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1.1.1 Die quantitative Galaxie der Zeit

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Um die erste Galaxie mit Leben zu füllen, ist zunächst der Begriff Quantität genauer zu bestimmen. Eine für die weiteren Ausführungen passende Definition lautet: „Quantität (lat. quantitas: Größe, Menge) meint die Menge oder Anzahl von Stoffen oder Objekten oder die Häufigkeit von Vorgängen. Quantität findet Ausdruck in numerischen Werten oder der Angabe von Ausmaßen oder Verhältnissen. Bsp.: ganz Deutschland, 30 Gramm, kleiner als.“ (Wikipedia 2009, http://de.wikipedia.org/wiki/Quantit%C3%A4t)

Als Bilder passen zur qualitativen Galaxie das Lineal, der Takt oder die Uhr. Zeit lässt sich exakt mit Zahlen messen, bestimmen und abstimmen. Der Leitgedanke eines quantitativen Umgangs ist, mehr Aufgaben, Tätigkeiten oder Termine in der Zeit unterzubringen. Diese Erwartung erlebe ich immer wieder in meinen Zeitmanagement-Seminaren: Wie schaffe ich mehr in der gleichen Zeit? Dabei lautet einer der Grundsätze des Zeitmanagements, sich stärker auf die richtigen bzw. wichtigen Dinge zu konzentrieren und diesen Dingen auch noch mehr Zeit zu widmen.

Die quantitative Galaxie der Zeit ist eng mit einer immer wieder in der Wirtschaft zu beobachtenden Haltung verbunden. Wie kann ich ein quantitatives Mehr erzielen (mehr Umsatz, mehr Marktanteile, mehr Gewinn)? Genauso wie ständiges quantitatives Wachstum das Denken beherrscht, soll auch die Zeit immer besser ausgenutzt werden, um eine Entwicklung lebendig zu halten, die wie in einer Spirale oder steilen Geraden ständig ansteigt. Ein Ende oder eine Grenze darf es nicht geben, sie wird daher oft konsequent ignoriert.

Wenn wir trotzdem an Grenzen der quantitativen Zeitnutzung stoßen, können wir die nächste Rakete zünden, indem wir die Dichte der Zeit erhöhen. Das bedeutet, wenn ich nicht weiß, wie ich weiter optimieren, rationalisieren oder effizienter sein kann, mache ich einfach mehr Dinge gleichzeitig (z. B. telefonieren, E-Mail schreiben und mit den Füßen Unterlagen sortieren). Neudeutsch sprechen wir von Multitasking-Fähigkeiten oder vom Simultantismus. In diesem Zusammenhang tauchen in der Literatur Schlagwörter wie 24-Stunden-Gesellschaft, Non-Stop-Gesellschaft oder Leitsätze wie „alles zu jeder Zeit“, „überall, sofort und gleichzeitig“ auf. Mit dieser Entwicklung im Einklang steht die Einführung einer Weltzeit, damit wir endlich die Nachteile von unterschiedlichen Uhrzeiten und Tagesrhythmen in einer globalisierten Welt abschaffen können.

Einen quantitativen Zeitumgang in Reinform kennzeichnet vor allem Maß- und Grenzenlosigkeit in allen Lebenslagen. Leider ohne dass viele Menschen gleichzeitig eine qualitative Entwicklung sehen und spüren. Folgende Nachricht (Verfasser unbekannt) beschreibt aus meiner Sicht auf wunderbar anschauliche Weise, wie wir mit Zeit umgehen, wenn allein Quantität dominiert:

Eine wunderbare Nachricht :

 Wir bauen höhere Gebäude und haben weniger Beherrschung.

 Wir besitzen größere Freiräume und sind engstirniger.

 Wir geben mehr au und haben weniger.

 Wir kaufen mehr und genießen weniger.

 Wir haben größere Häuser und kleinere Familien.

 Wir haben mehr Annehmlichkeiten und weniger Zeit.

 Wir haben mehr Titel und weniger Verstand.

 Wir haben mehr Wissen und weniger Urteilskraft.

 Wir haben mehr Experten und trotzdem mehr Probleme.

 Wir haben mehr Medizin und weniger Gesundheit

 Wir trinken und rauchen viel und lachen zu wenig.

 Wir haben unseren Besitz vervielfacht unsere Werte gleichzeitig reduziert.

