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3 Frühe Zeichen der Alzheimer-Demenz

Im Frühverlauf der Alzheimer-Demenz können grundsätzlich drei Phasen unterschieden werden. In Phase 1, der präsymptomatischen Phase, sind die neurobiologischen Krankheitsprozesse der Alzheimer-Krankheit, insbesondere die Amyloid-Pathologie, nachweisbar, ohne dass es bereits zu einer Verminderung der geistigen Leistungsfähigkeit gekommen ist. In Phase 2, der Phase der leichten kognitiven Beeinträchtigung (mild cognitive impairment, MCI), sind die neurobiologischen Veränderungen weiter fortgeschritten und es machen sich erste Zeichen der kognitiven Leistungsminderung, insbesondere in Form von Störungen des Kurzzeitgedächtnisses, bemerkbar. Das selbstständige Funktionieren im Alltag ist allerdings noch nicht beeinträchtigt. In Phase 3, der Phase der leichten Demenz, haben schließlich die Beeinträchtigungen der geistigen Leistungsfähigkeit ein solches Ausmaß erreicht, dass darunter auch die Alltagsfertigkeiten zu leiden beginnen.

Wie bereits im vorhergehenden Kapitel erwähnt, bestehen die charakteristischen neurobiologischen Veränderungen der Alzheimer-Krankheit schon jahrelang, bevor die geistige Leistungsfähigkeit nachlässt (Jack et al. 2010). Die testpsychologische Erfassung von geringgradigen kognitiven Leistungseinschränkungen wird allerdings durch verschiedene methodische Einschränkungen erschwert, beispielsweise durch Schwankungen in der Tagesform und durch das unterschiedliche Ausgangsniveau der Getesteten.

Aber schon bevor sich testpsychologisch eindeutig fassbare krankheitsbedingte Einschränkungen des Gedächtnisses oder der kognitiven Leistungsfähigkeit zeigen, also in der oben erwähnten Phase 1, werden von vielen Betroffenen selbst Veränderungen des geistigen Leistungsvermögens bemerkt. Aus diesem Grund wurde bereits in den 1980er Jahren bei der Stadieneinteilung der Alzheimer-Demenz mit der Global Deterioration Scale (GDS) das Symptom »Klagen über das Nachlassen des Gedächtnisses« als ein wesentliches Krankheitsmerkmal aufgenommen (Reisberg et al. 1982).

Die Selbstwahrnehmung von Veränderungen der geistigen Leistungsfähigkeit und die emotionale und kognitive Verarbeitung dieser Eindrücke spielen wohl auch eine Rolle für die Entwicklung von sozialem Rückzug, Depressivität, Ängstlichkeit und Misstrauen, wie sie häufig bei Alzheimer-Patienten auftreten, noch bevor diese in Phase 2 oder Phase 3 der Erkrankung eintreten.

In einer Untersuchung zum Zeitverlauf derartiger nicht kognitiver Symptome von Alzheimer-Patienten zeigte sich, dass schon zwei bis drei Jahre bevor die klinischen Kriterien für das Demenz-Syndrom erfüllt waren, also bevor die Beeinträchtigungen von Gedächtnis und kognitiver Leistungsfähigkeit ein Ausmaß erreicht hatten, das die Alltagsfertigkeiten beeinträchtigte, bei etwa der Hälfte der Alzheimer-Patienten Depressivität und sozialer Rückzug beobachtet wurden ( Abb. 3.1) (Jost und Grossberg 1996).


Abb. 3.1: Nicht kognitive Symptome im Zeitverlauf der Alzheimer-Demenz (modifiziert nach Jost und Grossberg 1996). In dieser Abbildung sind die Maxima der Häufigkeit nicht kognitiver Symptome der Alzheimer-Demenz über die Zeit vor der Erfüllung der Diagnosekriterien aufgetragen. Die Daten wurden bei 100 Patienten mit post mortem histopathologisch gesicherter Alzheimer-Demenz erhoben.

Vor diesem Hintergrund erschien es naheliegend zu untersuchen, ob die Selbstwahrnehmung der Betroffenen in Form von subjektiven Störungen der geistigen Leistungsfähigkeit, insbesondere von subjektiven Gedächtnisstörungen, ein geeignetes Hilfsmittel zur Früherkennung der Alzheimer-Demenz sein kann (Jessen 2014).

Subjektive Gedächtnisstörungen werden im Allgemeinen mit Hilfe von drei Fragen erhoben:

• Haben Sie das Gefühl, dass Ihr Gedächtnis in letzter Zeit nachgelassen hat?

• Wenn ja, machen Sie sich deswegen Sorgen?

• Glauben Sie, dass Ihr Gedächtnis schlechter ist als das Gedächtnis vergleichbarer gleichaltriger Personen?

