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Ein Mythos zu viel:
Atlantis und die Atlantis-Hypothese

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Inmitten der Entwicklung eines Ursprungsdiskurses tauchte, ähnlich dem Ungeheuer von Loch Ness, auch ein alter Mythos wieder auf, der seit jeher Teil der westlichen Vorstellungswelt ist: die Rede ist von Atlantis.

Die Geschichte dieser fruchtbaren und mächtigen Insel, Heimstatt einer Rasse von Eroberern und Kulturträgern, hat sich Platon in zweien seiner Dialoge ausgedacht, im Timeon und im Kritias. Seitdem wurden reichliche Spekulationen über Existenz und geographische Lage dieser Insel angestellt; in Ermangelung jeglicher Gewissheit eröffnete sich mythischen Vorstellungen ein weites Feld.59

In manchen vom Ariertum besessenen rassistischen Zirkeln, wie etwa der Thule-Gesellschaft60, identifizierte man Atlantis mitunter mit dem Ultima Thule des Geographen Pytheas, eines Griechen aus Marseille.

In diesem Kontext veröffentlichte im Jahr 1922 der Arierforscher Karl Georg Zschaetzsch sein Buch Atlantis. Die Urheimat der Arier61, in dem er die These von einer ursprünglichen Wanderung der Indogermanen vertrat, die von einem untergegangenen atlantischen Kontinent ausging.

Diese Spekulationen wurden dann von Alfred Rosenberg in seinem Mythus des 20. Jahrhunderts aufgegriffen. Er konnte wohl nicht anders aufgrund seiner zwanghaften Neigung zur Kompilation und seines Sinns für okkultistisch-mythologische Hirngespinste. Die Hypothese einer Urheimat auf der Insel der Atlanten wird bei ihm allerdings eher angedeutet, wenn er schreibt:

Es erscheint als nicht ganz ausgeschlossen, daß an Stellen, über die heute die Wellen des Atlantischen Ozeans rauschen und riesige Eisgebirge herziehen, einst ein blühendes Festland aus den Fluten ragte, auf dem eine schöpferische Rasse eine große weitausgreifende Kultur erzeugte und ihre Kinder als Seefahrer und Krieger hinaussandte in die Welt.“62

Das Wesentliche bleibt dabei weiterhin die These vom nordischen Ursprung aller Kultur, denn „selbst wenn sich diese Atlantis-Hypothese als nicht haltbar erweisen sollte, wird ein nordisches vorgeschichtliches Kulturzentrum angenommen werden müssen“63. Dieser Hang zum Mythos lässt Rosenberg dann seitenlang die Wanderungen der Atlantis-Bewohner beschreiben, um dann aber weder im Rest des Buches noch in seinen öffentlichen Reden jemals wieder darauf zurückzukommen.

Atlantis liefert in der Tat nur eine schwache Ursprungshypothese, der auch nur geringer Erfolg beschieden sein sollte. Abgesehen von Zschaetzsch und Rosenberg in ein paar Abschnitten, gab es in Deutschland nur wenige Veröffentlichungen zu diesem Thema. Eigentlich erschien zwischen 1933 und 1945 nur ein Werk zum Thema, das des Archäologen Albert Hermann, Unsere Ahnen und Atlantis: nordische Seeherrschaft von Skandinavien bis Nordafrika64 von 1934. Dieser Berliner Hochschullehrer korrespondierte mit Heinrich Himmler. Der Reichsführer SS, ein begeisterter Leser von Jules Verne, war auch ein großer Liebhaber alles Esoterischen und Mythologischen und unterschied nicht so recht zwischen Wissenschaft und Legende. Den Atlantis-Spekulationen begegnete er mit wohlwollendem Interesse.65 Für ihn galt es, den platonischen Mythos und seine Fortsetzung in den Eingebungen einiger Rassisten wörtlich zu nehmen. Die Urheimat der nordischen Rasse konnte sehr wohl eine Insel des Nordens sein, jener rätselhafte Himmelsstrich,66 und so trug dieser Liebhaber von Mysterien und von Gewissheiten den Gelehrten des Ahnenerbes auf, diesen Ort geographisch zu lokalisieren.67 Die Antworten schwankten zwischen einem versunkenen Territorium unter dem Ärmelkanal und der Insel Helgoland, wobei Himmler letztere Annahme bevorzugte.68

Keine dieser Atlantis-Spekulationen findet sich freilich in der weiter oben untersuchten nordistischen Literatur wieder. Sie erschienen denen wohl als zu unseriös, die sich als wissenschaftliche Ahnenforscher verstanden und die sich ihrerseits mehrheitlich für die Annahme einer nordischen Urheimat aussprachen, die Skandinavien und den Norden Deutschlands umfasste. Die Atlantis-Hypothese erschien demgegenüber wenig überzeugend, zu viel Mythos und Mysterium umgab sie; die Ungewiss heiten waren zu zahlreich, um nachhaltig den Ansprüchen einer jungen nordischen Wissenschaft zu genügen. Atlantis war lediglich Gegenstand des einen oder anderen Briefwechsels, etwa zwischen Hitler und dem Ahnenerbe der SS, aber es kam zu keiner Veröffentlichung, keinem Forschungsprojekt und keiner Expedition. Die von Himmler befürworteten Ausgrabungen unter Wasser um die Insel Helgoland herum wurden wegen der Niederlage des Reichs nie durchgeführt. Das SS-Periodikum Das Schwarze Korps machte kurzen Prozess mit Atlantis, einer Hypothese, mit der Prof. Wilhelm Sieglin in einem wichtigen Werk aufräumte. Diesem widmete besagte Wochenzeitung eine ausführliche Rezension, auf die wir noch zurückkommen werden.69

Die Atlantis-Hypothese war rein spekulativer Natur und blieb folgenlos, sie fand nie Eingang in den pädagogischen Diskurs des „Dritten Reichs“: weder in den schulischen Unterricht noch beispielsweise in die Faszikel zur SS-internen ideologischen Schulung, kein Medium der Verbreitung des rassenhistorischen Diskurses erwähnte sie. Sie blieb marginal und galt als wenig seriös.

Der Nationalsozialismus und die Antike

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