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Dritter Brief.
Milord Eduard an Julie.

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Inhaltsverzeichnis

Ihre Cousine wird Ihnen Nachrichten von Ihrem Freunde geben. Ich glaube übrigens auch, daß er durch die ordinäre Post an Sie schreibt. Stellen Sie fürs Erste Ihre Ungeduld in dieser Beziehung zufrieden, um danach diesen meinen Brief mit aller Besonnenheit zu lesen, denn ich sage Ihnen im Voraus, daß sein Inhalt Ihre volle Aufmerksamkeit erfordert.

Ich kenne die Menschen: ich habe in wenig Jahren viel gelebt; ich habe große Erfahrung theuer erworben, und der Weg der Leidenschaften ist es, der mich zur Philosophie geführt hat. Aber unter Allem, was ich bisher beobachten konnte, ist mir nichts so Außerordentliches vorgekommen als Sie und Ihr Liebhaber. Nicht, daß einer von euch beiden einen hervorstechenden Charakter hätte, dessen Eigenthümlichkeit man auf den ersten Blick erkennt; ein oberflächlicher Beobachter würde euch vielleicht, in seiner Verlegenheit, euch zu definiren, für gewöhnliche Seelen halten. Aber das ist gerade das Ausgezeichnete an euch, daß man nichts an euch auszeichnen kann, und daß die Züge des allgemeinen Modells, von denen stets einer und der andere jedem Individuum fehlt, in den eurigen insgesammt und gleichmäßig ausgeprägt sind. So hat jeder Abdruck eines Kupferstichs seine besondern Fehlern, die ihm zu eigenthümlichen Kennzeichen dienen, und wenn einmal einer vorkommt, welcher vollkommen ist, so findet man ihn zwar schön auf den ersten Blick, muß ihn aber lange betrachten, um ihn zu unterscheiden. Das erste Mal, als ich Ihren Geliebten sah, fand ich mich von einem mir neuen Gefühle überrascht, welches indessen von Tage zu Tage zunahm, je mehr die Vernunft es gerechtfertigt hat. Mit Ihnen war es noch ein ganz anderes Ding, und mein Gefühl war so lebhaft, daß ich mich über seine Natur täuschte. Es war nicht sowohl der Unterschied des Geschlechtes, welcher diesen Eindruck hervorbrachte, als vielmehr ein weit schärfer ausgedrücktes Gepräge von Vollkommenheit, welches das Herz empfindet, unabhängig von aller Liebe. Ich sehe ganz gut, was Sie sein würden ohne Ihren Freund, nicht ebenso was er ohne Sie sein würde: ihm mögen viele Männer gleichen, aber es giebt nur Eine Julie auf Erden. Nach einem Unrecht, das ich mir nie vergeben werde, hat mich Ihr Brief über die wahre Beschaffenheit meines Gefühles aufgeklärt. Ich merkte, daß ich nicht eifersüchtig war, somit auch nicht verliebt; ich erkannte, daß Sie für mich zu liebenswürdig sind; Ihnen gebührt die Erstlingsfrucht einer Seele, und die meinige würde Ihrer nicht werth sein.

Von diesem Augenblick an nahm ich an euerem beiderseitigen Glücke einen zärtlichen Antheil, der nicht erlöschen wird. Ich that, weil ich alle Schwierigkeiten heben zu können meinte, einen unbehutsamen Schritt bei Ihrem Vater, dessen schlimmer Erfolg nur ein Grund mehr ist, meinen Eifer anzuspornen. Schenken Sie mir Gehör, und ich kann noch Alles wieder gut machen, was ich Ihnen zu Leide gethan habe.

Erforschen Sie Ihr Herz mit Sorgfalt, Julie, und sehen Sie, ob es Ihnen noch möglich ist, das Feuer, wovon es verzehrt wird, zu löschen. Es gab vielleicht eine Zeit, wo Sie sein Umsichgreifen verhindern konnten: wenn aber Julie, die reine, keusche, dennoch erlag, wie wird sie sich nach ihrem Falle wieder erheben können? wie will sie jetzt der Liebe widerstehen, der Siegerin, der mit dem gefährlichen Bilde aller vergangenen Lust bewaffneten? Junges Liebchen, täuschen Sie sich nicht und geben Sie das Selbstvertrauen auf, welches Sie schon verführt hat; Sie sind verloren, wenn es wieder Kampf gilt, Sie werden erniedrigt und besiegt werden, und das Gefühl Ihrer Schande wird allmählig alle Ihre Tugenden ersticken. Die Liebe ist zu tief eingedrungen in die Substanz Ihrer Seele, als daß Sie sie je daraus verjagen könnten; sie hat ihr ganzes Gefüge durchbogen, wie ein starkes, zersetzendes Wasser; Sie werden ihre tiefen Eindrücke nicht verwischen können, ohne zugleich alle die erlesenen Gefühle auszulöschen, welche Ihnen die Natur gegeben hat, und wenn Ihnen die Liebe nicht mehr bleibt, wird nichts Schätzenswerthes Ihnen bleiben. Was haben Sie demnach jetzt zu thun, da Sie den Zustand Ihres Herzens nicht mehr verwandeln können? Nur Eines, Julie: nämlich ihn rechtmäßig zu machen. Ich will Ihnen das einzige Mittel zu diesem Ende vorschlagen, welches für Sie noch übrig ist: machen Sie davon Gebrauch, so lange es noch Zeit ist: geben Sie diesen edeln Geist, zu dessen Trägerin der Himmel Sie gemacht hat, der Unschuld und Tugend wieder, oder fürchten Sie die kostbarste seiner Gaben auf ewig zu entwürdigen.

