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2 Neurobiologie der Alzheimer-Demenz

Unter Demenz versteht man eine im Laufe des Lebens auftretende Störung des Kurzzeitgedächtnisses und der geistigen Leistungsfähigkeit, die zu einer Beeinträchtigung der für ein selbstständiges Leben erforderlichen Alltagsfertigkeiten führt. Ein derartiges Demenz-Syndrom kann verschiedene Ursachen haben, z. B. die Alzheimer-Krankheit, Durchblutungsstörungen des Gehirns oder andere neurodegenerative Erkrankungen. Aber auch allgemein körperliche Erkrankungen, wie z. B. eine ausgeprägte Anämie, oder andere Gehirnerkrankungen, wie z. B. ein Gehirntumor, können eine Demenz verursachen.


Abb. 2.1: Histopathologische Veränderungen bei der Alzheimer-Demenz (Alzheimer 1911). Zeichnungen Alzheimers, in der die Plaques und Fibrillen in der Großhirnrinde bei zwei Alzheimer-Patienten abgebildet sind.

Die bei weitem häufigste Ursache der Demenz ist jedoch die Alzheimer-Krankheit. Ihre Symptomatik und die zugrundeliegenden histopathologischen Veränderungen des Gehirns in Form von Plaques und Fibrillen wurden erstmalig 1906 von Alois Alzheimer beschrieben ( Abb. 2.1).

Mittlerweile ist bekannt, dass die Plaques überwiegend aus dem Eiweiß Beta-Amyloid, die Fibrillen überwiegend aus Tau-Protein bestehen. Die der Alzheimer-Krankheit zugrundeliegenden neurobiologischen Prozesse, die zur Ablagerung von Beta-Amyloid und Tau-Protein im Gehirn in Form von Plaques und Fibrillen führen, laufen über viele Jahre ab, bis sie schließlich zu Einschränkungen der geistigen Leistungsfähigkeit führen (Morris 2005).

2.1 Amyloid-Kaskaden-Hypothese

Die vorherrschende Theorie für die der Alzheimer-Demenz zugrundeliegenden neurobiologischen Prozesse ist die Amyloid-Kaskaden-Hypothese (Hardy und Higgins 1992). In ihrer ursprünglichen Form besagt sie, dass die Erkrankung durch die übermäßige Produktion, Aggregation und extrazelluläre Ablagerung von Beta-Amyloid, einem Abbauprodukt des Amyloid-Präkursor-Proteins (APP), ausgelöst wird. Als Folge der erhöhten Beta-Amyloid-Konzentration im Interstitium kommt es intrazellulär zur Bildung von Neurofibrillen aus hyperphosphoryliertem Tau-Protein. In den vergangenen Jahren ist die Amyloid-Kaskaden-Hypothese mit dem Zuwachs der Kenntnisse über die neurobiologischen Krankheitsabläufe weiterentwickelt worden (Hardy 2009).

Die überzeugendsten Hinweise für eine ursächliche Rolle von Beta-Amyloid in der Genese der Alzheimer-Krankheit stammen aus Studien bei den autosomal dominant vererbten familiären Alzheimer-Demenzen, die etwa 1–5 % der Krankheitsfälle ausmachen (Reitz und Mayeux 2014) und bei denen Mutationen der Gene für das Amyloid-Präkursor-Protein (APP), für Präsenilin 1 (PSEN1) oder für Präsenilin 2 (PSEN2) vorliegen (Guerreiro und Hardy 2014). Die bei diesen Alzheimer-Demenzen gewonnenen Erkenntnisse wurden auf die sogenannte sporadische Alzheimer-Demenz, die bei der ganz überwiegenden Anzahl der Patienten vorliegt, übertragen.

Das Amyloid-Präkursor-Protein (APP) ist ein großes Membranprotein, das insbesondere in den Synapsen von Nervenzellen vorkommt. Die physiologische Funktion des APP ist noch unbekannt; möglicherweise spielt es eine Rolle bei der synaptischen Plastizität. Bei der Verstoffwechselung von APP fällt Beta-Amyloid an, das durch Sekretasen aus dem APP herausgeschnitten wird. PSEN1 und PSEN2 sind katalytische Untereinheiten der Gamma-Sekretase, die an diesem Prozess beteiligt ist.

Wahrscheinlich besteht bei den familiären, früh beginnenden Formen der Alzheimer-Demenz eine genetisch bedingte Überproduktion von Beta-Amyloid, während bei den sporadischen, spät beginnenden Formen der Alzheimer-Demenz eher eine verminderte Elimination von Beta-Amyloid die treibende Kraft des Krankheitsprozesses ist (Mawuenyega et al. 2010). Die Elimination von Beta-Amyloid aus dem Gehirn findet einerseits durch Amyloid-abbauende Enzyme, andererseits durch verschiedene Transportmechanismen statt.

