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5.1.1 Beispiele für eine veränderte Informationsverarbeitung

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Für diese Theorie gibt es verschiedene Befunde, die einen verstärkt lokalen „kognitiven Stil“ unterstützen. Auf der Ebene der Wahrnehmung konnte gezeigt werden, dass Personen mit ASS teilweise weniger anfällig für Illusionen sind. Beispielsweise konnten Personen aus der ASS-Gruppe bei der Ebbinghaus-Illusion im Größenvergleich der mittleren Kreise bessere Ergebnisse erzielen als neurotypische Personen (s. Abb. 1).

Abb. 1 Ebbinghaus-Illusion (englischsprachiger Raum: Titchener Circles). Die Aufgabe besteht darin, zu entscheiden, ob die beiden Kreise im Mittelpunkt gleich groß sind oder nicht. Tatsächlich sind die beiden mittleren Kreise gleich groß, jedoch ergibt sich durch die auf der linken Seite umgebenden großen und auf der rechten Seite umgebenden kleinen Kreise ein Kontexteffekt, sodass der Eindruck entsteht, der mittlere Kreis auf der rechten Seite sei größer. Personen mit ASS scheinen hierbei weniger stark durch den Kontexteffekt beeinträchtigt zu werden und geben daher häufiger eine richtige Antwort.

Ein weiterer Hinweis für einen veränderten „kognitiven Stil“ liefert z.B. der McGurk Effekt (McGurk u. MacDonald 1976, s.u.). Bei Personen mit ASS scheint die visuelle Informationsverarbeitung eine gleichzeitig stattfindende akustische Informationsverarbeitung weniger stark zu verändern als bei neurotypischen Personen, sodass häufiger die richtige, gesprochene Silbe „BA“ berichtet wird (de Gelder et al. 1991)


McGurk Effekt

Bei dieser Aufgabe wird das Gesicht eines Sprechers, dessen Lippen Silben formen, frontal gezeigt und gleichzeitig hört man ihn die Silben sprechen. Im Regelfall geben neurotypische Personen an – wenn sie gleichzeitig auf die Mundbewegung achten und ihn sprechen hören –, dass sie die Silbe „DA“ gehört haben. Wenn die Person nun die Augen schließt hört sie hingegen „BA“, jedoch wenn nur auf die Mundbewegung geachtet wird, die Silbe „GA“. Somit entsteht durch die Integration der visuellen Modalität („GA“) und der akustischen Modalität („BA“) über die verschiedenen Wahrnehmungskanäle das Ergebnis „DA“. Wir lassen uns also durch die beiden unterschiedlichen Signale bei der Integration beider Informationen „täuschen“ und scheinen etwas ganz anderes wahrgenommen zu haben als dies visuell oder akustisch je transportiert wurde. Dies scheint ein äußerst robuster Effekt zu sein, der bei der Mehrheit neurotypischer Personen zu dem Ergebnis „DA“ führt.

Andere Hinweise finden sich bei der visuell-räumlichen Wahrnehmung sowie bei der visuell-räumlichen Konstruktion. Bei der Bearbeitung des „eingebettete Figuren-Tests“ (im englischsprachigen Raum als Embedded Figure Test bekannt) ist die verstärkte lokale Verarbeitung von visuellen Stimuli bei ASS von Vorteil.


Eingebettete Figuren-Test/Embedded Figure Test

Bei diesem Test muss eine geometrische Figur in einem Bild gefunden werden (s. Abb. 2).

Abb. 2 Eingebettete Figuren-Test (englischsprachig Embedded Figure Test). Das Dreieck auf der linken Seite soll in der Kinderwagenfigur identifiziert werden. Dies können Personen mit ASS häufiger als typisch entwickelte Personen erkennen. Neurotypische Personen scheinen durch das Gesamtarrangement des Kinderwagens mehr Mühe zu haben, einzelne Figuren zu identifizieren und herauszulösen (modifiziert nach Karp u. Konstadt 1971).

Auch hier gibt es Hinweise, dass sich neurotypische Personen wesentlich stärker durch den Kontext (hier der Kinderwagen) „beirren“ lassen und die geometrische Figur seltener im Bild identifizieren können (Jolliffe u. Baron-Cohen 1997). Die Unterschiede konnten sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen gefunden werden.

Auch bei bestimmten visuell-räumlichen Konstruktionsleistungen sind Personen mit ASS bei der Bearbeitung der Aufgabe schneller als neurotypische Personen (Shah u. Frith 1993). Bei diesem Test handelt es sich um ein Verfahren aus dem Wechsler Intelligenztest, den sogenannten Mosaiktest (im englischsprachigen Raum: Block Design Test).


Mosaiktest

Die Aufgabe besteht darin, anhand einer zweidimensionalen, nicht-segmentierten Bildvorlage mithilfe von Würfeln die Vorlage nachzubauen (s. Abb. 3). Im Original besteht jeder Würfel aus je zwei rein weißen, zwei rein roten und zwei halb weiß-roten Seiten mit diagonaler Trennlinie. Dabei ist neben dem korrekten Nachbau die Bearbeitungszeit ein wichtiger Indikator für die Leistung, d.h. je schneller gebaut wird, desto höher der Punktwert.

