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Zweiundsechzigster Brief.
Clara an Julie.

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Inhaltsverzeichnis

Muß ich denn immer, liebenswürdige Julie, nur die traurigsten Pflichten der Freundschaft gegen dich erfüllen? Muß ich immer mit bitterem Herzen das deinige durch schmerzliche Nachrichten betrüben? Ach! alle unsere Gefühle sind uns gemein, du weißt es und ich kann dir keine neuen Leiden ankündigen, die ich nicht schon gefühlt hätte. Warum kann ich dir dein Unglück nicht verbergen, ohne es dadurch noch zu vergrößern? oder warum hat die zärtliche Freundschaft nicht gleiche Zauberkraft wie die Liebe! Oh, wie schnell wollte ich da allen Kummer auslöschen, den ich dir verursache!

Als gestern nach dem Concert deine Mutter, um nach Hause zu gehen, den Arm deines Freundes und du den des Herrn von Orbe angenommen hattest, blieben unsere beiden Väter noch mit Milord Eduard da, um Politik zu sprechen. ein Gegenstand, den ich so über

mäßig satt habe, daß mich die lange Weile in mein Zimmer trieb. Eine halbe Stunde später hörte ich den Namen deines Freundes mehrmals mit ziemlicher Heftigkeit aussprechen: ich merkte, daß sich die Unterhaltung auf einen anderen Gegenstand gedreht hatte und legte das Ohr an. Aus dem Verfolg des Gespräches entnahm ich, daß Eduard gewagt hatte, deine Heirath mit deinem Freunde in Vorschlag zu bringen, den er laut den seinigen nannte und den er dieser Eigenschaft ngemessen zu versorgen sich erbot. Dein Vater hatte diesen Vorschlag verächtlich abgelehnt und darüber begannen die Redenden sich zu erhitzen. Sie sollen wissen, sagte Milord, trotz Ihrer Vorurtheile, daß er von allen Menschen am meisten ihrer würdig ist und vielleicht auch am meisten geeignet, sie glücklich zu machen. Alle Gaben, die nicht vom Menschen abhängen, hat er von der Natur erhalten, und hat alle Talentehinzugethan, die von ihm abhingen. Er ist jung, groß, wohlgebaut, kräftig, gewandt; er besitzt Lebensart, Verstand, gute Sitten, Muth; sein Geist ist gebildet und seine Seele gesund; was fehlt ihm denn, um Ihre Einwilligung zu erhalten? Vermögen? Es wird ihm werden. Der dritte Theil meines Guts reicht hin, um ihn zu dem reichsten Privatmann im Waadtland zu machen; ich trete, wenn es sein muß, auch sogar die Hälfte ab. Adel? Eitles Vorrecht in einem Lande, wo er mehr schadet als nützt. Aber auch den besitzt er, zweifeln Sie nicht daran, nicht mit Tinte auf alten Pergamenten geschrieben, aber in die Tafeln seines Herzens gegraben in unauslöschlichen Charakteren. Mit einem Worte, wenn Sie die Vernunft dem Vorurtheile vorziehen und wenn Sie Ihre Tochter mehr lieben, als Ihre Titel, so wird er der Mann sein, dem Sie sie geben.

