begangen hat.

Warum Journalismus? Warum nicht Lehramt? Fächerkombination: Englisch und Sport! Oder: Jura! Dann wäre ich jetzt auch eventuell nachmittags im Fernsehen und hätte meine eigene Sendung: „Richter Unhold, der Rächer der Enterbten“! Oder ich hätte nicht studiert, sondern ‚nur’ Koch gelernt. Dann hätte ich wiederum höchstwahrscheinlich meine eigene Fernsehsendung. Warum gab es keine professionelle Berufsberatung, die einem gesagt hätte, dass man seinen Idealismus bei diesem Job lieber zuhause lassen sollte. Aber warum hätte ich es dann studieren sollen? Ist es nicht die Triebfeder eines jeden jungen Journalisten, die Wahrheit und nichts als die Wahrheit publik zu machen und somit die Welt zu retten, oder zumindest versuchen, diese besser zu machen? Ich zerfließe vor Selbstmitleid. Und dann noch die mittelmäßige Bezahlung. Wenn ich da an meine früheren Kommilitonen denke, die Jura, Medizin oder Ingenieurwesen studiert haben. Die sind heute allesamt happy. Sie haben zum einen, mangels Zeit, kaum Gelegenheit, ihre Tätigkeit zu hinterfragen, zum anderen aber auch keinen Grund dazu, da sie Kohle ohne Ende scheffeln. Als junger Journalist ist es ratsam der Sohn eines Verlegers zu sein, dem der ganze Laden gehört. Wenn der eigene Vater dann auch noch auf einen hört, steht dem journalistischen Glück nichts mehr im Wege! Aber wer hat schon seinen allround Wunschvater? Pia vielleicht? In der normalen Journalistenwelt gehört die Zeitung nicht einer Familie, sondern in der Regel einem Konzern, selbstverständlich politisch unterlaufen, tendenziell rot, was an sich nicht so tragisch wäre, allerdings fällt denen bereits seit längerem nichts mehr ein. Gut, den anderen irgendwie auch nicht. Wie bei einem Angestellten hat man seinen Chef, der einem vorschreibt, was man zu schreiben hat und es dann absegnet, wenn man es geschrieben hat. Wenn man Pech hat, war alles umsonst. Wo bleibt da die Kreativität?

Onkel Richard in Kalifornien sagt: „Just write a god damn book”! (Soll / muss ich das jetzt übersetzen? Auf Deutsch: “Schreib' doch einfach ein Gott verdammtes Buch!) Großtante Phyllis (92, New York City) meint: “Become an actor; then you can show emotions and even get paid for it!” (zu Deutsch: “Werde Schauspieler, dann wirst du noch dafür bezahlt, dass du deine Emotionen auslebst!”) Mein geliebter verstorbener Vater war so stolz, dass ich Journalist wurde. „Die Mächtigen ein wenig provozieren“, pflegte er zu sagen. Solllte ich mich tatsächlich mal literarisch austoben wollen, müsste ich mich als Deutsch-Amerikaner für eine Sprache entscheiden. Ich schreibe auf Deutsch, lasse es dann ins Englische übersetzen oder schreibe lieber gleich auf Englisch, wegen der einfacheren Sprache. Wieso zerbreche ich mir hierüber eigentlich den Kopf? Das steht doch derzeit gar nicht zur Debatte. Zur Debatte steht der Abgabetermin für meinen nächsten Artikel: „Ist die Erhöhung der Praxisgebühr noch sozial gerecht?“ Wer lässt sich so eine dämliche Headline (Schlagzeile) bloß einfallen? Mein Chefredakteur natürlich. Mit seinen fünfundfünfzig Jahren hat er bereits vor fünfzig Jahren seine Kreativität verloren. Will sagen, dass er meiner Meinung nach nie besonders kreativ war. Deshalb ist er ja auch Chefredakteur. Dreifach geschieden und glaubt immer noch, es lag nur an den Frauen. „Wir müssen Themen behandeln, die sich verkaufen lassen!