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5.2 Exekutive Dysfunktionen

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Das Konstrukt der „exekutiven Funktionen“ ist zunächst einmal ein Sammelbegriff, der je nach Definition verschiedene mentale Einzelfunktionen beinhalten kann.

Ozonoff und Kollegen (1991, S. 1083) definieren exekutive Funktionen als die Fähigkeit, eine angemessene Anzahl von Problemlösefunktionen für ein in der Zukunft liegendes Ziel zur Verfügung zu haben. Zu den exekutiven Funktionen oder Verhaltensweisen gehören das Planen, die Impulskontrolle, die Inhibition (Hemmung oder Unterdrückung von z.B. Verhalten) und die Flexibilität von Gedanken und Aktionen.

Die exekutiven Funktionen werden vor allem mit dem frontalen Kortex in Verbindung gebracht. Im Hinblick auf ASS werden vor allem repetitive, beschränkte und stereotype Verhaltensweisen mit dysfunktionalen Exekutivfunktionen in Beziehung gebracht. Als besonders typische Schwierigkeiten bei ASS werden vor allem flexibles Denken und Handeln sowie Defizite bei der Planung beschrieben.

Ozonoff und Kollegen (1991) beschäftigten sich mit der Frage, welche der Symptome primär und daher fundamental sind und welche als sekundär anzusehen sind. Da in Studien häufig Kinder mit ASS und einer gleichzeitig bestehenden Minderbegabung getestet wurden, bestehen Zweifel hinsichtlich der bei ASS berichteten Defizite. Um dies zu verhindern, wurden in der Studie 1991 durchschnittlich intelligente Kinder und Jugendliche mit hochfunktionalem Autismus und Asperger-Syndrom (HFA, AS) untersucht. Dabei wurden Aufgaben aus verschiedenen Domänen verwendet: Emotionserkennung, Theory of Mind (s. Kap. I.5.3), Testverfahren zu den exekutiven Funktionen und dem verbalen Gedächtnis. Es zeigte sich, dass Personen mit HFA/AS Schwierigkeiten in allen vier untersuchten Bereichen im Vergleich zu einer Kontrollgruppe mit typisch entwickelten Kindern und Jugendlichen aufwiesen.

Im Bereich der Emotionswahrnehmung findet man jedoch widersprüchliche Ergebnisse, da manche Studien keine Beeinträchtigungen belegen konnten. Es stellt sich die Frage, ob die Erkennungsleistung herabgesetzt ist und/oder die für die Emotionserkennung benötigte Zeit verlängert ist. Personen mit ASS beschreiben, dass sie vor allem Schwierigkeiten in komplexen sozialen Situationen haben und Interaktionspartner nur schwer einschätzen können. Studien zum Blickverhalten von Personen mit ASS legen den Schluss nahe, dass sie weniger häufig den Bereich der Augen des Interaktionspartners betrachten, sondern eher den Mund. Die komplette Vermeidung von Blickkontakt verhindert somit die Interpretation einer mimisch ausgedrückten Emotion. Eine schlechte Emotionserkennung scheint jedoch kein Alleinstellungsmerkmal für ASS zu sein. Ozonoff und Kollegen (1991) gehen davon aus, dass es sich bei der Emotionserkennung um kein primäres Defizit handelt.

Auch die berichteten Schwierigkeiten beim verbalen Gedächtnis sind nicht eindeutig, hierzu gibt es ebenfalls Untersuchungen, bei denen keine Unterschiede festgestellt wurden.

Die Aufgaben zu exekutiven Funktionen, die zwischen Personen mit ASS und Neurotypischen unterscheiden, lassen sich in verschiedene dafür verwendete Fähigkeiten unterteilen. Zu den Aufgaben, welche die Flexibilität einer Person testen, gehört z.B. der Wisconsin Card Sorting Test (WCST).


