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Misslungene Emanzipation

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Die mythologische Trennung von Himmel und Erde als Ausdruck der Erkenntnis der eigenen Identität und der Unterscheidung von sich und den eigenen Eltern ist als die Norm frühkindlicher Entwicklung zu betrachten. Es gibt aber offenbar auch Fälle, da diese Loslösung von den Eltern nicht in vollem Umfang gelingt und statt dessen zeitlebens so etwas wie eine symbiotische Einheit bleibt, die dann dazu führt, dass diese Kinder nie richtig erwachsen werden und stets in der Verstrickung ihrer Familie verhaftet bleiben. Solche Kinder dürften es schwer haben, selbständig zu leben, dürften auch nur begrenzt beziehungsfähig sein und verharren vielleicht lebenslang in einer elterlichen Wohngemeinschaft, vorzugsweise mit der Mutter.

Bischof verweist in diesem Zusammenhang auf Studien von Roland Grossarth-Maticek in den Siebzigerjahren, der in akribischer Weise Befragungen von Rechtsradikalen und Linksradikalen durchführte, um die sozio-ökonomischen und sozio-psychologischen Hintergründe von extremistischen Gruppen zu untersuchen. Seine Forschungen ergaben, dass Linksextremisten meistens aus Familien kommen, in denen der Vater schwach oder abwesend und die Mutter vereinnahmend, verwöhnend, also das Kind emotional an sich bindend, erlebt wurde. Die so erzogenen Kinder neigten dann dazu, sich von dieser über-protektiven Mutter zu befreien, weshalb sie Bischof zum emanzipatorischen Mythen-Typ zählt. Nationalismus, Patriotismus und Konservatismus sind ihnen offenbar verhasst.

Bei Rechtsextremisten hingegen spielt die Mutter zwar auch eine wichtige Rolle, sie wird aber eher idealisiert, während der oft als übermächtig erlebte Vater verteufelt wird, weil er die Mutter lieblos und ungerecht behandelt hat. Oft sehnen sich solche Kinder danach, die Mutter gegen den Vater zu verteidigen. Sie neigen zum nostalgischen Mythen-Typ, der traditionelle Werte hochhält, dem Fremden zurückhaltend gegenübersteht und sich in patriotisch-fundamentalistischer Weise mit der eigenen Nation, dem eigenen Volkstum, der eigenen Subkultur identifiziert.

Ich vermute, dass sich diese psychosozialen Zusammenhänge nicht nur auf gesellschaftliche und politische Einstellungen auswirken, sondern auch auf religiöse Belange. Der emanzipatorische Typ wird die Fesseln religiöser und dogmatischer Erstarrung sprengen wollen, während der nostalgische Typ eher dazu neigt, sich in der symbiotischen Geborgenheit fundamentalistischer Erklärungsmodelle wohl zu fühlen.

Wer beispielsweise als Mitglied einer konservativen Gemeinschaft die biblische Schöpfungsgeschichte wörtlich nimmt, gehört tendenziell eher dem nostalgischen Typ an, weil er das geschlossene Weltbild für sich bewahren will. Er dürfte unter einem übermächtigen Vater gelitten haben und identifiziert sich weitgehend mit der idealisierten Mutter. Wer hingegen die traditionelle Religion als einen unerträglichen Ballast abzuwerfen geneigt ist, zählt zum emanzipatorischen Typ, der sich von seiner ihn stark vereinnahmenden Mutter zu befreien sucht. Ein Vater, der ihn vor seinen Eskapaden retten könnte, ist nicht in Sicht.

Und sie dreht sich doch!

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