“ Das höre ich mindestens fünf Mal am Tag. Ist mir schon klar. Aber wieso muss ich so was schreiben? Das kann doch sicherlich auch der Gärtner. Der ist wenigstens davon betroffen. Ich nicht, da privat versichert. Der Gärtner – gute Idee, den werde ich diesbezüglich gleich interviewen. Also die „Praxisgebühr“: Eingeführt mit dem Versprechen, die Kassenbeiträge dafür zu senken. Der Deutsche murrte kurz, widmete sich jedoch schnell wieder seiner Urlaubsplanung und war sich ziemlich sicher, dass die Banken ihren Überziehungsrahmen weiter erhöhen würden. Die Kassenbeiträge sanken jedoch nicht, sondern erhöhten sich noch. Was macht der Deutsche? Fährt erst einmal in Urlaub. Egal wohin, einfach weg. Die eine Hälfte nach Spanien, die andere auch nach Spanien. Und alle übrigen nach Mallorca. Das Thema „soziale Gerechtigkeit“ hat was, merke ich. „Sozial gerecht“. Wieder frage ich mich, wie ein angeblich so gebildetes Volk, dies einfach so hinnehmen kann. Ist es denn tatsächlich möglich, dieses schöne Land immer noch mit einigen wenigen, subtilen politischen Parolen, dermaßen effizient zu manipulieren und auf Linie zu bringen, wenn nicht gar „gleichzuschalten“? Nach Hartz IV, mit all seinen menschenverachtenden Auswüchsen, müsste doch selbst der allerletzte Spätentwickler mitbekommen haben, dass es keine soziale Gerechtigkeit mehr gibt und streng genommen nie eine gab. Ich schweife vom Thema ab, da ich wieder an Pia denke.

„Ist die Erhöhung der Praxisgebühr noch sozial gerecht?“ Ich kann das nicht. Mir fällt hierzu nichts ein. Leere! Stille! Langeweile! Mich interessiert dieses Thema par tout nicht. Mann, bin ich vielleicht frustriert. Warum ist das journalistische Niveau bundesweit so dramatisch gesunken? Als George W. Bush noch Präsident war, da hatten sie Themen ohne Ende. Bereits hier war ihr Niveau so weit gesunken, weil sie sich von Schröder und seiner dubiosen Gang haben kaufen lassen. Keine Silbe über Vladimir Putin. Der war mindestens genauso kriegsversessen wie Bush. Siehe Tschetschenien, Putins Irak. Wer hat dagegen protestiert? Niemand! In Deutschland – niemand! Nicht einmal Leute, die generell gern protestieren, egal gegen was! Ich glaube ich kündige. Am besten ich rufe jetzt Pia an. Das Problem ist nur, dass sie eigentlich gar nichts von mir wissen möchte. Die Betonung liegt auf „eigentlich“. Was soll ich damit? Will sie nur, dass ich mich noch mehr um sie bemühe? Hab ihr doch einen schönen langen Brief geschrieben, der ihr zwar nicht gefällt und den sie „verwirrend“ findet, den sie aber auch nicht weggeschmissen hat und mir versicherte, dass sie ihn nochmals lesen würde. Okay, zugegeben, er war echt nicht der Hit, aber wann hat sie denn das letzte Mal einen Brief von einem männlichen Verfasser in Schönschrift erhalten? Ich dachte, die Absicht zählt. Ich weiß, ich kann das besser. Im Übrigen: Lass dich nie mit einer Mathematikerin ein! Die sind dermaßen kopfgesteuert, dass sich die Reise zum Mars leichter gestaltet, als ihr Herz zu erobern. Pia ist eine waschechte Naturwissenschaftlerin, fünfunddreißig Jahre „jung“. Abitur mit neunzehn. Studium zur Diplom-Mathematikerin in fünf Jahren, inklusive Diplomarbeit. Anschließend Promotion, die sie im Alter von siebenundzwanzig Jahren, ebenfalls mit „Summa cum laude“, ablieferte. Arbeitsbeginn als Mathematikerin in Zürich mit siebenundzwanzig. Mit einer Liebe zu Zahlen und Formeln, auf die man eifersüchtig werden könnte. Die wenigsten promovierten Mathematiker weltweit sind weiblich. Logisch. Frauen mit einem naturwissenschaftlichen Talent streben in der Regel den Beruf einer (Gymnasial)Lehrerin an. Die beliebtesten Fächerverbindungen sind dabei: Mathe-Physik, Mathe-Sport, Physik-Sport oder noch Chemie dazu, auch ein spaßiges Fach. Mathe-Physik-Chemie, Chemie-Sport, Chemie-Physik oder nur Mathe-Chemie anstatt Mathe-Physik. Meiner Meinung nach, wäre Mathe-Sport die perfekte Kombination für sie gewesen, da sie zusätzlich zu ihrer mathematischen Obsession noch wahnsinnig sportlich ist. Oder alternativ Medizin? Dr. Elliot Reed! Wie die gleichnamige Ärztin aus der Fernsehserie: „Scrubs – die Anfänger“. Genau: Ich bin „JD“ der junge Arzt aus der eben erwähnten TV-Serie. Und Pia ist die eben erwähnte Elliot. Weiterhin glaube ich, dass Pia, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, etwas Besonderes ist. (Sollte ich „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ in Anführungszeichen setzen? Versteht der gebildete Leser, was ich damit sagen möchte?) Also, ich nicht. Ich hab’ den Faden verloren…

