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|22|c) Die Wiedereingliederung rebellierender Bündner

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Auch diese Maßnahmen reagierten in erster Linie auf die Erfahrungen des Krieges; denn eine seiner Lehren war ja, dass die materiellen Ressourcen nicht ausgereicht hatten, um gleichzeitig im Osten und im Westen der Ägäis zu expandieren. Unabdingbare Voraussetzung einer finanziell abgesicherten Expansion war aber auch eine stabile Hegemonialstellung in der Ägäis. Tatsächlich begann die Volksversammlung Ende der 450er Jahre zahlreiche Dekrete (psephismata) zu verabschieden, die auf eine straffere politische Kontrolle der Bündner abzielten. In der Mehrzahl der Fälle reagierten diese Beschlüsse auf die gescheiterten Versuche von Poleis, sich vom Seebund loszusagen. So regelte man beispielsweise das Verhältnis der von Perikles wieder zur Räson gebrachten euböischen Poleis Eretria und Chalkis zu Athen nicht mehr durch einen Bündnisvertrag, sondern durch einen einseitigen Beschluss der Athener Volksversammlung. Dieser ist im Falle von Eretria nur fragmentarisch (HGIÜ Nr. 78), im Falle von Chalkis (HGIÜ Nr. 79) fast vollständig erhalten:

Chalkisdekret

Die Athener verpflichteten sich gegenüber den Chalkidiern, ihre Stadt nicht zu zerstören und keinen Einwohner zu vertreiben, keinen Bürger ohne rechtskräftiges Urteil zu verbannen, zu verhaften, zu töten oder seines Vermögens zu berauben sowie Gesandtschaften binnen zehn Tagen den Zugang zur Athener Boule und Ekklesie zu gestatten. Diese zwischen „gleichberechtigten“ Partnern selbstverständlichen Rechte standen jedoch unter dem Vorbehalt, dass die Chalkidier keine Vertragsverletzungen begehen. In einem solchen Falle waren alle Zusagen nichtig, und Athen behielt sich dann das Recht vor, militärisch zu intervenieren und die Stadt wie einen Kriegsgegner zu behandeln.

Die Chalkidier verpflichteten sich im Gegenzug, Abfallsbestrebungen weder umzusetzen noch propagandistisch („durch Wort“) und im Geheimen („durch List“) vorzubereiten; verdächtige Personen mussten den Athenern angezeigt werden. Weiterhin versprachen die Chalkidier, ihre Phoroi ordnungsgemäß zu entrichten, loyaler Bundesgenosse zu sein, und – diese Formel wurde auch anderen Verträgen beigefügt – den Athenern militärisch beizustehen und Heeresfolge zu leisten. Nur die Chalkidier waren also zu militärischem Beistand verpflichtet; ließen sie sich die kleinsten Versäumnisse zu schulden kommen, konnten die Athener den Vertrag kündigen und den Kriegszustand ausrufen. Deshalb verweigerten sich die Athener auch den Bitten der Chalkidier, ihre Geiseln freizugeben. Athen behielt ein Faustpfand, das bei geringfügigstem Anschein von Untreue eingesetzt werden konnte. Doch damit nicht genug: Die Athener bestätigten zwar den Chalkidiern das Recht, die Fremden (sc. Metöken) zu besteuern, doch konnte die Volksversammlung jedem Fremden Steuerfreiheit gewähren. Diese Eingriffsmöglichkeit in die Steuerhoheit von Chalkis eröffnete die Chance, im Krisenfall die Finanzkraft der Stadt zu schwächen und sich in Chalkis eine loyale Anhängerschaft heranzubilden.

Vergleichbare Einflussmöglichkeiten eröffneten die jurisdiktionellen Vorschriften. Demnach mussten alle Verfahren, in denen die Strafe auf Verbannung, |23|Tod oder Atimie (Verlust der bürgerlichen Rechte) lauten würde, an das Gericht der Thesmotheten in Athen verwiesen werden. Athen sicherte sich so die exklusive Ahndung aller Kapitalstrafsachen (geringere Delikte waren politisch uninteressant). Dieses Recht ist weder in Bezug auf die Person, deren Fall nach Athen verwiesen werden kann, noch auf deren Rechtsposition (Ankläger/Angeklagter) spezifiziert. Denn die Athener wollten beides verhindern: dass ihre Anhänger in ungerechtfertiger Weise verurteilt und ihre Gegner freigesprochen würden. Nur so schien man den wachsenden Ressentiments gegen den Einfluss Athens wirksam entgegentreten zu können.

Stärkere Kontrolle abgefallener Bündner

Zusammengefasst dokumentiert das Chalkisdekret den Willen der Athener, über die ehemaligen Rebellen eine straffe Kontrolle auszuüben: An die Stelle des zweiseitigen Bündnisvertrages trat eine einseitige Verfügung, die die Innen- und Außenpolitik dieser Poleis auf Athen ausrichtete. Die Dekrete schufen so neben den Bundesgenossen, die sich nach wie vor im Status gleichberechtigter Symmachoi befanden, eine zweite Kategorie von Poleis, deren Wohlergehen immer stärker vom guten Willen der Athener abhing.

Athen und Sparta

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