Diese Fragen werden im Allgemeinen in der angegebenen Reihenfolge mit abnehmender Häufigkeit bejaht. So beantworteten von 130 über 50-jährigen Teilnehmern eines Demenz-Präventionsprogramms 66 % die erste Frage mit »Ja«, 49 % die zweite und 32 % die dritte (Adler et al. 2018).

Bei bildgebenden Untersuchungen von Personen mit subjektiven Gedächtnisstörungen wurde gehäuft eine Verminderung des Hippokampus-Volumens gefunden, wie sie für die Alzheimer-Demenz charakteristisch ist (Tepest et al. 2008). Auch histopathologische Untersuchungen und Positronen-Emissions- Tomogramme mit Amyloid-Liganden zeigten bei diesen Personen gehäuft Amyloid-Ablagerungen (Amariglio et al. 2012; Perrotin et al. 2012).

Die wichtigste Frage ist allerdings, ob anhand der subjektiven Gedächtnisstörungen vorhergesagt werden kann, ob sich ein objektiv fassbares Nachlassen der Gedächtnisleistung entwickeln wird. Längsschnittuntersuchungen zeigen, dass dies der Fall ist. So ist beim Bestehen von subjektiven Gedächtnisstörungen das Risiko für die Entwicklung einer Demenz im Verlauf der folgenden fünf Jahre etwa um das Zwei- bis Dreifache erhöht (Reisberg et al. 2010; Mitchell et al. 2014). Dies gilt insbesondere bei Personen, bei denen neben den subjektiven Gedächtnisstörungen bereits leichte objektivierbare Einschränkungen der geistigen Leistungsfähigkeit bestehen oder die gut gebildet sind (Jonker et al. 2000). Man geht davon aus, dass gut gebildete Personen Veränderungen ihrer geistigen Leistungsfähigkeit einerseits subjektiv deutlicher wahrnehmen, aber andererseits bei testpsychologischen Untersuchungen durch ihre gute Bildung wegen Deckeneffekten der verwendeten Testinstrumente noch längere Zeit unbeeinträchtigt erscheinen.

Andererseits klagen Personen im höheren Erwachsenenalter häufig über ein Nachlassen des Gedächtnisses oder der geistigen Leistungsfähigkeit (Jonker et al. 2000; Lachman 2004). Daher wird die klinische Bedeutung von subjektiven Gedächtnisstörungen, insbesondere ihr individueller Vorhersagewert für die Entwicklung einer Alzheimer-Demenz recht unterschiedlich bewertet (Reid und McIullich 2006; Mol et al. 2007; Kryscio et al. 2016).

Die Selbstwahrnehmung von Gedächtnisstörungen ist eine komplexe Leistung. Schließlich geht es um die Wahrnehmung einer unerwünschten oder befürchteten krankheitsbedingten Veränderung durch den Betroffenen bei sich selbst vor dem Hintergrund der alterstypischen Veränderungen der geistigen Leistungsfähigkeit. Normalerweise kommt es mit zunehmendem Lebensalter zu einer Abnahme der sogenannten fluiden Intelligenzleistungen; das sind vor allem kognitive Verarbeitungsgeschwindigkeit, Aufmerksamkeit und Flexibilität (Cattell 1943). Die sogenannten kristallinen Intelligenzleistungen, insbesondere die im Laufe des Lebens erworbenen Fertigkeiten und Kenntnisse, bleiben hingegen auch im höheren Lebensalter stabil und können weiter zunehmen (Salthouse 2003, 2009). Die Abnahme der fluiden Intelligenzleistungen, insbesondere der kognitiven Verarbeitungsgeschwindigkeit, führt zu Veränderungen der kognitiven Leistungsfähigkeit, die den Betroffenen als Gedächtnisstörungen erscheinen können (Murman 2015).

Die subjektive Wahrnehmung einer kognitiven Verschlechterung wird auch durch den individuellen Kenntnisstand hinsichtlich der normalen altersbedingten Veränderungen der geistigen Leistungsfähigkeit und durch persönliche Erfahrungen mit Demenzerkrankungen bei anderen Personen, z. B. den eigenen Eltern, beeinflusst. Gleiches gilt für Depressivität, Ängstlichkeit sowie bestimmte Persönlichkeitszüge, insbesondere eine depressiv gefärbte selbstkritische Haltung (Jorm et al. 2004). All diese Faktoren beeinträchtigen die Verwertbarkeit der subjektiven Gedächtnisstörungen für die Prädiktion von objektiven Gedächtnisstörungen, so dass deren individueller Vorhersagewert von etlichen Autoren als eher gering eingeschätzt wird (Burmester et al. 2016).

