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Kirche und Kriegsnation

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Seit 1907 standen sich die europäischen Großmächte in Bündnissystemen gegenüber. Im August 1914 entwickelte sich mit rasch aufeinanderfolgenden Kriegserklärungen die militärische Auseinandersetzung. Am Anfang standen die Kriegserklärungen Österreich-Ungarns an Serbien am 28. Juli 1914, Deutschlands an Russland am 1. August 1914 und an Frankreich am 3. August 1914, gefolgt von den Mobilmachungs- und Kriegserklärungen der Gegenseite, dann wiederum von den Bündnisstaaten der Mittelmächte – also des Deutschen Reiches und Österreich-Ungarns – sowie derjenigen der Alliierten – Russland, Frankreich und Großbritannien. Mit den Kriegserklärungen an das Deutsche Reich vom 6. April 1917 und Österreich-Ungarn vom 7. Dezember 1917 traten im dritten Kriegsjahr auch die USA in das Kriegsgeschehen ein. Der europäische Krieg war damit endgültig ein Weltkrieg. Am 23. August 1914 hatte bereits Japan Deutschland den Krieg erklärt.

Die Kirchen traten 1914 sofort an die Spitze ihrer Nationen mit einer patriotischen und bellizistischen Entschlossenheit, die sich nur damit erklären lässt, dass jede der kriegführenden Parteien der „Gerechtigkeit“ ihrer Sache vor Gott und der Welt gewiss war. „Gott ist mit uns!“, hieß es im Deutschen Reich. Bereits im Frühjahr 1914 hatte sich Deutschland durch russische Kriegsvorbereitungen „eingekreist“ gesehen. „Sind wir ‚eingekreist‘, so bedarf es gar keiner Kriege, mitten im Frieden werden wir an die Wand gedrückt“ (Allgemeine Evangelisch-lutherische Kirchenzeitung vom 17. April 1914). Nun, da der Kriegszustand herrschte, wähnte man sich arglistig getäuscht und heimtückisch überfallen. Ein besonderer Wermutstropfen für das anglophile protestantische Deutschland war der Kriegseintritt des fortan als „perfide“ bezeichneten Albion (Großbritannien).

Wilhelm II. sprach in seinem Aufruf „An das Deutsche Volk“ vom 6. August 1914 – das Konzept hatte Harnack entworfen – von einem „tückischen Überfall … Mitten im Frieden überfällt uns der Feind. Darum auf! zu den Waffen“ (Besier, Krieg 19). Die Kriegsbegeisterung der protestantischen Geistlichen in Deutschland war in den als „glorreich“ charakterisierten Augusttagen 1914 ungeheuchelt, ja überschießend. Die Zahl der patriotischen Predigten, Ergebenheitsadressen, Manifeste, Geldsammlungen, Sondergottesdienste war erdrückend. Sie gehört heute zur negativen historischen Hypothek der deutschen Kirchengeschichte. Der Präsident des deutschen Komitees in der World Alliance for Promoting International Friendship through the Churches, Friedrich Albert Spieker (1854–1936), beschuldigte Großbritannien, die alleinige Verantwortung am Krieg zu tragen. Erst britische Zusagen hätten Russlands Mobilmachung ermöglicht. Selbst der Repräsentant des Weltbundes für Internationale Freundschaftsarbeit der Kirchen fand also keine mäßigende Sprache. Das lässt ahnen, wie schroff erst die Tonlage bei den Nationalisten und Annexionisten unter den Pastoren und Theologen war. Die Deutungen des Krieges steigerten sich zum Antagonismus der Kultursysteme: des „bornierten“ englischen und des „dekadenten“ französischen Systems der Zivilisation und des deutschen Kultursystems. Bei der theologischen und homiletischen Verarbeitung des Krieges stand der Gedanke vom Krieg als religiösem „Reformator“ und sittlichem Erzieher im Vordergrund. „Gott, der unendliche Güter und Werte zerstampfen lässt, ohne Einhalt zu gebieten, es ist der furchtbare, gewaltige Gott, der sich in seiner ganzen alttestamentlichen Herrlichkeit und Erhabenheit offenbart. Dann ist er der große erhabene Gott, der sich hoch über die Götzen erhebt, den die Menschen aus ihm gemacht haben“ (Krumwiede, Quellen 63).

