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Erster Teil
Die Annexion der Antike

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„Aber ist man erst einmal drei- bis viertausend Jahre vor seiner Geburt zurückgegangen, dann befindet man sich in völliger Freiheit […] Aus diesem Grund habe ich eines Tages geschrieben: Am Anfang war der Mythos!1 Was bedeutet, dass aller Ursprung, jegliche Morgenröte der Dinge von gleicher Substanz ist wie die Lieder und Märchen, die an einer Wiege ertönen […] Die ganze Antike, jegliche Kausalität, alles Prinzipielle – das alles sind Mythisierungen, die einfachen Gesetzen folgen.“2

Paul Valéry

Am Anfang war der Mythos: Was bei Valéry klarsichtige Feststellung ist, halb Desillusion halb Belustigung, und bei ihm ein gesundes Misstrauen gegenüber allen Ursprungsdiskursen begründet, das ist bei den Nationalsozialisten zur Maxime geworden. Der Nationalsozialismus hat die Deutschen gelehrt, dass alle uns bekannten Kulturen, die weit entfernten präkolumbianischen vielleicht ausgenommen, das Werk der nordischen Rasse waren. Damit wurden alle Himmelsrichtungen symbolisch dem Norden angegliedert, um so die Vorzüglichkeit der eigenen Rasse zu bekräftigen und zu veranschaulichen. Diese Angliederung kündigt Annexionen anderer Art an, substantiellere, territoriale nämlich: Wenn die indogermanische Rasse alle großen Kulturen hervorgebracht hat, dann sind deren unmittelbarste und am wenigsten vermischte Nachkommen, die gegenwärtigen Deutschen, überall bei sich zu Hause. Hitler, dieser verhinderte Liebhaber großer und schöner Kultur, war ein Museumsplünderer, die Nationalsozialisten plünderten zuerst die Geschichte und entpuppten sich dann als brutale Eroberer von Ländern, die sie zu einer wesensmäßigen und seit jeher unaufgebbaren, unverzichtbaren Irredenta erklärten.

Der Nationalsozialismus und die Antike

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