Personen, die an einer Demenz erkrankt sind, berichten oft, dass im Vorfeld der Erkrankung gehäuft »Aussetzer« auftraten, beispielsweise Momente der räumlichen, zeitlichen oder situativen Desorientiertheit, Augenblicke der Verwirrtheit oder des Erschreckens, wenn eine eigentlich selbstverständliche Information nicht verfügbar war. Diese Erlebnisse werden »kognitive Blackouts« genannt und bilden wahrscheinlich eine wesentliche Grundlage für die subjektive Wahrnehmung einer kognitiven Verschlechterung bei einer beginnenden Demenz.

Um dieses Phänomen genauer zu erfassen, führten wir mit Patienten, die an einer leichten Alzheimer-Demenz erkrankt waren, halbstrukturierte Interviews durch, in denen sie nach Selbstbeobachtungen gefragt wurden, die ihnen rückblickend als frühe Zeichen der Demenzerkrankung erschienen (Adler 2017). Wir sammelten etwa zwanzig derartige von den Patienten angegebene Selbstbeobachtungen, skalierten sie in vier Stufen und untersuchten sie prospektiv bei Personen, die an einem Gedächtnis-Vorsorgeprogramm teilnahmen. Auf dieser Grundlage entwickelten und validierten wir einen Selbstbeurteilungs-Fragebogen mit 5 Items, die Checkliste für kognitive Blackouts (CKB) ( Kasten 3.1).

Die in den Items 2 bis 4 dargestellten Selbstbeobachtungen traten tatsächlich gehäuft bei Personen auf, bei denen sich auch in der neuropsychologischen Testung kognitive Beeinträchtigungen zeigten. Das Item 1 beschreibt hingegen eine Störung des Arbeitsgedächtnisses, die in der Bevölkerung im Allgemeinen für geradezu typisch für eine beginnende Demenzerkrankung gehalten wird. Diese Selbstbeobachtung wurde allerdings im Gegensatz zu unseren Erwartungen als einziges der von uns untersuchten Items von Personen mit objektiv bestätigten Gedächtnisstörungen signifikant seltener berichtet als von unbeeinträchtigten Probanden. Das hängt möglicherweise mit dem Vergessen derartiger häufig vorkommender Erlebnisse bei gleichzeitigem Auftreten gravierenderer Ereignisse oder mit mangelnder Offenheit der Befragten zusammen. Das Item wurde mit umgekehrter Skalierung in die Checkliste aufgenommen.

Kasten 3.1: Checkliste für kognitive Blackouts (CKB) (Adler 2017) Jedes Item wird in vier Ausprägungen von links nach rechts mit Werten von »0« bis »3« kodiert, so dass Scores zwischen 0 und 15 erreicht werden.

Wenn Sie an die letzten sechs Monate denken, wie oft kommt es vor, dass Sie

(1) … etwas aus einem anderen Zimmer holen wollen, dort aber vergessen haben, was Sie holen wollten?


(2) … kürzlich vereinbarte Termine oder Verabredungen vergessen einzuhalten oder ohne Erinnerungshilfe vergessen würden (z. B. Kalender, Hinweis durch andere)?


(3) … ein Buch oder einen Text lesen, aber nach kurzer Unterbrechung deutliche Schwierigkeiten haben, sich wieder hinein zu finden, oder dazu neigen, Inhalte »durcheinander zu werfen«?


(4) … überlegen müssen, welchen Monat wir gerade haben?


(5) … an einem fremden Ort deutliche Schwierigkeiten haben, sich zurecht zu finden oder einige Zeit brauchen, bis Sie die Wege kennen (z. B. im Hotel, den Fußweg in einem großen Einkaufszentrum zurück zum Auto)?


Bei der Validierung und weiteren Untersuchungen der CKB zeigte sich, dass Scores von 7 oder mehr mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für objektive Gedächtnisstörungen verbunden waren (Adler et al. 2018) und gehäuft bei Personen mit Risikofaktoren für die Entwicklung einer Alzheimer-Demenz auftraten (Binder et al. 2017; Gnosa et al. 2019). Von den Befragten wurde die Checkliste im Allgemeinen positiv angenommen, da sie es zum einen schätzten, als Experten in eigener Sache befragt zu werden, zum anderen das Gefühl hatten, dass wesentliche Aspekte ihres subjektiven Erlebens bei der Untersuchung berücksichtigt wurden.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Selbstbeurteilung der geistigen Leistungsfähigkeit, insbesondere wenn sie sich auf die Selbstbeobachtung von typischen Phänomenen für beginnende Demenzerkrankungen bezieht, durchaus einen diagnostischen Wert hat und gegebenenfalls weitere Untersuchungen auslösen sollte.

Handbuch Demenzvorsorge

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