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Ritterschlag für den genetischen Fingerabdruck

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Die Möglichkeiten der Genforschung schienen in den 1980er Jahren unbegrenzt. Medikamente wie Insulin ließen sich dank Gentechnik einfacher und in größeren Mengen herstellen. Die Funktion von Schmerzmitteln verbesserte sich. Auch als im Jahre 1984 der britische Biologe Alec Jeffreys den genetischen Fingerabdruck erfand, galt Gentechnik uneingeschränkt als großer Segen für die Menschheit. Noch beschwor niemand den Überwachungsstaat in der Pipette herauf.

Es war genau 9:05 Uhr, als Alec Jeffreys am Montag, dem 10. September 1984, ein Licht aufging. In seinem Labor an der Universität von Leicester entdeckte der Forscher, dass die DNA jedes Menschen einzigartig ist. Zwar glichen sich die Bausteine des Erbguts über weite Strecken, dennoch gibt es winzige Unterschiede in jedem Individuum. Das war eine Sensation: Noch in den 1970er Jahren waren Menschen biologisch nur nach den Blutgruppen A, B, AB und 0 zu unterscheiden – vier Varianten für sechs Milliarden Menschen.

Alex Jeffreys half nach. Erst kurz zuvor hatte der Biologe Mini-Satelliten in der DNA entdeckt – kleine Abschnitte, die sich oft wiederholen und Tandem-Repeats genannt werden. Bei der ersten Entdeckung wiederholten sich stets 33 Basenpaare. „Zunächst hatte ich ein Gefühl von ‚Na und?‘“, erinnert sich Jeffreys heute. Die Mini-Satelliten als Teil der DNA zu erkennen war gewiss wichtig, aber die Bedeutung erschloss sich nicht auf den ersten Blick. Dann warf Alex Jeffreys ein Auge auf seine Technikerin Jenny Foxon.

Die Mitarbeiterin hatte bereits für eine andere Testreihe Blut für eine DNA-Untersuchung hergegeben. Nicht nur das: Auch Mitglieder der Foxon-Familie waren genetisch in der Instituts-Datenbank von Leicester verzeichnet. Vielleicht, so ahnte Alec Jeffreys, lassen sich in einer Familie stets dieselben Mini-Satelliten nachweisen. Damit wäre der Beweis von Blutsverwandtschaft erbracht. Das Na-und-Gefühl wich Euphorie. An jenem Montagmorgen hielt Alex Jeffreys den ersten genetischen Fingerabdruck der Welt in Händen. „Es sah aus wie eine furchtbar schmierige, unscharfe Masse“, so Jeffreys heute. Dennoch erkannte der Biologe auf Anhieb die Mini-Satelliten in jeder DNA. Die Tandem-Repeats von Vater und Mutter Foxon waren in der DNA der Tochter erkennbar. Keine Frage: Die Testkandidaten waren miteinander blutsverwandt.

Trotz dieser Ähnlichkeiten sah der „genetische Fingerabdruck“, wie Jeffreys die Entdeckung nannte, bei jedem Individuum anders aus. Zwar erbte die Tochter die Mini-Satelliten ihrer Eltern, aber die Länge dieser Abschnitte variierte. Trug der Mini-Satellit in der DNA der Mutter 25 Basenpaare, war er in der DNA der Tochter nur 19 Basenpaare lang. Mit dieser Entdeckung schlug Alec Jeffreys zwei Fliegen mit einer Klappe. Zum einen konnte er nachweisen, dass zwei Individuen miteinander verwandt sind, zum anderen, dass jede DNA so einzigartig ist wie ein Fingerabdruck – einzige Ausnahme dieser Regel sind eineiige Zwillinge. Gegenüber der Fachzeitschrift „Proceedings of the national academy of sciences“ kommentiert Jeffreys die Entdeckung: „Mit einem Mal war uns klar, dass wir tatsächlich auf eine DNA-Methode zur biologischen Identifizierung gestoßen waren. In diesem Moment veränderte sich mein Leben von Grund auf.“

Der genetische Fingerabdruck eröffnete ungeahnte Möglichkeiten. Es erschien nun möglich, Vaterschaft nachzuweisen. Die Forensik bekam ein mächtiges Werkzeug in die Hand, um zum Beispiel Brandleichen zu identifizieren. Getrennte Zwillinge konnten hoffen, dank einer Mini-Satelliten-Datenbank einander wiederzufinden. Diese Möglichkeiten spielten sich in den Tagen nach der Entdeckung im Kopf von Alec Jeffreys ab. „Zunächst aber“, so Jeffreys, „mussten wir erst einmal dafür sorgen, dass die Wissenschaft überhaupt bemerkte, was wir da entdeckt hatten.“