 Wir reden viel lieben zu selten und hassen zu oft.

 Wir haben gelernt durch das Leben zu gehen und nicht zu leben.

 Wir haben den Weltraum erobert und nicht unser Inneres.

 Wir haben größere Dinge getan und nicht Bessere.

 Wir haben die Luft gereinigt und die Seele verpestet.

 Wir beherrschen das Atom und nicht unsere Vorurteile.

 Wir schreiben mehr und lernen weniger.

 Wir planen mehr und erreichen weniger.

 Wir haben gelernt uns zu beeilen und nicht zu warten.

 Wir bauen Computer, produzieren Kopien kommunizieren aber immer weniger.

 Dies ist die Zeit von Fertiggerichten und langsamer Verdauung.

 Die Zeit von großen Männern und kleinen Charakteren.

 Die Zeit von steilem Gewinnzuwachs und seichten Beziehungen.

 Dies sind die Tage von zwei Einkommen und mehr Scheidungen.

 Die Tage von phantastischen Häusern und einem zerbrochenen Heim.

 Dies sind die Tage der schnellen Reisen, Wegwerfwindeln, Wegwerfmoral, Sex für eine Nacht, übergewichtigen Körpern und Pillen die alles können, von Aufputschen bis Ruhigstellen, bis töten.

 Es ist eine Zeit, in der mehr im Schaufenster liegt und weniger im Lager.

 Eine Zeit, in der die Technik diesen Brief zu dir bringt und die Zeit, in der du wählen kannst, diese Ansichten zu teilen oder einfach zu löschen.

Ein quantitativer Zeitumgang kann sich genauso in der Sprache widerspiegeln. So sprechen die wenigsten Menschen von freier Zeit sondern von Freizeit, was natürlich auch stimmig ist, weil wir ständig unsere freie Zeit verplanen und sie so zur Freizeit machen (8.00 Uhr Strandliege mit Handtuch reservieren, 9.00 Uhr Frühstück, 10.30 Wassergymnastik, 13.00 Uhr Mittagessen, 14.30 Uhr Strandvolleyball, 16.00 Uhr ...). Nichts tun, Müßiggang und Faulsein sind im Denken aller Anfang Laster und werden nicht wertgeschätzt. Ständig gilt es quantitativ produktiv zu sein und auch der Konsum spielt eine entscheidende Rolle in der quantitativen Zeitdimension. Wer den Wert des Müßiggangs wiederentdecken möchte, dem empfehle ich z. B. von Tom Hodgkinson, Anleitung zum Müßiggang.

Ein weiteres Beispiel für das beschriebene Zeit-, Denk- und Verhaltensmuster finden wir im Sternbild der Ernährung und Lebensmittelproduktion. Es ist gekennzeichnet von hochwertigem Geschirr, vielen Beschleunigungsgeräten, tollem Design und vielfältigen Varianten des legalen und illegalen Dopings. Qualität bei der Produktauswahl und bei der Verarbeitung spielen dagegen eher eine untergeordnete Rolle. Quantität, Optik und Schnelligkeit stehen klar im Vordergrund. Männer putschen ihre Leistungsfähigkeit, Frauen hellen ihre Stimmung auf und Lernende halten sich künstlich länger wach und konzentriert. Keine Zeit für natürliche Prozesse und Abläufe. Alles zu jeder Zeit aus der ganzen Welt günstig verfügbar zu haben und dabei viel mehr Wert auf Masse als Klasse legen, ist der Zeitgeist oder das Gespenst der Ernährungszeiten. Gleichzeitig führt ein ständiges Mehr an Nahrungsmittelaufnahme zu keinem Mehr an Gesundheit, was uns gerade in den Industrienationen drastisch vor Augen geführt wird. Eine weitere populäre Folge ist z. B. der Rinderwahnsinn oder ist der Verlust an Genuss. Der geht heute vielfach unter anderem durch den Trend "alles immer früher beginnen zu lassen" verloren (z. B. im August schon Weihnachtssüßigkeiten im Handel anbieten, die auch gekauft werden). Erster zu sein, hat enorm an Bedeutung gewonnen. Alles zu seiner Zeit dagegen an Wert verloren, dabei freuen wir uns doch speziell auf z. B. die Spargelzeit, oder ? Zur weiteren Erkundung der beschriebenen Zeitumgangsformen bietet sich z. B. an, das seit mehreren Jahrzehnten bestehende Reiseangebot von Erich Fromm „Haben und Sein. Die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft“ zu buchen.