Hier fuhr dein Vater heftig auf. Er behandelte den Vorschlag als eine lächerliche Abgeschmacktheit. Wie, Milord? rief er. Kann ein Mann von Ehre wie Sie auch nur daran denken, daß der letzte Sproß einer illustren Familie seinen Namen auslöschen oder degradiren soll in dem eines Subjectes ohne Herd und in der Lage von Almosen zu leben? …. Halt! unterbrach ihn Eduard; Sie sprechen von meinem Freunde, bedenken Sie, daß ich jede Beschimpfung, die ihm in meiner Gegenwart zugefügt wird, auf mich ziehe, und daß beleidigende Worte gegen einen Mann von Ehre weit mehr auf Den zurückfallen, der sie ausspricht. Dergleichen Subjecte sind respectabler als alle Junker Europas und sagen Sie mir doch, wenn Sie können, wie ein Glück ehrenvoller gegründet werden kann, als durch das, was die Hochachtung zu Füßen legt und die Freundschaft darbringt! Wenn der Schwiegersohn, den ich Ihnen vorschlage, nicht, wie Sie, eine lange Reihe von doch immer ungewissen Ahnen zählt, so wird er dafür selbst der Gründer und die Ehre seines Hauses sein, wie Ihr erster Ahn es für das Ihrige war. Würden Sie sich denn entehrt halten durch die Verbindung mit dem Stammvater Ihrer Familie, und fiele nicht also eine solche Verachtung auf Sie selbst zurück! Wie viele große Namen würden in Vergessenheit zurücksinken, wenn man nur die zählte, welche mit einem achtungswerthen Manne begonnen haben! Machen wir einmal auf die Vergangenheit einen Schluß aus der Gegenwart! Auf zwei oder drei Bürger, die sich durch rechtschaffene Mittel Adel erwerben, können Sie alle Tage tausend Schufte finden, die ihren Familien den Adel verschaffen; und was wird dieser Adel beweisen, auf den ihre Nachkommen so stolz sein werden, außer etwa die Spitzbübereien und Schandthaten ihres Ahnherren? [Adelsbriefe sind in diesem Jahrhunderte etwas Seltenes und wenigstens durch einen Fall sogar — geadelt. In Betreff des Adels aber, der für Geld erworben und mit Aemtern gekauft wird, muß ich sgen, daß ich darin nichts Ehrenvolles finde, als das Privilegium nicht gehängt zu werden. R.

Rousseau denkt bei dem einen Falle, dessen er erwähnt, an seinen Freund Duclos, der auf den Antrag der Stände von Bretagne, denen er als Deputirter des dritten Standes angehörte, 1755 in den Adelstand erhoben wurde. D. Ueb.] Man trifft allerdings unter Roturiers viele unehrenhafte Leute an; aber es sind immer Zwanzig gegen Eins zu wetten, daß ein Edelmann von einem Schelme abstammt. Lassen wir, wenn Sie wollen, die Abstammung bei Seite und ziehen das Verdienst und die Dienste in Erwägung! Sie haben die Waffen getragen für einen fremden Souverain, sein Vater hat es unentgeltlich für sein Vaterland gethan. Wenn Sie brav gedient haben, so sind sie dafür bezahlt worden, und wie viel Ehre Sie im Felde davon getragen haben mögen, hundert Roturiers haben hundertmal mehr davon getragen als Sie.

Was ist denn nun, fuhr Milord Eduard fort, die Ehre dieses Adels, worauf Sie so stolz sind? Was thut er für den Ruhm des Vaterlandes oder für das Glück des menschlichen Geschlechtes? Was hat er, der geschworene Feind der Gesetze und der Freiheit, je hervorgebracht in den meisten Ländern, in denen er glänzt, außer etwa tyrannische Gewalt und Volksunterdrückung? Wagen Sie es, sich in einer Republik einen Stand zur Ehre zu rechnen, der auf Tugend und Menschlichkeit zerstörend wirkt, einen Stand, in welchem man sich der Sklaverei rühmt und in welchem man erröthet, Mensch zu sein? Lesen Sie die Geschichte Ihres Vaterlandes: [Hier ist der Redner sehr ungenau. Das Waadtland hat niemals einen Theil der Schweiz ausgemacht; es ist eine Berner Eroberung und seine Bewohner sind weder Bürger noch freie Leute, sondern Unterthanen.] worin hat sich Ihr Stand um sie verdient gemacht? Welche Adeligen können Sie unter seinen Befreiern aufzählen? Die Fürst, Tell, Stauffacher, waren sie Edelleute? Was ist das also für ein sinnloser Ruhm, von welchem Sie so viel Lärmens machen? Der, eines Menschen Diener und dem Staate zur Last zu sein. Denke dir, meine Liebe, was ich ausstand, diese ehrliche Seele so durch eine übel angebrachte Schärfe, der Sache des Freundes, dem er dienen wollte, schaden zu sehen. Dein Vater, gereizt durch so viele beißende, wiewohl allgemein gehaltene Ausfälle, fing in der That an, mit Persönlichkeiten darauf zu antworten. Er sagte Milord Eduard rein heraus, daß noch nie ein Mann seines Standes solche Reden geführt hätte, wie sie ihn entfallen wären. Ereifern Sie sich nicht ohne Grund in fremder Sache, fügte er barsch hinzu; ein so großer Herr Sie sind, zweifele ich doch, daß Sie die eigene in dem fraglichen Punkte wohl vertheidigen könnten, Sie verlangen meine Tochter für Ihren sogenannten Freund, ohne zu wissen, ob Sie selbst gut genug für sie wären, und ich kenne den hohen Adel Englands genugsam, um Ihren Reden nach keine sonderliche Meinung von dem Ihrigen zu gewinnen.