Die Gelegenheit bot sich in Gestalt eines Jungen aus Ghana. Andrew Sarbah lebte mit seiner Mutter Christiana in England. Der Vater lebte in Afrika, die Eltern waren geschieden. 1983 reiste der 13-Jährige nach Ghana, um den Vater zu besuchen. Als er zurückkehrte, nahm ihn die britische Einwanderungsbehörde am Flughafen von London-Heathrow fest. Die Beamten verdächtigten Andrew, den Reisepass gefälscht zu haben oder gar nicht Andrew Sarbah zu sein. Stattdessen fand sich Mutter Christiana mit dem Vorwurf konfrontiert, einen Austausch in Ghana organisiert zu haben, um ein fremdes Kind nach England zu schmuggeln. Dank der Hilfe des Parlamentariers Martin Stevens durfte Andrew zwar zu seiner Mutter nach Hause, doch das Damoklesschwert der Abschiebung schwebte über den Köpfen der Familie.

Heute erscheint es kaum vorstellbar, dass die Verwandtschaft zwischen Mutter und Sohn nicht nachgewiesen werden konnte. Tatsächlich aber liefen alle Versuche, die Behörden zu überzeugen, ins Leere. Sozialarbeiter im Londoner Hammersmith Law Center zogen alle Register. Sie versuchten die Verwandtschaft anhand von Fotos zu belegen und brachten Erklärungen anderer Familienmitglieder vor. Die Behörde erhielt einen DNA-Test des Jungen, der nach herkömmlichen Methoden durchgeführt worden war. Er zeigte zwar die Verwandtschaft von Christiana und Andrew Sarbah, nicht aber, ob es sich tatsächlich um Mutter und Sohn handelte oder nur um ein Verwandtschaftsverhältnis zweiten Grades. Bei einer Anhörung lehnte die Einwanderungsbehörde die gesammelten Beweise als nicht aussagekräftig genug ab.

Ein Zeitungsartikel von 1985 brachte die Wende. In der Presse las eine der Mitarbeiterinnen des Hammersmith Law Center, Sheona York, von der Entwicklung des genetischen Fingerabdrucks durch Alec Jeffreys, meldete sich in Leicester und bat um Hilfe. Der Forscher nahm sich des verzwickten Falles an. Nicht nur war er in der Lage, der Familie aus der Patsche zu helfen, ihm bot sich überdies die einmalige Gelegenheit, den genetischen Fingerabdruck im Feldversuch zu testen. Das aber war kein leichtes Unterfangen, wie sich rasch herausstellen sollte.

Die Familienverhältnisse waren nebulös. Mutter Christiana konnte nicht mit Sicherheit sagen, wer Andrews Vater war. Auch lebten alle ihre Schwestern in Ghana – sie hätten sich ebenfalls dem Test unterziehen müssen, um Verwandtschaft zweiten Grades ausschließen zu können. Alec Jeffreys: „Ich dachte zunächst: ‚Vergiss es! Bei diesem Puzzle fehlen zu viele Teile‘.“ Aber der Genetiker entdeckte eine Hintertür.

Christiana Sabrah hatte drei weitere Kinder, deren Vater eindeutig bekannt war. Anhand der DNA-Proben der Mutter und der Kinder gelang es Jeffreys, die DNA des nicht zur Verfügung stehenden Vaters zu rekonstruieren. Die Idee war einfach: Jene Mini-Satelliten, die zwar in den drei Kindern vorkommen, in der Mutter aber nicht zu finden sind, mussten vom Vater vererbt worden sein. Damit hatte Jeffreys die DNA-Struktur des Vaters erkannt. Was zu tun blieb, war ein simpler Vergleich.

Der Genetiker verglich den genetischen Fingerabdruck von Andrew mit dem der Mutter und dem des Vaters und stellte fest, dass die DNA des Jungen aus den Mini-Satelliten der beiden Erwachsenen zusammengesetzt war. Andrew war der Sohn seiner Mutter. Die Einwanderungsbehörde akzeptierte das Ergebnis. Die Familie durfte zusammen in England leben. „Der Blick in den Augen der Frau hat mich für meine Arbeit belohnt,“ schreibt Alec Jeffereys in seinen Erinnerungen, und der Forscher sollte noch eine weitere Belohnung erhalten. Während viele Fachkollegen in der Vergangenheit für ihre Errungenschaften in der Genetik den Nobelpreis bekommen hatten, ehrte England Alec Jeffreys auf originär britische Art – mit dem Adelstitel. Sir Alec arbeitet noch heute als Professor für Genetik an der Universität von Leicester. Seit seiner Entdeckung des genetischen Fingerabdrucks hat die Vererbungslehre ihre Heimat, die medizinischen Fakultäten, verlassen.

Vaterschaftstest für Pharao

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