Читать книгу Und sie dreht sich doch! - Kurt Bangert - Страница 8

VORWORT

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In unserer Zeit der Computerisierung, Digitalisierung und Miniaturisierung hat sich die Wissensvermehrung der Forschung auf allen Gebieten dramatisch ausgeweitet. Selbst Wissenschaftlern fällt es zunehmend schwer, sich auf Gebieten, die nicht in ihren Kompetenzbereich fallen, auf dem Laufenden zu halten. Umso schwerer ist es für Laien, das akkumulierte Wissen, das sich in den letzten Jahrzehnten angehäuft hat, auch nur grob erfassen, verstehen oder in ein sinnvolles Weltverständnis einordnen zu können. Es ist ein schwieriges Unterfangen geworden, die Welt, so wie sie sich dem Menschen erschließt, in ihrer Gesamtheit zu begreifen und darin den eigenen Platz zu finden oder zu bestimmen. Der dramatische Wissenszuwachs, gepaart mit einer immer weiter sich verzweigenden Spezialisierung in allen Fachbereichen, macht es immer schwieriger, aber auch zunehmend dringlicher, eine Gesamtschau der Welt zu skizzieren und verständlich zu machen.

Dabei ist die Sicht von der Welt von elementarer Bedeutung für unsere Existenz als Menschen. Weltbild und Menschenbild bedingen einander und bleiben eng aufeinander bezogen. Das Bild von der Welt, das wir von unseren Eltern oder unserer Schule vermittelt bekamen oder das wir uns im Laufe der Jahre selbst angeeignet haben, ist der jeweilige Rahmen, innerhalb dessen wir unser eigenes Dasein verorten und den Sinn unseres Lebens zu ergründen suchen. Jeder Mensch braucht „sein Weltbild“ als Bezugsrahmen für seine Biographie, ob er sich nun im Zentrum dieser Welt wähnt oder nur an ihrer Peripherie.

Dieses Buch ist der Versuch, die Entwicklung des menschlichen Weltbildes nachzuzeichnen, wobei zwei große Bögen geschlagen werden: ein vorgeschichtlicher Bogen, der die mythischen Anfänge der Welt umspannt und einige erstaunliche Erkenntnisse der letzten Jahre über die Anfänge der Menschheit beschreibt; und ein neuzeitlicher Bogen, der die kontinuierliche Ausweitung unseres physikalischen Universums beschreibt: von der flachen Erde über das heliozentrische Weltbild bis hin zu modernen Theorien vom Urknall und von multiplen Dimensionen und Universen. Dass wir uns dabei zuweilen an die Grenzen des derzeitigen Wissens begeben und manchmal sogar darüber hinaus, macht den Reiz einer solchen Reise durch Raum und Zeit aus. Ganz zum Schluss frage ich auch noch nach dem Geheimnis unserer Existenz und nach dem, was die Welt im Innersten zusammenhält.

Im Zuge dieser Beschreibung von antiken und modernen Weltbildern werde ich immer wieder neu die Frage nach der „Mitte der Welt“ stellen und manchmal auf sehr überraschende Weise beantworten. Diese „Mitte der Welt“ ist gleichsam das Motiv, das sich durch das ganze Buch zieht. Und wenn ich nach dieser Mitte frage, hat dies seinen Grund u.a. auch darin, dass sich der Mensch ja schon immer gerne als die Mitte des Universums verstanden hat. Er begreift sich als den Mittelpunkt seiner Welt und die Welt als seine Kulisse, vor der er seine ihm von den Göttern zugewiesene Lebensrolle spielt.

Dieses anthropozentrische Menschen- und Weltbild hat seinen Ursprung schon in der Gebärmutter, die der Mensch als komplettes Universum erlebt, ein Universum, das doch alles bereit hält, was der heranwachsende Fötus zum Lebendigsein benötigt. Der Uterus ist das kosmische Ei, das Weltganze, und er – dieser eine Mensch – ist dessen ganzer Inhalt.

Mit der Geburt, dem Ausbrechen aus dem Mutterleib und dem Hinausgeworfensein ins irdische Dasein, scheint dieses geschlossene Weltbild des gerade geborenen Menschen auseinanderzubrechen, eröffnet sich ihm buchstäblich eine neue Welt, in der die Dimensionen gedehnt werden und auf dessen Bühne plötzlich ganz neue Akteure erscheinen. Doch selbst nach seiner Geburt kann das Neugeborene noch nicht zwischen sich und seiner Umwelt unterscheiden, identifiziert es sich doch immer noch mit seiner Mutter, der Mutterbrust und allem anderen, was da am Horizont seines Weltbildes auftaucht. Das Kind begreift sich noch nicht als getrennt von der Welt. Die Welt ist zwar ungleich größer geworden als der Mutterschoß, aber emotional ist das Kind noch immer eins mit der Welt.

Erst mit der weiteren Entwicklung des Gehirns und neuen Erfahrungen beginnt das aufwachsende Kind allmählich, sich von der Welt zu unterscheiden. Es beginnt, die Akteure um sich herum auseinanderzuhalten, erkennt sich selbst als Individuum, geht auf Entdeckungsreise, um die Welt, die immer größer zu werden scheint, zu erforschen. Schon dem ganz jungen Menschen wohnt ein großer Forscherdrang inne.

Aber gerade weil das Kind die Welt da draußen erkundet, braucht es stets das Gefühl der Geborgenheit oder, anders gesagt: die Gewissheit eines geschlossenen Weltbildes. Dort, wo es an offene Grenzen oder auf Unerklärliches stößt, verdrängt es diese Grenzenlosigkeit und Unerklärbarkeit oder bittet um eine Erklärung. Solche Erklärungen sollen sein Bedürfnis befriedigen, die Geschlossenheit seines aus den Fugen geratenen Weltbildes wiederherzustellen. Für ein fünf- oder achtjähriges Kind etwa darf es keine unlösbaren Probleme geben. Ungelöste, offene und ungeklärte Fragestellungen lassen das Kind solange über das Problem nachdenken, bis es eine für sich ausreichende Lösung gefunden hat, zumeist eine vereinfachende, manchmal vielleicht sogar eine geniale.

Mit dem Menschen der Antike (und vielleicht auch mit dem heutigen Menschen) verhält es sich durchaus ähnlich. Auch unsere Weltbilder haben die Funktion, unsere emotionale Geborgenheit zu schützen und uns als Mittelpunkt der Welt zu begreifen – und wenn schon nicht im individuellen Sinne, so doch wenigstens im Sinne der Gattung Mensch. Wir Menschen können ein offenes Universum nur schlecht ertragen. Das Unendliche erscheint uns übermenschlich, unheimlich, furchtgebietend, numinos, göttlich. Die antiken mythologischen Weltbilder dienten vor allem dem Zweck, dem Menschen eine geschlossene Welt zu bieten, eine Welt, die einen Anfang, einen Fortgang und ein Ende und ein Ziel hat. Oder wenigstens eine Welt, die, wenn sie schon nicht endlich ist, dann immerhin einem fortwährenden Kreislauf unterliegt, der eine gewisse Berechenbarkeit mit sich bringt.

Und sie dreht sich doch!

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