Bei Gott! sagte Milord, was Sie auch über mich denken, es würde mich sehr schmerzen, wenn ich keine andere Probe meines Wertbes aufzuweisen hätte, als die Verdienste eines vor fünfhundert Jahren verstorbenen Mannes. Wenn Sie den Adel Englands kennen, so wissen Sie, daß er der ausgeklärteste, unterrichtetste, verständigste und bravste in Europa ist; hiernach brauche ich nicht zu untersuchen, ob er auch der älteste ist; denn wenn man von dem spricht, was er ist, so kommt nichts darauf an, was er war. Wir sind allerdings nicht die Sklaven unseres Königs, sondern seine Freunde; noch die Tyrannen des Volks, sondern seine Häupter. Als Bürgen der Freiheit, Wächter des Vaterlands und Stützen des Thrones bilden wir ein unüberwindliches Gewicht zwischen Volk und König. Unsere erste Pflicht haben wir gegen die Nation, die zweite gegen Den, welcher sie regiert: nicht auf seinen Willen, sondern auf sein Recht sehen wir. Als höchste Handhaber der Gesetze in derPairskammer, vorkommenden Falles auch selbst Gesetzgeber, theilen wir gleiche Gerechtigkeit aus an Volk und König und leiden nicht, daß Jemand sage: „Gott und mein Schwert", sondern nur: „Gott und mein Recht."

So, mein Herr, fuhr er fort, ist dieser achtbare Adel beschaffen, der so alt ist als irgend ein anderer, aber stolzer auf sein eigenes Verdienst als auf das Verdienst seiner Ahnen, und von welchem Sie sprechen, ohne ihn zu kennen. Ich bin nicht der Letzte an Rang in diesem erlauchten Stande und glaube, ungeachtet Ihrer Prätensionen, es mit Ihnen in jeder Hinsicht aufzunehmen. Ich habe eine mannbare Schwester; sie ist adlig, jung, liebenswürdig, reich: sie steht Julien in nichts nach außer in den Eigenschaften, welche Sie für nichts rechnen. Wenn Jemand, der die Reize Ihrer Tochter empfunden hat, seine Augen und sein Herz auf einen andern Gegenstand lenken könnte, wie würde ich es mir zur Ehre schätzen, mit Nichts zu meinem Schwager den Mann anzunehmen, welchen ich Ihnen mit der Hälfte meines Vermögens zum Schwiegersohn vorschlage?

