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Hegel umgepolt oder:
Die große Nord-Süd-Wanderung

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Entgegen dem antiken ex oriente lux traten die Nationalsozialisten für eine ganz andere Auffassung von der Kulturgeschichte ein: ex septentrione lux. Aus dem Norden, und nicht aus dem Osten, kommt das Licht.

Hegel war ein Anhänger der ersten Version des arischen Mythos, die von einem Ursprung in Indien ausging, und er war sehr aufgeschlossen für die antike und mittel alterliche These der translatio studii et imperii. Dementsprechend definierte er die Wanderung des Weltgeistes als Bewegung vom Orient zum Okzident, entsprechend dem Gang der Sonne. Der Weltgeist, der die Menschen erleuchtet wie die Sonne, bewegt sich zwischen deren Aufgang und Untergang. Hegel sprach vom „großen Tag der Geschichte“51 und schrieb in einer durchaus seinen eigenen Interessen entsprechenden teleologischen Anwandlung: „Die Weltgeschichte geht von Osten nach Westen; denn Europa ist schlechthin das Ende der Weltgeschichte, Asien der Anfang“52 – der terminus ad quem ist ja ontologisch und axiologisch betrachtet dem terminus a quo überlegen.

Der Umschreibung des arischen Mythos entsprach bei den Nationalsozialisten die Ausarbeitung einer anderen Geschichtsphilosophie, die Sinn und Richtung der Hegel’schen in ihr Gegenteil verkehrte. Rosenberg machte sich zum Anwalt des Nordens und nahm systematisch eine Gegenposition zum Hegel’schen Epos des Geistes ein, wie etwa in folgendem Ausschnitt aus dem Mythus des 20. Jahrhunderts, wo er von „der einen großen Tatsache“ spricht, „daß der ‚Sinn der Weltgeschichte‘ von Norden ausstrahlend über die ganze Erde gegangen ist, getragen von einer blauäugig-blonden Rasse, die in mehreren großen Wellen das geistige Gesicht der Welt bestimmte, auch dort noch bestimmte, wo sie untergehen mußte“,53 wie eben in Persien, Ägypten, Iran, Indien, ja sogar in China.

In seiner Lübecker Rede von 1935 griff Rosenberg den arischen Mythos und Hegel noch deutlicher an:

Die alte Lehre, daß vom Osten das Licht komme, zusammen mit der Behauptung, daß die Völker Europas aus Asien eingewandert seien, daß somit dort im Osten die leibliche und geistige Heimat Europas liege, ist heute restlos als unrichtig erwiesen. Der ‚Sinn der Weltgeschichte‘ ist nicht, wie eine konfessionelle und oberflächliche Geschichts- und Weltanschauung lehrte, von Osten nach Westen gezogen, sondern die schöpferische Tat der uns betreffenden Jahrtausende erscheint als eine immer wieder hervortretende Ausstrahlung von Völkerkräften aus dem Norden nach dem Süden und dem Südosten zu.“54

Ex septentrione lux: der Arier, dieser nordische Mensch, strahlte in die ganze Welt aus, um dort alle Kultur hervorzubringen. Alle Hochkulturen der Geschichte sind sein Werk, insbesondere die beiden großen und in fernster Vergangenheit wurzelnden, Griechenland und Rom:

Die Wanderungen der nordischen Völker, die einst die Kulturen in Indien, Iran, Griechenland und Rom schufen, sind heute klar erkennbar, und überall sehen wir, daß die Entstehung von Kulturen und Staaten nicht zufällige Gegebenheiten, nicht magische Offenbarungen gewesen sind, sondern Auswirkungen eines bestimmten Menschentums in seiner Ausgestaltung, aber auch im Ringen mit anderen Rassen und Rassenseelen.“55

Von dieser Stadt Lübeck, von diesen norddeutschen Landen seien sie ausgegangen, „immer neue Völkerwellen der Indogermanen […], die antike Kulturen schufen“56.

Die Urform aller Kultur war nicht mehr Indien, sondern Deutschland. Indien, das als die Wiege der arischen Bevölkerungsgruppen gegolten hatte, wurde herabgestuft zum reinen Aufnahmeland, zum Auffangbecken für die Einwanderungsströme aus dem Norden, eingerahmt von der nördlichen Gebärmutter, die sie hervorgebracht hatte.


Ex septentrione lux: Historischer Paradigmenwechsel und neue Geschichtsauffassung. Quelle: Dietrich Klagges, Geschichtsunterricht als nationalpolitische Erziehung, Frankfurt am Main, Diesterweg, 1937, 442 S.

Ein paar Monate später wiederholte Rosenberg in einer weiteren Rede vor Fachleuten für die Frühgeschichte der deutschen Lande diese historische doxa des Regimes:

Asien galt früher als die Wiege der Menschheit, als der Ursprungsort aller großen Kulturen. Nun zeigte es sich auf Grund neuer Forschungen, daß die im 19. Jahrhundert festgestellte Verwandtschaft zwischen den Indogermanen nicht die Wirkung einer geistigen Strömung von Südosten nach Nordwesten darstellte, sondern daß, umgekehrt, schon längst vor der germanischen Völkerwanderung nordische Stämme aus Zentral- und Nordeuropa in vielen Wellen hinübergeflutet waren bis weit nach Zentralasien, Iran und Indien.“57

Die zwei abgebildeten Karten dokumentieren die Veränderung im Diskurs über den Ursprung der Rasse. Mit großer didaktischer Klarheit stellen sie den Umsturz der Auffassung von der Geschichte dar, das Umschwenken von einem historischen Paradigma zu einem anderen. Die erste, die einem Lehrwerk von 1937 für die Ausbildung von Geschichtslehrern58 entnommen ist, veranschaulicht die „alte Geschichtsauffassung“, diejenige von der griechischen Herkunft und der Hegel’schen Geschichtsphilosophie, mit der die indoeuropäische These des 19. Jahrhunderts operierte. Sie zeigt, wie die indoeuropäischen Wanderungen von vier Herden ausgingen: Indien, das mesopotamische Goldene Dreieck, Palästina und Ägypten.

Die zweite Karte stellt stolz eine „neue Geschichtsauffassung“ vor, wie sie sich aus der Vorgeschichtsforschung ergebe. Dergestalt als objektive Wahrheit zertifiziert, zeigt sie den alleinigen nordischen Ursprungsort der nordischen Rasse sowie deren Verbreitungsgebiete und Expansionsbestrebungen in alle Himmelsrichtungen.

Der Nationalsozialismus und die Antike

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