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2.2 Selten krank und dann: der plötzliche Herzinfarkt

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Herr W. ist 34 Jahre jung, sportlich und erfolgreich. Er leitet seit einem Jahr eine Abteilung mit neun Mitarbeitern, die fast alle älter sind als er. Ein eingespieltes Team, das er übernommen hat.

Es war für ihn am Anfang nicht leicht. Er kam, wie man sagt, von extern. Er musste sich erst einfinden, alles kennen lernen. Dann kam eine Umstrukturierung. Sein Team, gerade zusammengewachsen, veränderte sich. Zwei Mitarbeiter gingen, drei kamen neu hinzu. Der Aufbau des Teams begann von vorn. Herr W. kam morgens als Erster, ging meist als Letzter. Er will Erfolg.

Herr W. hat hohe Ansprüche an sich selbst und natürlich auch an seine Mitarbeiter. Gerade in dieser wirtschaftlich schwierigen Zeit ist das notwendig. Sein Ziel ist, möglichst immer die beste Leistung abzurufen. Er ist ein Leistungsträger und ein Kämpfer.

Dies brachte ihm in der Vergangenheit den notwendigen Respekt und die Anerkennung von Vorgesetzten, Kollegen und seinen Mitarbeitern ein. Aber er will mehr. Er will durchhalten und mittelfristig aufsteigen.

Das letzte Meeting in Paris lief sehr gut für ihn. Die akribischen, tagelangen Vorbereitungen für dieses Meeting beschäftigten ihn bis spät in die Nacht. Es ging um viel. Eigentlich macht Herr W. Präsentationen mit Routine. Immer wieder waren jedoch die Zahlen zu korrigieren, die Darstellungen nicht gut genug, die Aussagen nicht präzise genug auf den Punkt fokussiert. Herr W. wollte einen guten Eindruck machen und bestens vorbereitet sein. Was wäre, wenn kritische Fragen gestellt würden? Der hohe Anspruch ließ ihn nicht mehr gut schlafen. Die Gedanken beschäftigten ihn auch in der Freizeit. Abschalten war schwer.

Seine Frau kann das nicht mehr verstehen. Sie sagt, er mache zu viel, will zu viel. Immer öfter hört er von seiner Frau, er kümmere sich nicht genug um die Familie. Er denkt, sie könnte Recht haben.

Doch was soll er tun? Entschleunigen? Einfach an etwas anderes denken? Im Büro versuchen, schöne Gedanken zu haben? Öfter um 18:00 Uhr nach Hause gehen, um die Kinder noch wach zu sehen? Das würde er gerne, hat es auch schon versucht, doch es klappt nicht. Es geht einfach nicht. Denn wenn er aus dem Fenster schaut, denkt er daran, wie viele wichtige Aufgaben noch unerledigt sind. Da ist das unterschwellige, ungute Gefühl, ständig.

Gefragt, ob ihm die hohen Anforderungen etwas ausmachen, sagt Herr W. „nein“. Er suche Herausforderungen, brauche Stress und den Adrenalinschub zu spüren mache Spaß. Eine normale Tätigkeit sei nichts für ihn, sagt er. Er wolle es so.

Er denkt, er hat doch auch seinen Ausgleich in der Freizeit. Wenn die Zeit es erlaubt, spielt er Fußball mit seinen Freunden. Gerade das Bier danach in lockerer Runde ist ihm wichtig und tut gut. Entspannung pur. So steht es in den Fachzeitschriften, mehr Zeit mit Freunden verbringen senkt den Stress. Stimmt das wirklich? Ihm geht es so, dass er auch dann wieder an die Präsentation in Paris denkt. Dazu kommt das schlechte Gewissen, zu wenig Zeit für seine Frau und die Kinder zu haben. Die Gedanken sind wie ein Film, der während der Gespräche mit seinen Freunden gleichzeitig im Hinterkopf läuft. Die Gedanken kommen von allein.

Plötzlich schießen sie durch den Kopf: Hat er an alles gedacht? Sind die Kalkulationen richtig gerechnet? Was ist, wenn es schief geht? Wird er professionell genug auf diesem Parkett auftreten? Wird es reichen? Man kann es immer besser machen. Seine Gesprächspartner und Freunde bekommen von all dem nichts mit. Sie halten ihn für einen Erfolgstypen, der immer im Vorbeigehen abräumt. Er ist Träger des „Erfolgsgens“, auf der Überholspur, so denken sie.

Bereits vor einigen Monaten fiel ihm auf, dass er immer vor und während beruflich heikler Phasen Schmerzen im Rückenbereich hatte. Ein merkwürdiges Ziehen vom Rücken her nach vorne, bis in den linken Arm hinein.

Beim letzten Check erzählte er seinem Arzt davon. Sein Arzt gab sich alle Mühe, er konnte nichts finden. Ein leichtes Schmerzmittel sollte gegen die Verspannungen der Muskeln und des Bewegungsapparates helfen. Die richtige Sitzposition während der Arbeit sei wichtig.

Die zunächst leichten, dann zunehmend stärker werdenden, stechenden Schmerzen in der Brust während des letzten Fußballspiels kamen für Herrn W. völlig überraschend. Zwei Tage später fand die Präsentation aller Abteilungen vor dem Vorstand zum Jahresabschluss in Paris statt. Es lief gut für ihn. Er hätte zufrieden sein können. Doch auch die Schmerzen waren wieder da. Verspannungen?

Plötzlich, am späten Abend, er war noch im Büro, kamen die Schmerzen wieder und wurden schnell stärker. Er spürte deutlich das Pochen in seinen Adern. Dann begann der Horror. Jetzt wurde er kurzatmig. Bekam keine Luft. Luftnot und Herzrasen gleichzeitig. Er spürte nur noch den stechenden Schmerz. Er bekam Panik. Hatte Todesangst. Was war los? Er hatte Mühe sich zu setzen. War kreidebleich, spürte den kalten Schweiß auf der Stirn. Geistesgegenwärtig rief jemand sofort den Notarzt. Minuten später wäre es wahrscheinlich zu spät gewesen. Mit Blaulicht traf der Rettungswagen ein. Diagnose: Herzinfarkt.

Fazit: Ärzte wissen und Studiendaten sowie Statistiken zeigen immer deutlicher, dass die Diagnose Herzinfarkt immer jüngere Menschen trifft. Auch scheinbar gesunde Menschen sind zunehmend betroffen. Die Kardiologie steht vor einem Rätsel und einem weiteren Problem. Wie können sie die Hinweise sicher deuten, erkennen und im Vorfeld diagnostizieren? Diese Menschen sind häufig während der Untersuchungen unauffällig und ohne Symptome oder klare Hinweise auf die Erkrankung. Wenn die Entschleunigung nicht funktioniert, wie sonst reduzieren diese Erfolgstypen ihr Risiko? Welche Bedeutung haben tägliche hohe mentale Stress-Belastungen? Wie kann es sein, dass so junge scheinbar gesunde Menschen betroffen sind? Welche Zusammenhänge bestehen zwischen den täglichen Belastungen und den pathophysiologischen Mechanismen?

Krankheit beginnt im Kopf – Gesundheit auch

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