Jetzt hab’ ich ihn wieder: Wollte mit „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ ausdrücken, dass ich mir im jetzigen Stadium noch nicht sicher sein kann, dass sie etwas Besonderes ist, weil ich sie noch nicht genügend kenne, um mir absolut sicher sein zu können, dass sie etwas „Besonderes“ ist. Capice? Pfeif auf die „Sicherheit“! Ich glaube eindeutig zu „spüren“, dass sie etwas Besonderes ist. Und Gefühle sind doch auch wichtig oder etwa nicht? Nebenbei bemerkt: Wieso hat sie sich eigentlich auf ein Treffen mit mir eingelassen? War es der Wunsch nach Geborgenheit? Hat die Dominanz ihrer rationalen Prägungen den Schrei ihres Herzens nach Liebe und Nähe zugelassen? Wie verliebt sich eine Mathematikerin? Step by Step? (zu Deutsch: Schritt bei Schritt) Etwa wie in dem Film „Harry und Sally“ mit Meg Ryan. Okay, vielleicht nicht zwölf Jahre lang. Aber vom Prinzip her. Lässt sie sich Zeit? Wenn ja, wie viel? Oder hat sie wie eine gute Mathematikerin eben einen Masterplan, ähnlich einem Computerprogramm: Charakterzug a, b, und c plus Aussehen ergibt meinen Wunschpartner. Und das in einer Zeitspanne von neuneinhalb Wochen, wie im Film mit Kim Basinger und Mickey Rourke. Sicher ist, ich habe mich in sie verliebt. Sicher ist auch, dass sie vielleicht überhaupt nicht genau weiß, wie das funktioniert mit der Liebe. Okay, wer weiß das schon? Sicher ist weiterhin, dass ich einen Bärenhunger verspüre. Ich habe ein unbeschreibliches Verlangen nach einem BigMac-Spar-Menü oder einem mächtigen Döner „mit Allem“. Wobei mir die eben erwähnten Speisen, dann wieder tagelang im Magen liegen würden. Also lieber Heilbutt mit leckeren Kartoffeln und so. Heilbutt soll auch gut für die Prostata sein. Hab’ ich irgendwo gelesen. Ich glaube in unserer eigenen tollen Tageszeitung. Möglicherweise habe ich den Artikel sogar selbst geschrieben. Wer weiß das schon? Wo war ich? Ach ja, bei Pia und meinen Gefühlen. Sie wirkte so unsicher und unschuldig und hatte eine irrsinnige Angst vor Nähe. Angst ist wahrscheinlich das falsche Wort. Überhaupt bezweifle ich, dass ich bei meinen Vermutungen richtig liege. Das spiegelt jedoch genau den ist - Zustand mit Pia wieder. Ich habe keinen blassen Schimmer, wer sie eigentlich ist, muss jedoch jede Sekunden an sie denken. Und sie trifft sich wahrscheinlich just in diesem Moment mit einem weiteren Kandidaten. Weiterhin glaube ich, dass diese „Geschichte“ für mich kein „Happy End“ haben wird. Was auch immer man unter „Happy End“ verstehen möchte: Gemeinsamer Urlaub in Thailand? Anschließende Verlobung? Und nachdem ihr Dad’ meinen letzten Einkommenssteuer-Bescheid gründlich unter die Lupe genommen hat, die ersehnte Vermählung? Kinder = Happy End? Oder nur eine „wilde Ehe“, mit zwanglosem Zusammenziehen ohne finanzielle Prüfung, aber auch Nachwuchs, sprich Wunschkind(er) = Happy End? Getrennte Wohnungen und Wochenendbeziehung, dafür langjährigen fantastischen Sex = Happy End…? u.s.w. Hab’ mich zugegebenermaßen wirklich dilettantisch verhalten. Vier Mal haben wir uns getroffen und vier Mal habe ich geredet, geredet und geredet. Ich kam mir vor, wie ein relativ unerfahrener Teenager, der