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Die nordistische Elementar-Doktrin der NSDAP

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Cornelia Essner hat in einem zusammen mit Édouard Conte verfassten Buch aufgezeigt, wie sich Günthers Nordismus in Partei und Land in den Jahren 1933/34 durchsetzte.38 Dadurch, dass er sich der nordischen Idee anschloss, versammelte Günther die radikalsten Teile der völkischen Bewegung hinter sich. Seine Ideen, die auf der rassistischen und nationalistischen Literatur der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts beruhten, inspirierten ihrerseits den Diskurs der entschiedensten Rassisten der Partei, die entweder der SS angehörten oder ihr nahestanden. Himmler, Richard Darré, Alfred Rosenberg wurden zu Lobrednern der nordischen Idee, die jeglicher künftigen Eroberungs- und Annexionspolitik eine historische und rassische Grundlage lieferten, denn die Vorstellung von einer nordischen Eroberer-Rasse ist per definitionem aufs Engste verbunden mit der Idee eines ehemaligen und künftigen indogermanischen Großraums. Bezeichnenderweise kam der Widerstand gegen die nordische Idee aus den Reihen der SA. Der linke Parteiflügel, dieser braun-rote Nationalsozialismus, hatte seine Probleme mit der auf Exklusion beruhenden elitären Doktrin von einer nordischen Rasse und ihrer Bedrohung durch die anderen Rassenbestandteile des gegenwärtigen deutschen Volkes, gegen dessen verhängnisvolle Entnordung Günther, Darré und die SS anschrieben. Die Ausschaltung der wichtigsten SA-Führer in der Nacht der langen Messer vom 30. Juni 1934 und die politische Ausschaltung dieser Truppe mit starkem Zulauf und Zuspruch aus dem Volk verliehen der SS und ihrem rassischen Mentor Günther zusätzliches Gewicht.

Der nordische Ursprung aller indoeuropäischen Kulturen gehörte nun nicht mehr dem Reich der Hypothesen an, sondern er hatte den Rang eines Staatsdogmas gewonnen, das Günther in einem seiner berühmtesten Werke geradezu lyrisch pries. In seiner Rassenkunde des deutschen Volkes beruft Günther sich auf die Aussage des frühmittelalterlichen Historikers der Goten, Jordanes: „Die Schriftsteller des Altertums haben den Norden Europas den ‚Mutterschoß der Völker‘ (vagina nationum) genannt.“39

In schöner Folgsamkeit wiederholte die SS in ihren Schulungen wortgetreu die Lehre Günthers. So wurde der Ordnungspolizei beigebracht: „Die Heimat der nordischen Rasse liegt im eiszeitlichen West-, Nordwest- und Mittel-Europa. Der Kernraum der nordischen Rasse umfaßt die Gebiete des heutigen Thüringen, der Nord- und Ostsee, Jütlands und Südskandinaviens.“40 In seiner ersten Nummer verlegte Das Schwarze Korps, die Zeitschrift der SS, die Wiege der Indogermanen gar an den Nordpol.41

Die nordische Vulgata, diese Trivial-Doktrin von Rassenkundlern und Anthropologen, wurde ohne weitere Debatte auch von den Althistorikern übernommen, denen es sehr zupasskam, dass sie mit diesem rassischen aggiornamento eine Legitimation für ihr Forschungsgebiet in Händen hielten. Die Altertumswissenschaften wurden so zu einem Teilgebiet der nordischen Studien.42

Der offizielle politische Diskurs der NSDAP unterstützte und verbreitete diesen nordischen Ursprungsdiskurs. Wie wir gesehen haben, hat Hitler ihn frühzeitig, nämlich schon 1920, zum Partei-Evangelium erklärt. Im folgenden Jahrzehnt wurde dieser Diskurs unermüdlich von dem Mann wiederholt, der als Chefideologe der Partei gilt, Alfred Rosenberg, seit 1934 Beauftragter des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP.

Diese Neufassung des arischen Mythos gestattete schlicht und einfach den Anschluss des alten Griechenlands und Roms und der anderen hochangesehenen Kulturen der Antike an die germanisch-nordische Rasse. In der ersten Version des Mythos führten Griechen und Römer noch eine Randexistenz, außerhalb des Zentrums, des Herzens der Rasse; Griechen, Römer und Germanen waren lediglich Verwandte. Auch wenn sie einer Familie angehörten, schreckten sie, insbesondere während des Peloponnesischen Krieges und beim Fall Roms, nicht davor zurück, sich zu bekämpfen und wechselseitig zu vernichten.

Der arische Mythos der Nationalsozialisten machte aber aus dem gegenwärtigen Deutschland die Urheimat einer germanisch-nordischen Rasse; er löste die historischen Widersprüche dadurch auf, dass er die verschiedenen Zweige bündelte und nicht nur Verwandtschaft konstatierte, sondern eine Abstammungslinie, eine Erbfolge etablierte. Der Stamm dieses Rasse-Stammbaums war germanisch-nordisch und seine verschiedenen Zweige griechisch, römisch, indisch, persisch.

Während der Stamm der Ur-Rasse fest im Boden Germaniens verwurzelt blieb, reichten ihre Äste weit über das Entstehungsland hinaus. Sie hatten Germanien verlassen und Richtung auf mildere Himmelsstriche genommen, vor allem hin nach Griechenland, Indien und Rom, wo sie weit ausstrahlende Kulturen und mächtige Zivilisationen schufen.

Erzeuger der griechischen Kultur und des Römischen Reichs ist also die germanisch-nordische Rasse: im Parthenon und in der Akropolis, im Apoll von Belvedere und im Pantheon des Agrippa kommt der Geist der nordischen Rasse zum Ausdruck, er objektiviert sich in ihnen.

Der Nationalsozialismus und die Antike

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