Die Mehrzahl der Amyloid-abbauenden Enzyme sind Zink-Metalloproteasen, unter anderem Neprilysin (NEP), Insulin-degrading enzyme (IDE) und Angiotensin-converting enzyme (ACE) (Nalivaeva und Turner 2019). Eine verminderte Aktivität des IDE, das im Gehirn sowohl Insulin als auch Beta-Amyloid hydrolysiert, ist vermutlich eine der Ursachen für die engen Zusammenhänge zwischen Alzheimer-Demenz und Typ-2-Diabetes mellitus (Steen et al. 2005).

Bei der Elimination von Beta-Amyloid aus dem Gehirn wirken auch Apolipoprotein E und Alpha-2-Makroglobulin mit, die den Transport von Beta-Amyloid durch die Blut-Hirn-Schranke in den Blutkreislauf fördern (Ries und Sastre 2016). Die Wirksamkeit der Elimination durch Apolipoprotein E ist dabei von der Isoform dieses Enzyms abhängig: die Isoform E2 ist wirksamer als E3, die wiederum wirksamer als E4 ist (Deane et al. 2008). Das Apolipoprotein E4 wirkt sich auf zweierlei Weise ungünstig auf das Fortschreiten der Alzheimer-Krankheit aus. Es ist zum einen mit einer verminderten Elimination von Beta-Amyloid aus dem Gehirn verbunden (Castellano et al. 2011), zum anderen zerfällt es zu neurotoxisch wirksamen Fragmenten (Mahley und Huang 2012).

Das Gehirn verfügt zur Gewebedrainage und zur Entfernung von Abfallprodukten an Stelle der Lymphgefäße über das sogenannte glymphatische System, ein perivaskuläres Netzwerk (Nedergaard 2013), das Anschluss zum lymphatischen System hat (Louveau et al. 2015). Lösliches Beta-Amyloid und Tau-Oligomere werden durch das glymphatische System aus dem Gehirn transportiert (Iliff et al. 2012, 2014). Die treibenden Kräfte im glymphatischen System sind Strömungs- und Diffusionsdruck (Benveniste et al. 2019). Die Elimination von Beta-Amyloid durch das glymphatische System ist im Tiefschlaf erhöht (Xie et al. 2013). Daher erhöht jegliche Art der Schlafstörung das Risiko für die Entwicklung einer Alzheimer-Demenz (Yaffe et al. 2014).

Die Ablagerungen von Beta-Amyloid im Gehirn folgen im Krankheitsverlauf einem charakteristischen raum-zeitlichen Muster (Nelson et al. 2009). Sie beginnen im basalen Neokortex und breiten sich später über den Hippokampus in den gesamten Kortex aus.

Eine erhöhte Konzentration von Beta-Amyloid im Interstitium wirkt neurotoxisch, führt zur Atrophie von Dendriten und Axonen und schließlich zum Zelluntergang (Yankner et al. 1990). Ein dabei wirksamer Mechanismus ist, dass Beta-Amyloid über den Caspase-Rezeptor die intrazelluläre Hyperphosphorylierung und Fibrillenbildung des Tau-Proteins fördert (Götz et al. 2001).

Die physiologische Funktion des Tau-Proteins besteht in der Stabilisierung der Mikrotubuli sowie in der Unterstützung des Wachstums der Neuriten und des intrazellulären Transports von Zellorganellen. Dabei wird seine Funktion physiologischerweise durch die von Kinasen und Phosphatasen katalysierte Phosphorylierung und Dephosphorylierung geregelt. Unter dem Einfluss von Beta-Amyloid wird das Tau-Protein hyperphosphoryliert. Dadurch kommt es zur Desintegration und zum Funktionsverlust der Neurotubuli, die die Straßen für den intrazellulären Transport von Zellorganellen darstellen. Dies führt zur Schädigung und schließlich zum Untergang der Nervenzellen (Reddy 2011). Das hyperphosphorylierte Tau-Protein wird unlöslich und aggregiert zu Filamenten und Fibrillen (Iqbal et al. 2005).

Analog zu den Prionen-Erkrankungen werden bei der Alzheimer-Krankheit toxische Konformationstypen von Beta-Amyloid und Tau-Protein gebildet. Diese Konformationstypen wirken infektiös und können bei anderen Beta-Amyloid- oder Tau-Protein-Molekülen gleichartige Konformationsänderungen auslösen und so zu einer Verbreitung der Erkrankung im Gehirn führen (Jucker und Walker 2013).