Der sprichwörtliche Wahnsinn im quantitativen Umgang mit unserer Zeit kann letztendlich in jedes Sternbild getragen werden. Genauso populär ist er, wenn es sich um unseren Körper und unsere Gesundheit dreht. Wenn Kopfschmerzen auftreten, werfen wir eine Pille zur schnellen Wiederherstellung unserer Leistungsfähigkeit ein. Der Schmerz ist weg, die Ursache sicher nicht. Kostet auch viel zu viel Zeit, seine Zeit dafür zu nutzen und nicht direkt wieder produktiv zu sein. Nun noch ein paar weitere verbreitete Beispiele.

Früher lautete die Weisheit „Ich denke, also bin ich“ und heute ist daraus „Ich hetze, also bin ich“ geworden. Auf der einen Seite unter Aufgaben- und Termindruck leiden, auf der anderen Seite beides zugleich als Bestätigung und Wertschätzung der Person empfinden. Kürzer formuliert: Wer viel zu tun hat oder es so aussehen lässt, ist ein besonders wichtiger Mensch und eben nicht nutzlos, faul, unproduktiv oder arbeitslos. Neudeutsch "busy sein" zählt zum Lebenszeitmotto. Getreu diesem Motto gehört es sich, möglichst laut über die E-Mail-Flut zu stöhnen, die uns täglich erreicht. So mache ich mich besonders wichtig. Zu dieser Zeitumgangsform gehört selbstverständlich auch der Hinweis auf die Anzahl der Handytelefonate, das Gejammer über fehlende Zeit und das Wetteifern, wer mit weniger Schlaf auskommt. In diesem Sinne gehört ständige Verfügbarkeit und Erreichbarkeit zum Zeitgeist. Dass ein Mensch, der ständig über das Telefon, Fax und Mailprogramm rund um die Uhr, sieben Tage die Woche im Büro erreichbar ist, nicht mehr zu seiner Arbeit kommt und schon gar nicht mehr dazu, Leistung zu bringen, ist in der quantitativen Galaxie kein wertvoller Gedanke. Wenn Sie Ihre Schreibtisch einmal aufräumen, um wieder einen Überblick zu gewinnen, um weniger zu vergessen, weniger zu suchen und sich wohler zu fühlen, dann stellen Sie sich in der Galaxie des quantitativen Zeitumgangs darauf ein, dass genau das der Grund dafür sein wird, dass Sie unter Druck kommen. Schließlich sieht Ihr Arbeitsplatz ja dann so aus, als gäbe es nichts zu tun. Wer noch mehr wissen oder lernen möchte, dem empfehle ich, sich bei nächster Gelegenheit im Internet auf die Suche nach dem Business Kasper von Michael Bully Herbig zu begeben.

Damit ich Ihren ersten Einblick nicht mit zu vielen Eindrücken auf einmal wieder verneble, endet nun unser erster Ausflug in die quantitative Zeitgalaxie. Später reisen wir erneut in diese Galaxie, um herauszufinden, wie wir unseren quantitativen Zeitumgang praktisch weiterentwickeln und gestalten können. Was Ihnen dabei sinn- und wertvoll erscheint und in welchen Lebenslagen, bleibt dann Ihre Aufgabe über das Lesen hinaus. Mein Beitrag kann zunächst sein, dass Sie nicht mehr sagen und denken können, dass war mir nicht bewusst oder das wusste ich nicht.

Mit den wesentlichen Punkten fasse ich diesen Abschnitt abschließend noch einmal zusammen:

 In der quantitativen Galaxie stehen Anzahl und Menge im Vordergrund.

 Zahlen, Mengenverhältnisse und linear-kausale Zusammenhänge (wenn A dann folgt B) charakterisieren diese Galaxie.

 Das Denken und Handeln wird vor allem durch eine starke Maß- und Grenzenlosigkeit („Alles ist möglich“-Mentalität) geprägt.

 Die wesentlichen Voraussetzungen und Bedingungen in der quantitativen Galaxie sind Flexibilität, Mobilität, Schnelligkeit und damit hohe Geschwindigkeiten, die oft eng mit einer hohen Flüchtigkeit, Kurzsichtigkeit und Oberflächlichkeit verbunden sind.

Die Kunst des Timings

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