Ich erkannte an der Antwort deines Vaters, daß seine Heftigkeit immer mehr zunahm, und obgleich von Bewunderung für die Großmuth Eduard's durchdrungen, fühlte ich doch, daß ein Mann von so wenig gewinnenden Manieren nur dazu geeignet war, die Sache, deren er sich hier angenommen hatte, ganz und gar zu verderben. Ich beeilte mich daher wieder zu ihnen zu gehen, ehe es noch ärger würde. Bei meinem Eintritt brachen sie das Gespräch ab, und trennten sich gleich darauf ziemlich kalt. Mein Vater, fand ich, benahm sich bei dem ganzen Streite sehr gut. Er unterstützte anfangs lebhaft den Vorschlag Eduard's; da er aber sah, daß dein Vater nichts davon hören wollte und daß die Unterredung lebhaft zu werden anfing, ging er, wie billig, zur Partei seines Schwagers über, und, indem er gelegentlich den Einen oder den Anderen durch mäßigende Bemerkungen unterbrach, hielt er sie beide in den Grenzen, welche sie, wären sie allein gewesen, wahrscheinlich überschritten haben würden. Nachdem sie fortwaren, erzählte er mir das Vorgefallene, und da ich sah, wo hinaus er wollte, kam ich ihm zuvor, und sagte, daß es bei dieser Lage der Sachen wohl nicht passend wäre, wenn die in Rede stehende Person dich hier so oft sähe, ja, daß es sich gar nicht mehr schicken würde, ihn im Hause aufzunehmen, wenn es nicht für Herrn von Orbe gewissermaßen eine Beleidigung wäre, da er dessen Freund ist; ich würde Herrn von Orbe aber bitten, ihn seltener zu uns zu führen, wie auch Milord Eduard. Dies war das Beste, was ich thun konnte, meine Liebe, um ihnen nicht ganz und gar meine Thür zu schließen.

Ich bin noch nicht fertig. Die Krisis, in welcher ich dich nun sehe, zwingt mich, auf meine neulichen Rathschläge zurückzukommen. Der Handel zwischen Milord Eduard und deinem Freund hat ganz das Aufsehen in der Stadt gemacht, welches zu erwarten war. Obgleich Herr v. Orbe die Ursache des Streites nicht verrathen hat, haben doch zu viele Anzeichen diese vermuthen lassen, als daß sie verborgen bleiben konnte. Man argwöhnt, man denkt sich, man nennt dich: das Geschichtchen des Wächters ist nicht so ganz erstick worden, daß man nicht wieder daran erinnert würde, und du weißt wohl, daß dem Publicum seine Vermuthung im Augenblick zur Gewißheit wird. Alles was ich dir zu deinem Troste sagen kann, ist, daß man im Allgemeinen deine Wahl billigt und die Vereinigung eines so liebenswürdigen Paares mit Vergnügen sehen würde; dies giebt mir die Bestätigung, daß sich dein Freund hier gut benommen hat und nicht weniger beliebt ist als du. Aber was vermag die öffentliche Stimme gegen deinen unbeugsamen Vater? Alle diese Gerüchte sind ihm schon zu Ohren gekommen, oder es wird doch geschehen und ich zittere vor dem was daraus entstehen muß, wenn du nicht seinem Zorne zuvorkommst. Du mußt auf eine Scene von seiner Seite gefaßt sein, die für dich fürchterlich sein, wird und vielleicht noch etwas Schlimmeres für deinen Freund; nicht, als dächte ich, daß er sich in seinem Alter mit einem jungen Manne würde messen wollen, den er seines Degens gar nicht für werth hält, aber der Einfluß, welchen er in der Stadt hat, wird ihm tausend Mittel an die Hand geben, Jenem ein böses Spiel zu machen, und es ist zu fürchten, daß er in seiner Wuth dazu geneigt sein werde.

Ich bitte dich fußfällig, meine süße Freundin, denke an die Gefahren, welche dich umringen und die mit jedem Augenblicke drohender werden. Ein unerhörtes Glück hat dich bisher durch das Alles hindurchgeführt; lege, so lange es noch Zeit ist, das Siegel der Klugheit auf das Geheimniß deiner Liebe und treibe nicht das Glück auf die Spitze, damit es nicht Den mit in dein Unglück verwickle, der die Ursache davon sein wird, Glaube mir, mein Engel, die Zukunft ist ungewiß; tausend Ereignisse können mit der Zeit unerwartete Hülfsquellen eröffnen, aber für jetzt, ich habe es dir gesagt und wiederhole es mit allem Nachdrucke, entferne deinen Freund, oder du bist verloren.

Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe)

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