Die schädigenden Wirkungen von Beta-Amyloid und Tau-Protein bewirken synergistisch zunächst eine synaptische Funktionsstörung, die bereits in Frühstadien der Alzheimer-Demenz im Positronen-Emissions-Tomogramm in Form eines verminderten Glukose-Stoffwechsels sichtbar wird (Mosconi et al. 2009). Später kommt es zum Untergang der Nervenzellen, der sich in der strukturellen Bildgebung des Gehirns als Atrophie zeigt.

Die für die Alzheimer-Demenz charakteristischen neuropsychologischen Veränderungen in Form von Störungen des Gedächtnisses und der geistigen Leistungsfähigkeit folgen diesen neurobiologischen Prozessen mit jahrelanger Latenz (Sperling et al. 2011). Daher ist es für die begriffliche Klarheit sinnvoll, von der »Alzheimer-Demenz« die »Alzheimer-Krankheit« zu unterscheiden, bei der die beschriebenen neurobiologischen Krankheitsprozesse, insbesondere die Beta-Amyloid-Pathologie bestehen, ohne dass die Betroffenen schon notwendigerweise unter einer Demenz oder einer leichten kognitiven Beeinträchtigung leiden.

2.2 Infektionshypothese

Die Infektionshypothese zur Genese der Alzheimer-Demenz ist eine neuere Modifikation der Amyloid-Kaskaden-Hypothese. Die zentrale Rolle spielt dabei die vor einigen Jahren erkannte antimikrobielle Wirkung des Beta-Amyloids (Gosztyla et al. 2018). Die übermäßige Anhäufung von Beta-Amyloid im Gehirngewebe wird im Kontext der Infektionshypothese nicht als Folge einer fehlerhaften Produktion oder gestörten Elimination dieses Eiweißes, sondern als gezielte antimikrobielle Maßnahme des Organismus verstanden (Fulop et al. 2018). Als Auslöser einer vermehrten Beta-Amyloid-Produktion werden verschiedene mikrobielle Erreger in Betracht gezogen, insbesondere der Parodontitis-Erreger Porphyromonas gingivalis, dessen DNS in den Amyloid-Plaques nachgewiesen wurde (Singhrao et al. 2015). Auf dieser Grundlage wird derzeit eine Therapiestudie mit einem Medikament durchgeführt, das die Proteasen von Porphyromonas gingivalis, die Gingipaine, hemmt (Dominy et al. 2019).

2.3 Cholinerge Hypothese

Die cholinerge Hypothese bezieht sich auf Veränderungen auf der Ebene der Neurotransmitter, die die Folge der Neurodegeneration sind. Sie besagt, dass die kognitiven Beeinträchtigungen bei der Alzheimer-Demenz durch eine Störung der Funktion des Neurotransmitters Acetylcholin verursacht werden. Bei Alzheimer-Patienten wurde in den Amygdala, im Hippokampus und im Kortex eine Verminderung der Aktivität des Enzyms Cholinacetyltransferase, das die Synthese von Acetylcholin katalysiert, gefunden sowie eine verminderte synaptische Konzentration von Acetylcholin (Francis et al. 1999). Die cholinerge Hypothese der Alzheimer-Demenz wurde bereits 1976, also vor der Amyloid-Kaskaden-Hypothese, formuliert und hat mit der Entwicklung der Acetylcholinesterase-Hemmer zu den ersten Medikamenten für eine wirksame symptomatische Behandlung der Alzheimer-Demenz geführt.

2.4 Neurovaskuläre Hypothese

Bei der neurovaskulären Hypothese wird die Bedeutung der zerebralen Durchblutung für die Alzheimer-Demenz hervorgehoben. Bei der Alzheimer-Demenz wurden nämlich bereits vor dem Auftreten neurodegenerativer Veränderungen Funktionsstörungen der kleinen zerebralen Gefäße nachgewiesen (Ruitenberg et al. 2005). Durch diese Gefäßveränderungen wird die Elimination von Stoffwechsel-Abbauprodukten wie Beta-Amyloid beeinträchtigt, welches seinerseits auch gefäßschädigend wirkt (Thomas et al. 1996). Die neurovaskuläre Hypothese erklärt auch die negative Wirkung von Gefäßrisikofaktoren wie Hypercholesterinämie oder Diabetes mellitus auf das Erkrankungsrisiko und auf den Verlauf der Alzheimer-Demenz.

2.5 Andere Hypothesen

Es wurden noch verschiedene andere Hypothesen für die Pathogenese der Alzheimer-Demenz entwickelt, die bestimmte Elemente der Amyloid-Kaskaden-Hypothese oder andere Faktoren wie Entzündungsprozesse, Metall-Ionen oder die Genregulation durch Micro-RNAs in den Vordergrund stellen. Sie spielen aber bislang in der wissenschaftlichen Diskussion nur eine untergeordnete Rolle (Liu et al. 2019).

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