sich endlich mit seiner Angebeteten verabredet hat. Sie muss die ganze Zeit gedacht haben: „Was ist das bloß für ein Spaßvogel? Dabei wirkt er sogar ganz nett und sieht passabel aus“. Habe ich sie verunsichert, oder war sie es selbst? Offen gesagt, schien sie mir überwiegend irgendwie unglücklich, angespannt und unsicher. Ich habe sie wahrscheinlich mit meiner Ladung Extrovertiertheit buchstäblich überrollt. Trotzdem ging von ihr eine Wärme aus, die ich in meinem Leben sehr vermisse. Ich fühlte mich einfach nur wohl in ihrer Gegenwart und wünschte, die Zeit anhalten zu können. Vielleicht waren es ihre schüchterne Art, ihre Verschlossenheit, die mich zum Quasseln animierten. Wenn ich bedenke, was ich so vom Stapel gelassen habe, könnte ich mir freiwillig einen Tag lang Zahnarzttermine verordnen, ohne Spritze, als spürbare Strafe. Ich meine, wenn man in diesen schwierigen Zeiten was „Dating“ angeht, schon mal eine so süße Maus in physischer Reichweite hat, kann man doch nicht wie eine Dampfwalze auf sie losgehen. Zum einen, zählt angeblich der erste Eindruck extrem viel und zum anderen, vermauert man sich die einmalige Chance, dass sie sich öffnet. So gesehen, ist es die gerechte Strafe, die sie mir nun reindrückt, indem sie mich meidet, als hätte ich die Schweinegrippe. Früher sagte man, die Pest. Und außerdem habe ich ein wenig geschwindelt, was mein Alter angeht. Na ja, vielleicht auch noch in ein bis zwei weiteren Bereichen. Böse Zungen würden behaupten, es waren glatte Lügen. Mal nicht so kleinlich! Gut, ich war es, der von der bedingungslosen Ehrlichkeit anfing. Ein Satz, den mir eine Scheidungsanwältin mit voller Breitseite um die Ohren hauen würde. Hätte ich bloß den Mund gehalten und ihr einfach mehr zugehört.

Im 21. Jahrhundert sollte doch das Alter zweitrangig sein, wenn man seiner großen Liebe begegnet - oder? War Picassos Frau nicht auch um einiges jünger als er? Oder der Joschka Fischer? Der Fischers Joschka. Heiratet der nicht auch ständig Frauen, die mindestens seine Enkelinnen sein könnten? Bingo! Wenn man herausfindet, was für ein einmaliger Mensch sein Gegenüber ist, spielt da das Alter überhaupt noch eine Rolle? Ich sag’ immer: Lieber ein paar Jahre mehr an Lebenserfahrung. Sexuell gesehen, auch nicht zu verachten. Apropos sexuell. Mir ist aufgefallen, dass ich in ihrer Gegenwart nicht einmal an Sex gedacht habe oder doch? Wenn ja, dann nur für den Bruchteil einer Sekunde, denn sollte sie eventuell noch über telepathische Fähigkeiten verfügen, wäre ich Gefahr gelaufen, dass mein eh schon mäßiger Eindruck bei ihr, restlos und irreparabel den Bach ’runter gegangen wäre. Dabei finde ich sie sogar sehr sexy. Eine Figur wie eine Leichtathletin. Und einen Hintern…was für ein Rodin ähnlicher, perfekter, nicht in Marmor gemeißelter, Arsch! (Ich meine: Hintern, Po, Gesäß - wegen der begehrten Jugendfreigabe. "Freigegeben ab sechs Jahren!" Steht dann vorne auf der Umschlagsseite. – Anmerkung des Verfassers) Es erschien mir wie eine Offenbarung, als sie endlich über sich sprach. Mit einer Tiefe und Substanz, welche mir den Boden unter den Füßen wegriss. Beruflich ist sie bereits eine erfahrene Mathematikerin, der so schnell keiner was vormacht. Kenntnisse und Fertigkeiten in IT und Programmierung, welche der Trinity aus „Matrix I“ in nichts nachstehen und Bill Gates alt aussehen lassen. Vielleicht sollte sie sich selbstständig machen und eine eigene Softwarefirma, mit mir als Geschäftsführer, gründen? Sie könnte sicherlich jederzeit ein neuartiges Betriebssystem entwickeln, welches Windows überflüssig macht. Oder einen virtuellen Spickzettel entwickeln, welchen man als App auf sein Handy laden könnte.