In Großbritannien betätigten sich die Established Churches – die Church of England und Church of Scotland – als geistliche Sprachrohre der britischen Regierungspolitik. Auf das Manifest deutscher Theologen und Kirchenmänner „An die evangelischen Christen im Ausland“, welches die Schuld am Krieg jenen zuschob, „die das Netz der Kriegsverschwörung gegen Deutschland seit langem arglistig gesponnen und jetzt über uns geworfen haben“ (Kirchliches Jahrbuch für die evangelischen Landeskirchen Deutschlands 45, 1915, 209–213), erfolgte prompt eine scharfe Zurückweisung. Die wahre Ursache des Krieges zwischen England und dem Deutschen Reich, meinten die britischen Kirchenführer, sei die Verletzung der belgischen Neutralität. „Wir haben Stellung bezogen für den internationalen guten Glauben, für die Sicherung der kleineren Nationen und für die Stützung der wesentlichen Bedingungen der Brüderlichkeit zwischen den Nationen der Welt“ (George Kennedy Allen Bell, Randall Davidson, London 31952, 740f.). Mit Appellen gegen eine Kriegführung, die dehumanisierende Mittel gebrauchte – Giftgas, Gefangenenmisshandlung, Städtebombardements –, machte sich der Erzbischof von Canterbury bei Parlament und Regierung 1915/16 unbeliebt. Die Mahnung zum Nichtgebrauch solcher Mittel besaß anderswo kaum eine Parallele. Sie erneuerte sich im Zweiten Weltkrieg durch den Bischof von Chichester, George Bell (1883–1958), als er im Oberhaus moralisch und militärstrategisch den Bombenkrieg gegen die deutsche Zivilbevölkerung verurteilte.

Auch in Frankreich standen die Führungseliten des Protestantismus während der Grande Guerre an der Seite der Nation – nicht anders als die französischen Katholiken. Unter den zahlreichen Zeugnissen, die dies bekräftigten, sei die scharfe Zurückweisung des „Aufrufs der 93“ – unter ihnen waren auch 13 prominente Theologen Deutschlands – vom 4. Oktober 1914 durch die Theologischen Fakultäten von Montauban und Paris sowie die Botschaft der Nationalsynode der reformierten Kirchen Frankreichs an den Präsidenten der Republik vom 5. Juni 1915 hervorgehoben. „Erneut bringen wir dem Vaterland die begeisterte Versicherung unserer Liebe und unserer Ergebung dar. Und wir beten für unser Frankreich, dessen Einigkeit, dessen unwiderstehliche Ausdauer und dessen wunderbare Geduld das Heil der Welt bedeuten werden“ (Encrevé, Protestants 229ff.). Der französische Protestantismus stand als konfessionelle Minderheit im katholischen Frankreich unter besonderem Druck. Auf ihm ruhte der Argwohn, er sei geheimer Bundesgenosse der Deutschen. Ein besonderes Problem bildete Elsass-Lothringen. Manche Franzosen glaubten nicht, dass die Protestanten im Elsass oder auch im französischen Kernland die Rückführung dieses Gebiets an Frankreich wirklich wünschten. Die nationalreligiöse Emphase der Protestanten in Frankreich besaß also auch legitimatorische Züge. Dennoch wäre es falsch, sie nur auf diesem Hintergrund zu sehen. Die patriotische Begeisterung war tief greifend. Die Pazifisten Elie Gounelle und Wilfred Monod wechselten auf militante Positionen über. Sie und viele andere Protestanten meinten, wie die katholische Majorität im Lande, Frankreich und die alliierten Mächte führten im Namen der Humanität einen Befreiungskampf gegen den brutalen germanischen Giganten. Der protestantische Admiral Dominique Marie Gauchet (1857–1931) kommandierte gegen Kriegsende die alliierte Mittelmeerflotte. Unter den evangelischen Pastoren waren 500 geistliche Amtsträger für den Militärdienst mobilisiert, die eine Verlustrate von 8 bis 9 % hinnehmen mussten, unter den Theologiestudenten 150 (Verlustrate 33 %).

In den Kirchen der USA herrschte bis Anfang 1917 strikte Neutralität. Man unterstützte zwischenstaatliche Vermittlungspläne und organisierte Hilfsprogramme. Einige Kreise warnten allerdings vor einem Frieden in Europa zu erniedrigten Preisen, wodurch sie in Gegensatz zur Politik von Thomas Woodrow Wilson (1856–1924), Präsident der USA von 1913 bis 1921, traten. Am 1. Februar 1917 proklamierte Deutschland den uneingeschränkten U-Boot-Krieg. Am 6. April 1917 war Amerikas Antwort die Kriegserklärung an das Deutsche Reich. Nunmehr trat das protestantische Amerika geschlossen hinter den Präsidenten. Auch die bisher neutralen Kriegsmänner verhielten sich solidarisch. Der Präsident habe eine Politik ins Werk gesetzt, die allein mit Ehre, Wahrheit und christlichen Prinzipien vereinbar sei.

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