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Vierundsechzigster Brief.
Clara an Herrn v. Orbe.

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Inhaltsverzeichnis

Mein Vater hat mir heute das Gespräch wieder erzählt, welches er gestern mit Ihnen gehabt hat. Ich sehe mit Vergnügen, daß Alles auf dem Wege zu dem ist, was Sie Ihr Glück zu nennen belieben. Ich hoffe, Sie wissen es, auch das meinige dabei zu finden; die Achtung, die Freundschaft haben Sie sich gewonnen und Alles was von den zärtlichsten Gefühlen in meinem Herzen Raum hat, gehört Ihnen auch. Aber täuschen Sie sich nur nicht: ich bin als Weib eine Art Wunder; ich weiß nicht, durch was für ein Naturspiel die Freundschaft bei mir der Liebe den Rang abläuft. Wenn ich Ihnen sage, daß mir meine Julie theurer ist als Sie, so lachen Sie mich aus, und doch ist nichts so wahr. Julie fühlt das auch so gut, daß sie für Sie eifersüchtiger ist als Sie selbst, und, während Sie ganz zufrieden scheinen, ewig findet, daß ich Sie nicht genug liebe. Mehr als das, ich hänge so an Allem was ihr theuer ist, daß ihr Liebhaber und Sie in meinem Herzen fast gleiche Stelle einnehmen, obschon auf verschiedene Art. Ich fühle für ihn bloße Freundschaft, aber sie ist lebhafter als Freundschaft; für Sie glaube ich ein wenig Liebe zu fühlen, aber sie ist gesetzter als Liebe. Obgleich das Alles ziemlich einerlei scheinen sollte, um die Ruhe eines eifersüchtigen Mannes zu stören, denke ich doch nicht, daß die Ihrige dabei sehr aus dem Häuschen kommt.

Wie entfernt sind die armen Kinder von dieser süßen Ruhe, deren wir uns zu erfreuen den Muth haben; ach, wie schlecht läßt unsere Zufriedenheit, während unsere Freunde verzweifeln. Es ist vorbei; sie müssen sich verlassen; vielleicht ist es der Augenblick ihrer Trennung auf ewig, und die Traurigkeit, die wir ihnen an dem Concerttage vorwarfen, war vielleicht eine Vorahnung, daß sie sich zum letzten Male sähen. Indessen weiß Ihr Freund noch nichts von seinem Unstern: in der Sicherheit seines Herzens genießt er noch des Glückes, das er schon verloren hat; im verzweifelten Augenblicke schmeichelt er sich in Gedanken mit einem Schatten von Glück, und gleich Dem, den ein plötzlicher Tod dahinrafft, meint der Unglückliche zu leben, und sieht den Tod nicht, der die Hand nach ihm ausgestreckt hat! Von meiner Hand soll er den tödtlichen Stoß empfangen! O himmlische Freundschaft, Abgott meines Herzens, komm, beseele es mit deiner heiligen Grausamkeit! Gieb mir den Muth, unbarmherzig zu sein und dir würdig zu dienen, bei einer so schmerzlichen Pflicht.

Ich zähle bei dieser Gelegenheit auf Sie und würde selbst dann auf Sie zählen, wenn Sie mich weniger liebten; denn ich kenne Ihr Gemüth; ich weiß, daß es des Spornes der Liebe nicht bedarf, wo die Menschlichkeit fordert. Es handelt sich für's Erste darum, unsern Freund morgen früh zu mir zu nöthigen. Nehmen Sie sich aber in Acht, ihn auf irgend etwas vorzubereiten. Heute wird man mich in Freiheit lassen: denn ich will den Nachmittag bei Julie sein: suchen Sie Milord Eduard auf, und kommen Sie mit ihm allein um acht Uhr zu uns; erwarten Sie mich da; wir wollen verabreden, was zu thun sein wird, um den Unglücklichen zur Abreise zu bewegen und seiner Verzweiflung vorzubeugen.

Ich baue sehr auf seinen Muth und auf unsere Bemühungen; noch mehr auf seine Liebe. Juliens Wille, die Gefahr, in welcher ihr Leben und ihre Ehre schweben, sind Beweggründe, denen er nicht widerstehen wird. Wie dem sei, ich erkläre Ihnen, daß von Hochzeit zwischen uns nicht die Rede sein wird, ehe nicht Julie ruhig ist, und daß nie die Thränen meiner Freundin das Band benetzen werden, welches uns verknüpfen soll. Also, mein Herr, wenn es wahr ist, daß Sie mich lieben, so trifft in diesem Falle Ihr Interesse mit Ihrer Großmuth zusammen, und es ist nicht sowohl eine fremde Angelegenheit, um die es sich handelt, als vielmehr auch Ihre eigene.

Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe)

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