Die existenzielle Frage, die sich mir derzeit stellt und für die ich meinen rechten – nein, lieber den linken Arm geben würde, ist: „Who is she“? (= Wer ist sie?) Als Frau. Ihre Seele. Was beflügelt ihre Seele? Wie würde es sich für uns beide anfühlen, wenn ich sie wie in dem Film „Mondsüchtig“ mit Nicolas Cage, in der Oper oder im Kino, minutenlang heimlich oder auch nicht heimlich, einfach nur anschauen würde? Und dann, wenn sie bemerkt, dass ich sie heimlich oder auch nicht heimlich anschaue, sie meine Blicke erwidern würde, mit einer Intensität, dass mir schwindelig werden würde und gleichzeitig nach meiner Hand tastend, um sich dann wieder den darstellenden Künsten zu widmen, während sie ihren Kopf auf meine Schulter legt? (Achtung aufmerksame Leser: Das war semantisch gesehen ein schwieriger Satzbau; könnte noch häufiger passieren, da ich von Berufs wegen nicht gewohnt bin, so viel am Stück zu schreiben. Anmerkung des Verfassers – also von mir.) Hat man ihr bereits das Herz gebrochen? Was träumt sie in ihren Nächten, die sie nach meinen Kenntnissen ebenfalls immer alleine verbringt? Hat sie gelegentlich Albträume? Träumt sie von ihrer geliebten Mathematik? „Ich habe nie verstanden, wie man in Mathe schlecht sein kann“, war eine ihrer ersten Statements über ihren direkten, leicht arroganten, aber humorvollen Charakter. „Ich schon, Baby, ich hatte fast immer Fünfer in der Schule (sowohl in Mathe als auch in Physik) und wenn ich den Mathe- bzw. Physiklehrer nur schon von weitem sah, hätte ich ausgiebig kotzen können.“ Mathe (und Physik) waren in meiner vierzehnjährigen (einmal wiederholt) Schullaufbahn, permanent der Spiegel meiner schulischen Performance, da ich so faul war, wie ein mexikanischer Landarbeiter. (Nichts gegen mexikanische Landarbeiter!)

Freud meint, Träume sind – neben den Augen – der Spiegel der Seele. Wenn er richtig liegt, müsste ich also nur herausfinden, was sie so träumt und ich wüsste, wer sie ist. Aber wie soll ich das anstellen, wenn sie sich eigentlich gar nicht mehr mit mir verabreden möchte? Zitat: „Das würde mich ja Zeit und Energie kosten.“ Ich bin mir sicher, das hat noch keine Frau zu mir gesagt. Schlechter Plan. Sie sagt, sie suche etwas „Festes“. Suchen wir das nicht alle? Dieser Satz hat mich dann schon ein wenig enttäuscht. Ehrlich gesagt, war ich am Boden zerstört, zerschmettert. Mein Leben machte – während sie das mit der „Zeit und Energie“ verlauten ließ – keinen Sinn mehr. Ich war in diesen Minuten dem Untergang geweiht. Etwa so wie Franz Kafka, Virginia Woolf oder Ernest Hemingway. Und dann noch der Satz mit „etwas Festem suchen“. Dieser „Satz“ stellte mich vor große, schier unlösbare Rätsel. So etwa wie der – letzte - „Große Fermatsche Satz“. Erstens weil ich glaube, dass sie mit was „Festem“ – mangels Zeit gar nicht so einfach klar kommen würde und zweitens weil sie damit andeutet, dass ich es nicht bin, obwohl sie mich gar nicht kennt, und auch nicht zulässt, dass sich daran etwas ändert und drittens, wie man über 330 Jahre benötigen kann, um eine ‚Randnotiz’ eines Pierre de Fermats, bei seinem „Großen Fermatschen Satz“, zu beweisen. Hat sie denn tatsächlich mit ihren fünfunddreißig Jahren dermaßen wenig Plan in Liebes- und Beziehungsdingen, dass sie sich weigert, einen Menschen näher kennenzulernen, der so unerwartet in ihr Leben getreten ist, dass sie sich eigentlich fragen müsste: „Did heaven send me an angel?