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9. Kapitel: Die protestantischen Kirchen im Ersten Weltkrieg Internationale Zusammenarbeit vor 1914

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1857 hatte Johann Hinrich Wichern von der „wahren Katholizität der Kirche“ gesprochen. Mit dem Begriff „wahre Katholizität“ hatte er eine frühere Erörterung über „Evangelische Katholizität“ aufgenommen. In den Jahren vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges verzeichneten die protestantischen Kirchen Europas und Nordamerikas bei ihrer internationalen Zusammenarbeit manche Erfolge. Die Weltmissionskonferenz von Edinburgh 1910 war ein Signal auf dem Gebiet der Mission. Ebenfalls vorangekommen waren zu diesem Zeitpunkt die Koordinierung sozialer Aktivitäten, der Wissenschaftsaustausch und die internationale Friedensarbeit.

Die 1887 gegründete Association protestante pour 1’étude pratique des questions sociales lud im gleichen Jahr, in dem im schottischen Edinburgh die Weltmissionskonferenz stattfand, nach Besançon ein. Gründer der Association, der allerdings die Zusammenkunft in Besançon nicht mehr miterlebte, war der zunächst lutherische, dann reformierte Pastor Thomas Fallot (1844–1904), geboren in einer Industriellenfamilie mit philanthropischer Tradition. Fallots Großvater gehörte zu den Initiatoren der internationalen Arbeitsgesetzgebung. Fallot hegte die Überzeugung, dass sich das Evangelium mit konkreten sozialen Aktionen verbinden müsse. Durch die Gründung der Association hatte er den Weg des Christianisme social betreten. Vizepräsident der Association war ein Professor der Politischen Ökonomie, Charles Gide (1847–1932), ein Onkel des Schriftstellers André Gide (1869–1951). Zwecks Evangelisation der Arbeiterklasse war der Christianisme social um 1900 zur Gründung von Fraternités und Solidarités übergegangen, Begegnungsstätten in den Arbeiterquartieren, deren erste 1898 durch Elie Gounelle (1865–1950) ins Leben getreten war. Durch Wilfred Monods (1867–1934) zweibändige „L’Espérance chrétienne“ von 1899 und 1901 war dem Christanisme social eine theologische Basis gegeben worden. Die Zusammenkunft in Besançon 1910 vereinigte Abgesandte aus Frankreich, der Schweiz, England, Deutschland, Belgien und Italien und führte zur Gründung der Fédération Internationale des Chrétiens Sociaux. Damit hatten die vielfältigen christlich-sozialen und evangelisch-sozialen Aktivitäten quer durch Europa – die sozialen Arbeiterzentren, sogenannte Settlements, die Sozialarbeit der anglikanischen christlichen Sozialisten in der Christian Social Union von 1889 und anderes mehr – eine erste internationale Bündelung erfahren. Die für September 1914 geplante zweite Konferenz der Fédération fiel dem Weltkrieg zum Opfer.

In der Wissenschaftspflege herrschte ein reger Austausch zwischen Deutschland und dem protestantischen Amerika. Adolf von Harnack, seit 1888 auf dem Lehrstuhl für Kirchengeschichte an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, erhielt 1893 einen Ruf nach Harvard, den er nicht annahm, mit einem Jahresgehalt von 4.500 US-Dollar, „which is the highest salary paid in the Faculty of Theology, Arts and Sciences“ (Präsident Charles William Eliot an Harnack, 2. Februar 1893). Amerikanische Studenten studierten in wachsender Zahl an deutschen Theologischen Fakultäten. Ein Höhepunkt für die protestantische Welt war 1904 der Congress of Arts and Science in St. Louis aus Anlass der Weltausstellung. Die anwesenden deutschen Theologen, unter ihnen Harnack und Troeltsch, waren beeindruckt von der Kraft und Frische des amerikanischen Volkes, während die Amerikaner begierig auf den Wissenschaftstransfer aus Deutschland waren. Der interkulturelle Optimismus legte die Verstärkung der Informations- und Kommunikationswege nahe. 1905 regte die preußische Ministerialbürokratie die Gründung eines „Jahrbuchs für die evangelische Welt“ an.

Dem Abbau zwischenstaatlicher Spannungen im Jahrzehnt vor dem Ersten Weltkrieg diente die Kultivierung der deutsch-britischen Beziehungen. 1908 machten etwa 130 deutsche Kirchenvertreter einen Besuch in London, der ein Jahr später in Berlin erwidert wurde. Da auch Vertreter der römisch-katholischen Kirche an der Festigung der „Friendly Relations between Great Britain and Germany“ mitwirkten, wie es im Bericht des Deutschen Komitees aus dem Jahr 1910 heißt, war das Unternehmen interkonfessionell. Aus den kirchlichen Besuchen, die in eine größere politische Besuchsdiplomatie von Bürgermeistern, Politikern und Journalisten eingebettet waren, gingen 1910 „Die vereinigten kirchlichen Komitees zur Pflege freundschaftlicher Beziehungen zwischen Großbritannien und Deutschland“ hervor. Das deutsch-englische Komitee bot sich als Plattform für weiterreichende Initiativen an. Joseph Allen Baker (1852–1918), Vorsitzender des britischen Exekutivausschusses, knüpfte Fäden zum 1908 gegründeten Federal Council der amerikanischen Kirchen. Fernziel war eine Weltkirchenkonferenz zur Friedensfrage. Auch die Schweizerische Kirchenkonferenz setzte sich lebhaft für das internationale Friedensengagement der Kirchen ein. 1913 stiftete der Industrielle Andrew Carnegie (1835–1919) zwei Millionen Dollar zur Unterstützung der Pläne. Eine Koordination verschiedener Institutionen und Personen erfolgte am 8./9. Mai 1914 in London; sie führte zu einer Konferenz vom 3./4. August 1914 in Konstanz. Aus ihr ging The World Alliance of Churches for Promoting International Friendship – ab 1915 World Alliance for Promoting International Friendship through the Churches – hervor. Doch die World Alliance tagte bereits im Schatten des Krieges. Die etwa achtzig Teilnehmer der Konferenz von Konstanz mussten die Stadt am Bodensee vorzeitig und überstürzt verlassen. Am 5. August 1914 kamen sie in London noch einmal kurz zusammen.

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