Abb. 3 Mosaiktest (Block Design Test). Untertest aus dem Wechsler Intelligenztest für die Prüfung von räumlich-konstruktiven Fähigkeiten (Abbildung stellt ein vergleichbares Beispiel dar). Aus den dreidimensionalen Würfeln mit identischen Seiten muss das obige Muster gelegt werden. Das Muster besteht aus vier Würfeln, wobei bei diesem Beispiel immer die halb-schwarz/halb-weiße Seite verwendet werden muss, um das Muster korrekt zu legen. Das Muster lässt sich leichter legen, wenn die Vorlage zuvor anhand der Würfelgrenzen segmentiert wird. Personen mit ASS konnten die Vorlagen schneller legen als neurotypische Gruppen. (von Aster et al. 2006, © Pearson Assessment Frankfurt/Main)

Die bessere Leistung von Personen mit ASS bei diesem Test wird damit erklärt, dass sie die Vorlage eher in ihre einzelnen Teile, d.h. die einzelnen Würfelflächen zergliedern, was dabei hilft, die richtige Zusammensetzung der Flächen für die Gesamtvorlage zu finden. Neurotypische Personen nutzen diese Strategie weniger und versuchen eher das Gesamtbild nachzubauen.

Zudem wird häufig über eine veränderte Verarbeitung bei gesprochener und geschriebener Sprache und deren Bedeutung berichtet. Das Finden von Fehlern in einem Text scheint überdurchschnittlich gut zu gelingen, da es sich um eine verstärkte lokale Verarbeitung handelt. Diese lokale Verarbeitung wird jedoch dann zum Nachteil, wenn der zugrunde liegende Kontext eine wesentliche Rolle spielt und für die Interpretation „zwischen den Zeilen“ gelesen werden muss. Bei einem Gedächtnistest, bei dem unverbundene Wörter oder aber zusammenhängende Sätze aus dem Gedächtnis wiedergegeben werden sollen, zeigten Personen mit ASS eine bessere Leistung bei ersterem und neurotypische Kontrollpersonen eine bessere Leistung bei letzterem (Hermelin u. O’Connor 1967). Personen mit ASS scheinen weniger semantische oder grammatikalische Relationen zu nutzen, dennoch verstehen sie bei normaler bis sehr guter Intelligenz die Bedeutung durchaus. Bei spontaner und automatischer Aufgabenbearbeitung scheint jedoch der Fokus eher auf der Speicherung lokaler Informationen zu liegen, wobei dies umso mehr zu Tage tritt, je offener eine Aufgabenstellung ist (Happé 1999).

Ein Teil der Personen mit ASS haben besondere Begabungen und werden als Savants bezeichnet. Stephen Wiltshire ist beispielsweise eine Person mit einem fotografischen Gedächtnis und einer Begabung für das Zeichnen von Stadtlandschaften. Nachdem er nur für relativ kurze Zeit eine Stadt mit einem Helikopter überflogen hat, kann er ein sehr genaues Panorama zeichnen. Er fertigt zuvor keine Grobskizzen oder Entwurfszeichnungen an, sondern beginnt an einer Stelle auf der Leinwand direkt mit der detaillierten Zeichnung (Wiltshire 2007).

Auf der einen Seite passen solche Beobachtungen gut zu der Theorie der schwachen zentralen Kohärenz, da sich Wiltshire die Details wie beispielsweise Anzahl der Fenster oder Anzahl der Säulen eines Gebäudes merken kann. Fragen kann man sich dennoch, ob diese Leistung ohne eine sehr gute proportionale Abstimmung des Ganzen (also globale Verarbeitung) möglich wäre. Man kann jedoch auch argumentieren, dass er bei einer sehr guten proportionalen globalen Abstimmung für das Gesamtbild über ein wesentlich besseres Gedächtnis für Bilderdetails verfügt.

Savant-Fähigkeiten am Beispiel von Stephen Wiltshire und David Tammet

Stephen Wiltshire überflog in einem Hubschrauber in 45 Minuten einen Teil von Rom, wobei er diese Stadt noch nie zuvor gesehen hatte (Wiltshire 2007). Danach zeichnete er in drei Tagen ein etwa fünf Meter breites Panorama auf eine Leinwand. Auf ähnliche Weise entstand das Panoramabild von Tokio (Wiltshire 2006). Auch hier überflog er die Stadt in einem Helikopter. Zusätzlich konnte er sich Details und Gebiete der Stadt von einer Aussichtsplattform auf einem Hochhaus aus einprägen. Danach zeichnete er ein zehn Meter breites Panoramabild. Es wird berichtet, dass er aufgrund seines fotografischen Gedächtnisses das gesamte Stadtpanorama schon komplett im Kopf hatte, bevor er zeichnete.

Ein weiteres Beispiel für eine Person mit besonderer Begabung ist Daniel Tammet. Bei ihm wurde ebenfalls eine ASS diagnostiziert (Tammet 2007). Die besonderen Begabungen sind sein außerordentlich gutes Zahlengedächtnis und das Beherrschen und Lernen von diversen Fremdsprachen. So hat er beispielsweise die Zahl PI bis auf 22.500 Stellen nach dem Komma auswendig gelernt, darüber hinaus noch in einer sehr kurzen Zeit von 3 Monaten. Im Gegensatz zu den meisten anderen Menschen sieht er Zahlen nicht nur als Ziffern, sondern als Landschaften mit verschiedenen Formen und Strukturen. Diese Empfindung ist eine Verknüpfung mindestens zweier, normalerweise getrennter Perzepte, wobei die Stimulation eines Sinnes die gleichzeitige Wahrnehmung im anderen Sinn hervorruft. Verknüpft sein können zum Beispiel Zahlen und Farben, Töne und Farben, Schmerz und Farben/Formen, visuelle Eindrücke und Geschmack. Diese Synästhesie wird bei ihm in Zusammenhang mit einer epileptischen Episode im Alter von vier Jahren in Verbindung gebracht.

Autismus-Spektrum-Störungen im Erwachsenenalter

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