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Von Albrecht Ritschl zur Religionsgeschichtlichen Schule

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Die protestantische Theologie war seit den 1870er Jahren durch Albrecht Ritschl (1822–1889) beherrscht, ein nochmals neuer Ansatz bildete sich seit den 1890er Jahren durch die Religionsgeschichtliche Schule. Ritschl, Sohn eines Bischofs der preußischen Unionskirche, machte Schluss mit den überlieferten metaphysischen Begründungen der Theologie. Die Wurzel der Theologie lag für Ritschl in der Ethik. In seinem dreibändigen Werk „Rechtfertigung und Versöhnung“, erschienen von 1870 bis 1874, und in dessen populärer Fassung, dem „Unterricht in der christlichen Religion“ von 1875, legte er die Weltbezogenheit von Gottes Reich dar. Jesus war der Urheber der christlichen Gotteserfahrung, der den Menschen in Gottes Reich einwies: ganz weltlich, ganz praktisch und jenseits aller philosophischen Ontologie. Die Anwendung des historisch-kritischen Methodenapparats war für Ritschl selbstverständlich. Man konnte sich seiner Theologie ohne sacrificium intellectus anvertrauen: Ritschl, stets Akademiker und dennoch eine episkopale Gestalt, beherrschte die Kunst der Vermittlung. Zum wissenschaftlichen Wahrheitsbewusstsein der Epoche schlug er den Bogen ebenso wie zu den Bedürfnissen der Kirche. Seine Theologie fand auch im Lager der Konservativen Anklang.

Gegen Ritschls „Inkonsequenzen“, also gegen den bei ihm ausgeklammerten Widerspruch von dogmatischer und historischer Methode, meldete sich die Religionsgeschichtliche Schule – vertreten durch Wilhelm Bousset (1865–1920), Adolf Deißmann (1866–1937), William Wrede (1859–1906), Hermann Gunkel (1862–1932), Ernst Troeltsch (1865–1923) und andere – zu Wort. Sie stellte die biblischen Religionen in den Horizont der allgemeinen Religionsgeschichte. Der Verfremdungseffekt war gewaltig. Jetzt wurde nach Mythen, Riten und Mysterienkulten, nach soziologischen Grundmustern der Religionen gefragt. Die religionsgeschichtliche Monopolstellung des Christentums geriet stark ins Wanken, sosehr sich die Religionsgeschichtler als christliche Theologen bemühten, die „Absolutheit des Christentums“ aufrechtzuerhalten. Die radikale Historisierung der Religion war der vorläufige Abschluss der Verwissenschaftlichung der Theologie – mit Folgewirkungen allerdings, die auch der Systematiker der Religionsgeschichtlichen Schule, der Augsburger Arztsohn Ernst Troeltsch, nicht einzuholen vermochte. Im Vergleich mit den Ergebnissen der Religionsgeschichtlichen Schule wirkte die bisherige historisch-kritische Methodik fast schon harmlos. Hier lag ein Motiv für deren allmähliche Akzeptanz auch im konservativen Lager. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hielt kein ernsthafter wissenschaftlicher Theologe mehr an einem unkritischen Bibelverständnis fest.

Konservative Kirchenmänner wie Adolf Stoecker brandmarkten in der historisch-kritischen Methode jedoch den schärfsten Feind der Kirche. Sie sprachen von einem Hexenkessel der Kritik, in dem sich alles auflöste. Richtig an diesen Polemiken war das Empfinden einer Verselbständigung der historisch-kritischen Teilwissenschaften. Die exegetisch-historischen Spezialisten setzten Glanzlichter, welche die protestantische Theologie zu einer Großmacht im Reich der Wissenschaften machten. Doch die Frage nach dem Bezug zur Kirche blieb vielfach offen. Die bindende Kraft Schleiermachers, den man gern den Ahnvater der liberalen Theologie, dazu noch den „Origenes“ und den „Kirchenvater“ des 19. Jahrhunderts nannte, erwies sich vor der Allgewalt des wissenschaftlichen Spezialistentums als begrenzt. Schleiermachers Theologie erlag jener Dynamik, die er selber vorausgesagt hatte. Um 1880 war der Stern Schleiermachers erloschen, seit den 1890er Jahren war auch Ritschls Vorherrschaft gebrochen. Umgekehrt war die Religionsgeschichtliche Schule nicht in der Lage, die Ansprüche der Theologie zwischen Wissenschaftlichkeit und Kirchlichkeit auszubalancieren. Eine „Kulturwissenschaft des Christentums“ als Ersatz oder als neue Form der Theologie reichte nicht aus. Am Ungenügen des kirchlichen Bezugs im Theologieverständnis bereiteten sich gegen Ende des Kaiserreichs neue theologische Impulse vor. Sie führten in der „Theologierevolution“ der Zeit nach 1918 zu einem Verständnis der Theologie als „Funktion der Kirche“ (Karl Barth).

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