Wisconsin Card Sorting Test (WCST)

Beim WCST muss eine Person implizite Sortier-Regeln für das Anlegen von Karten an unterschiedliche Kartenstapel entdecken. Diese zu entdeckenden Regeln wechseln zusätzlich von Zeit zu Zeit während der Bearbeitung der Aufgabe. Damit soll das Entdecken von Regeln durch induktives Vorgehen oder durch Erkennen und flexibles Anpassen neuer Regeln überprüft werden, wenn die bisherige nicht mehr gültig ist. Auf der einen Seite muss daher bei der Bearbeitung der Aufgabe eine gewisse Kontinuität bestehen, um eine Regel zu finden und diese aufrechtzuerhalten, auf der anderen Seite sollte jedoch die zu testende Person flexibel genug bleiben, dass sie bei einer Regeländerung nicht an der alten Regel „kleben“ bleibt (Perseveration).

Studien mit diesem Testverfahren zeigen, dass Personen mit ASS im Vergleich zu einer typisch entwickelten Gruppe Schwierigkeiten haben, sich von der alten Regel zu lösen, sobald diese nicht mehr gültig ist. Vor allem wird häufiger das Beharren (Perseveration) auf einer alten Regel trotz Fehlerrückmeldung nach angelegter Karte berichtet.

Eine Aufgabe die im Zusammenhang mit Planungsleistungen verwendet wird, ist der „Turm von Hanoi“ oder der „Turm von London“. Beide Türme sind sich in der Art der Aufgabenstellung sehr ähnlich. Kinder und Jugendliche mit ASS zeigten schlechtere Leistungen im Test als eine typisch entwickelte Vergleichsgruppe.


Turm von Hanoi/London

Der Turm von Hanoi hat drei Stangen und mindestens drei Scheiben mit unterschiedlichem Durchmesser (s. Abb. 4). Die Regel lautet, dass immer nur eine einzige Scheibe von einer Stange auf eine andere gesteckt werden darf und dass eine große Scheibe niemals über einer kleineren Scheibe liegen darf.

Der Turm von London hat ebenfalls drei Stangen jedoch mindestens drei gleichgroße, verschiedenfarbige Kugeln. Hier darf jede Kugel über der anderen zum Liegen kommen, jedoch darf pro Zug auch immer nur eine bewegt werden.

Bei beiden Aufgaben wird ein Anfangs- und ein Zielzustand gezeigt. Die Aufgabe besteht nun darin die Scheiben oder Kugeln mit einer minimalen Anzahl von Zügen vom Ausgangspunkt in den Zielzustand zu bringen.

Abb. 4 A) Turm von Hanoi. Eine größere Scheibe darf nie über einer kleineren liegen. Es darf immer nur eine Scheibe pro Zug bewegt werden. B) Turm von London. Es darf immer nur eine Kugel pro Zug bewegt werden. Bei beiden Aufgaben sollen von einem Anfangszustand aus die Scheiben bzw. Kugeln so umgesetzt werden, dass der Zielzustand mit einer minimalen Anzahl von Zügen erreicht wird.

Es wird angenommen, dass dysfunktionale exekutive Funktionen nicht nur basale Schwierigkeiten hervorrufen, sondern auch höhere kognitive Funktionen, wie die soziale Kommunikation und die Theory of Mind, beeinträchtigen. Ahmed und Miller (2011) untersuchten ToM-Aufgaben und stellten beispielsweise fest, dass „Strange Stories“ und „Fauxpas“-Aufgaben mit Tests zur verbalen Flüssigkeit und dem Problemlösen korrelierten.


Strange Stories

Testverfahren zur Überprüfung des Verständnisses von Überzeugungen anderer Personen (s. hierzu auch Kap. I.5.3).

Fauxpas

Fähigkeit, Situationen zu erkennen und zu verstehen, dass z. B. eine Person eine andere ohne Absicht beleidigt oder verletzt. Es handelt sich dabei um einen unbeabsichtigten Verstoß gegen ungeschriebene Umgangsformen z. B. im Stil, der Etikette, in der Sprachregelung. Im deutschen Sprachraum wird ein Fauxpas auch als „ins Fettnäpfchen treten“ bezeichnet.

Sowohl von Vertretern der Theorie der exekutiven Dysfunktionen als auch von den Vertretern der Theory-of-Mind-Defizit-Hypothese wird diskutiert, ob dysfunktionale exekutive Funktionen oder ToM als Ursache für die ASS-Symptome anzusehen sind oder ob beide unabhängig voneinander beteiligt sind. Diese Frage konnte bisher noch nicht endgültig beantwortet werden.

Autismus-Spektrum-Störungen im Erwachsenenalter

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