Ich habe im Herzogthume York ein ziemlich beträchtliches Landgut, welches lange Zeit der Sitz meiner Vorfahren war. Das Schloß ist alt, aber gut und bequem: die Lage ist einsam, aber anmuthig und reich an Abwechslungen. Die Ouse, welche an dem Park hinfließt, bietet zugleich dem Auge eine reizende Perspective und den Landproducten einen bequemen Abzugsweg dar. Der Ertrag des Gutes reicht hin, um seinen Besitzer anständig zu erhalten, und kann sich unter dessen Augen verdoppeln. Die leidigen Vorurtheile finden nicht den Weg in diese glückliche Gegend; die friedfertigen Bewohner haben sich noch die einfachen Sitten der Urzeit bewahrt und man findet daselbst ein Gegenbild zu dem Wallis, welches die Feder Ihres Freundes in so rührenden Zügen geschildert hat. Dieses Landgut gehört Ihnen, Julie, wenn Sie es mit ihm bewohnen wollen, und dort werden Sie mit einander alle die zärtlichen Wünsche erfüllen können, mit denen der Brief, von dem ich sagte, schließt.

Komm, du einziges Muster wahrer Liebschaft, liebenswürdiges, treues Paar, komm und nimm Besitz von einem Orte, welcher ganz dazu geschaffen ist, der Liebe und Unschuld zum Asyl zu dienen; komm, dort im Angesichte des Himmels und der Menschen das süße Band zu schließen, welches euch umschlungen hält; kommt und beehret mit dem Vorbilde euerer Tugenden ein Land, in welchem diese angebetet und schlichte Menschen willig sind, sie nachzuahmen. Möchtet ihr an dieser ruhigen Stätte immerdar in den Gefühlen, welche euch an einander ketten, das Glück reiner Seelen genießen! Möchte der Himmel dort euere keusche Liebe mit einer Nachkommenschaft segnen, die euch ähnlich würde! möchten euerer Tage viel werden in ehrenvollem Alter, bis ihr endlich friedvoll scheidet in den Armen euerer Kinder! Möchten noch unsere Enkel, wenn sie mit geheimem Schauer die Gedächtnißstätte dieses ehelichen Glückes durchwandern, eines Tages in der Rührung ihrer Herzen sprechen: „Hier war er, der Zufluchtsort der Unschuld, hier der Wohnsitz der beiden Liebenden!"

Ihr Loos liegt in Ihren Händen, Julie! Erwägen Sie bedachtsam den Vorschlag, den ich Ihnen mache, und fassen Sie nur den Hauptpunkt ins Auge; denn im Uebrigen nehme ich es auf mich, das, wozu ich mich anheischig machte, Ihrem Freunde im Voraus und unwiderruflich zu sichern; ich nehme es auch auf mich, für Ihr sicheres Entkommen und mit ihm gemeinschaftlich bis zu Ihrer Ankunft dort für die Sicherheit Ihrer Person zu sorgen; dort könnt ihr euch sogleich öffentlich und ohne irgend ein Hinderniß heirathen, denn bei uns hat ein mannbares Mädchen keines Menschen Einwilligung nöthig, um über sich zu verfügen. Unsere weisen Gesetze heben nicht die Gesetze der Natur auf; und wenn sich aus dieser heilsamen Uebereinstimmung auch einige Mißstände ergeben, so sind doch dieselben viel geringer als jene, denen dadurch vorgebeugt ist. Ich habe in Vevay meinen Kammerdiener gelassen, einen vertrauten Mann, muthig, klug und von erprobter Treue, Sie werden leicht mit ihm Abrede nehmen können, entweder mündlich oder auch schriftlich durch Regianino, ohne daß dieser letztere zu wissen braucht, um was es sich handelt. Sobald es Zeit ist, reisen wir zu Ihnen und Sie sollen das väterliche Haus nicht anders als unter der Obhut Ihres Gatten verlassen.

Ich überlasse Sie Ihrem Nachdenken; aber, ich wiederhole es, lassen Sie sich ja nicht von Vorurtheilen irre machen und von Bedenklichkeiten verleiten, die oft aus dem Wege der Ehrbarkeit nur zum Laster führen. Ich sehe voraus, was geschehen wird, wenn Sie mein Anerbieten verwerfen. Die Tyrannei eines unlenksamen Vaters wird Sie in einen Abgrund reißen, welchen Sie erst nach dem Sturze erkennen werden. Ihre ungemeine Herzensgüte artet manchmal in Aengstlichkeit aus: Sie werden der Chimäre der Standesverhältnisse geopfert werden [Der Chimäre der Standesverhältnisse! Der Mann, der so redet, ist ein Pair von England, Und diese ganze Geschichte sollte keine Dichtung sein! Leser, was dünkt dich?]. Sie werden ein Bündniß eingehen müssen, dem das Herz widerstrebt. Die öffentliche Billigung wird unablässig von dem Schrei der inneren Stimme Lügen gestraft sein; Sie werden in Ehren leben und verächtlich sein; besser doch vergessen und tugendhaft.

N. S. In der Ungewißheit über Ihren Entschluß habe ich Ihrem Freunde nichts von diesem Briefe gesagt, damit nicht durch eine Weigerung von Ihrer Seite in einem Augenblicke die Wirkung aller meiner Bemühungen zerstört werde.

Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe)

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