“ (Für Leser, die tatsächlich in Zeiten von „Germany’s next top model“ noch des Englischen nicht mächtig sind, übersetze ich hin und wieder anglikanische Sätze. Hier: „Hat mir der Himmel einen Engel geschickt?“) Vielleicht bin ich ja das verkannte Genie, wie in „A beautiful Mind“ (zu Deutsch: „Ein schönes Gemüt“) mit Russel Crowe. Und sie wird meine Frau wie im Film. Oder noch besser, sie ist das mathematische Genie, also ein weiblicher Russel Crowe und ich bin seine bzw. ihre Frau, also ihr Mann. Wer hat schon einen Plan, wenn es um Liebesangelegenheiten geht? Wo sind ihre Exfreunde abgeblieben? Waren die nicht ganz dicht oder was? Ich hätte sie nicht mehr gehen lassen. Gab es in ihrer Gegend keine sympathischen Jungs? Oder ist sie möglicherweise doch lesbisch? Ich hätte sie bereits in der Uni angesprochen, sie umgarnt, sie zum Essen ausgeführt, ins Kino eingeladen, mein Studienfach gewechselt, sie binomische Formeln abgefragt, eine komplette Disco für einen Dirty-Dancing-Abend nur für uns gemietet, ihre Eltern von meinem einmaligen Charakter überzeugt und Volleyball spielen gelernt, um für laue Sommerabende mehr Gesprächsthemen zu haben. Leider war ich damals nicht online. Was hätte sie zu verlieren, wenn sie mich näher kennen lernen würde? Sie kann doch eigentlich nur davon profitieren. Erfahrungen sammeln und so weiter. Oder hat sie womöglich Angst, sich – wieder - in den Falschen zu verlieben? Sehe ich es doch einmal aus ihrer Perspektive: Da kommt so ein gut aussehender Italo-Ami-Deutscher, also ICH, daher, der ihr Komplimente macht, dass ihr schwindelig wird, einen liebenswerten Charme an den Tag legt und dabei schwindelt bzw. lügt, dass man von einer Neuauflage „Pinocchio II“ sprechen könnte. Ich spiele eine Doppelrolle: Pinocchio und den Esel.

Wo war ich? Ach ja: Schon unser erstes Date war eine grandiose Leistung an Terminen und Zeitabsprachen, bis es dann endlich geklappt hat. Und dann war ihre Zeit immer strikt begrenzt. Entweder hat sie vergessen, dass das jetzt privat ist und nicht Job oder eine Art Ausrede, um flüchten zu können, wenn ihr der Boden zu heiß wird. Oder ich war einfach nur ein weiterer Kandidat in ihrer Hitliste: „Jetzt suche ich mir was Festes“. Ein Termin jagt den Anderen. Und jedes Mal trägt sie diesen verdammt sexy Rock. Was mir bei ihr aufgefallen ist: Sie schien so nervös und verletzlich, viel jünger als fünfunddreißig. Total unerfahren und unschlüssig im Umgang mit sich selbst. Lachte regelmäßig verlegen. Fast kindliche Züge zeichneten sie aus. So unschuldig und verletzlich, vorsichtig tastend nach möglichen Gefahren, um die Hand schnell wieder wegziehen zu können, falls es zu heiß werden würde. Als ich sie fragte, ob sie ihren letzten Freund denn geliebt hätte, kam ein mehr nachdenkliches „Ja“. In der Art: „Was fragst du mich denn nach Liebe? Wir waren halt irgendwie zusammen. Und das an die fünf oder sechs Jahre.“ Ich hakte dreist nach: „Wie war der Sex?“ – oder so ähnlich. Sie antwortete, richtig gehend ein wenig entsetzt: „Nicht so toll!