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Rhythmus

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Die Diskontinuität ist schwer zu ertragen. Wie schwer, schildert A. F. Th. van der Heijden in seinem Requiemroman Tonio, der vom Tod seines Sohnes handelt. „Die Hoffnung, dass Tonio je wieder zu uns zurückkehrt, ist zerstört. Die Angst, diese grauenhafte Wahrheit werde immer tiefer und obszöner in uns eindringen, nimmt nur noch zu.“49 Tonios Leben ist unwiderruflich vorbei, die Kontinuität ist für immer durchbrochen: Tot ist tot.

Die Erfahrung der Diskontinuität ist für die meisten Menschen mit einem unangenehmen Gefühl verbunden. Wir halten uns lieber an die Kontinuität, weil der Gedanke, uns lieb gewordene Menschen, Wahrheiten und Dinge für immer behalten zu können, tröstlich ist.

Auch für uns persönlich hoffen wir, ein bisschen Kontinuität bewahren zu können. Vor allem in Zeiten großer Veränderungen sind wir froh, wenn auch etwas bleibt, wie es ist. Gäbe es in unserer Welt oder in uns selbst nicht ein gewisses Maß an Kontinuität, würden wir wahnsinnig werden.

Doch die ersehnte Kontinuität braucht nicht notwendigerweise von außen zu kommen, wir können sie auch in uns selbst hervorbringen. Der Tod eines geliebten Menschen wird erträglicher, wenn es uns gelingt, eine neue Kontinuität zu schaffen, zum Beispiel indem wir immer wieder Geschichten über diesen Menschen erzählen, das Grab besuchen oder seinen Geburts- oder Sterbetag feierlich begehen.

Auch Rhythmen sind eine bewährte Art und Weise, Kontinuität zu schaffen. Mithilfe der rhythmisch wiederkehrenden Feier eines außergewöhnlichen Ereignisses oder eines besonderen Augenblicks wie eines Geburtstags zum Beispiel erschafft man eine Folge von Geburtstagen, die zusammengenommen zur Erfahrung der Kontinuität führen. Obwohl es pro Jahr nur einen Geburtstag gibt und er, weil er einen Anfang und ein Ende hat, nur aus einem Moment besteht – also ein diskontinuierliches Ereignis darstellt –, ruft das rhythmische Feiern des Geburtstags die Illusion hervor, es existiere eine durchgehende Linie von der Geburt bis zur Gegenwart.

In Wahrheit gibt es diese Linie nicht, doch ihre Kontinuität wird durch den Rhythmus geschaffen. Deshalb, so Bachelard, lässt sich Kontinuität am besten im Vertrauen auf den Rhythmus herstellen: „Um zu denken, zu fühlen, zu leben, müssen wir in unseren Handlungen Ordnung schaffen, indem wir im Vertrauen auf den Rhythmus Augenblicke anhäufen […]“50

In McEwans Roman Amsterdam durchbricht Clive die Ordnung seines Alltagslebens, indem er zum Lake District aufbricht. Er hat kein Vertrauen mehr in die Rhythmen der Stadt, die durch Mollys Tod durchbrochen worden sind. Er macht die Erfahrung, dass das Leben endlich und Kontinuität nur eine Illusion ist. Weit von London entfernt, hofft er, im Rhythmus des Wanderns in der Natur sich selbst wiederzufinden. Doch der Augenblick, in dem er sich selbst als Komponist zu rehabilitieren glaubt, ist der Anfang seines Endes. Die entdeckte Melodie passt so wenig zu dem, was er früher gewesen war, dass er seinem Leben lieber ein Ende setzt.

Hermsen fordert den Leser ebenfalls auf, der Rhythmik des modernen Lebens das Vertrauen zu entziehen. Man soll die Zeit anhalten, sich anderen, trägeren Rhythmen hingeben und allen Alltagstrott hinter sich lassen! Das alles aber kann sie nur fordern, weil sie von der Existenz der Dauer im Inneren des Menschen überzeugt ist. Diese Dauer verleiht uns das Gefühl der Kontinuität, selbst wenn wir die Zeit völlig anhielten und den Rest unseres Lebens vollkommen untätig verbrächten. Doch das alles ist eine Illusion. Verfielen wir der Untätigkeit und entfernten alle Rhythmen aus unserem Leben, würden wir damit auch jegliche Kontinuität wegschaffen und übrig bliebe die Diskontinuität. Doch mit dieser lässt sich nicht leben.

Außer Takt

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