“. Schien ziemlich irritiert über meine Fragen, antwortete aber trotzdem relativ schnell und ehrlich. Vermute ich zumindest. Wenn ich so überlege, ist es mir völlig unverständlich, wieso ich mich nicht mehr auf sie und ihre Situation eingestellt habe. Geständnis eines neurotischen Schwindlers bzw. Lügners: (Siehe oben, Abschnitt "Pinocchio"!) Warum um alles in der Welt, habe ich die Sache mit dem Arztberuf dermaßen übertrieben? Möglicherweise denkt sie jetzt, das sollte eine Art Masche gewesen sein, um Frauen in die Kiste zu bekommen oder der Typ hat voll einen an der Klatsche. Beides stimmt nicht. Obwohl… Letzteres… vielleicht doch. Als Möchtegern-Schauspieler könnte ich erwidern, dass ich mich zu sehr dieser Rolle verschrieben hatte (zu viele Arztserien im Fernsehen), niemanden damit in die Kiste bringen wollte und in diesem Leben nicht mehr mit ihr gerechnet hatte und als mir wieder einfiel, dass ich gar kein Arzt bin, bereits drei Dates vorbei waren. Ich wollte definitiv nichts Böses. Andererseits – zu meiner Verteidigung, und dieses Recht darf mir keiner verwehren – hätte sie doch niemals auf meine Anzeige reagiert, wenn ich geschrieben hätte: „Chaotischer, lonesome heart, gefrusteter Journalist, sucht die Frau, die es gar nicht gibt.“ „Arzt“ klingt da schon besser – oder? Verständlicherweise ist sie sehr enttäuscht, „verärgert“ und stellt unsere gemeinsam verbrachte Zeit vehement in Frage. Fast zehn Stunden ihres ausgefüllten Lebens hat sie mir geopfert und mir fällt nichts Besseres ein, als zu lügen beziehungsweise zu schwindeln (Verweis auf Pinocchio und den Esel!). Maximillian (oder Mäx) - the liar. Mit diesem Brandmal bin ich in ihren Erinnerungen abgespeichert und habe mir höchstwahrscheinlich eine Wiedergutmachung verscherzt. Dabei entsprach jedes Wort über sie der vollen Wahrheit. Jack Nicholson in dem US Kinofilm „Besser geht’s nicht“ sagte entschuldigend zu seiner Angebeteten, Carol der Kellnerin: „I should have danced with you!“ - „Ich hätte mit dir tanzen sollen!“ - Was soll ich sagen? Zum tanzen kam es ja leider nicht. Weiß nicht einmal welche Musik sie mag, oder ob sie gerne tanzt.

Kurzes Plädoyer: Hab mich entschuldigt.

Nur wenn sich anscheinend eine Mathematikerin entschieden hat, dann bedarf es mindestens eines göttlichen Wunders oder der Erweiterung der Relativitätstheorie (Ich weiß, dass ist jetzt Physik; mir fällt nur momentan kein besseres Beispiel ein.), um noch eine kleine Chance bei ihr zu bekommen. Ich wünschte, ich wäre Rudy Baylor aus John Grisham’s „Der Regenmacher“! Und sie sei Kelly Riker, aber ohne die häusliche Gewalt. Wenn ich Rudy Baylor wäre und Pia wäre Kelly, dann würde auch der Altersunterschied stimmen. Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr gelange ich zu der Überzeugung, dass Pia tatsächlich Kelly sein könnte. Kelly ist Romantik pur. Pfeif auf das Mathestudium. Pfeif auf das Diplom. Pfeif auf den doofen Doktor Titel. Pfeif auf die Realität. Und Rudy ist ein Glückspilz. Und es gibt ein Happy-End. Ich liebe Happy Ends. Zurück in die Gegenwart: Ich bin so ein Depp. Ein Trottel. Ich bin Simon Peters, der “Vollidiot”. Mach mich verrückt wegen dieser rätselhaften Pia und habe gleichzeitig null Ahnung, wie ich diesen dämlichen Artikel für dieses dämliche Käsblatt angehen soll. Für gute Recherche ist es in diesem Fall zu spät. Wenn das so weitergeht, rufe ich wieder einmal meine Therapeutin an.

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Nie mehr Blind Date

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