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Die Industrie der populären Psychologie

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Mit Sicherheit haben Sie noch viele weitere „Tatsachen“ von der Alltagspsychologie „gelernt“. Diese auch abwertend Küchenpsychologie genannte Disziplin umfasst ein ausgedehntes Geflecht aus Quellen gewöhnlicher Informationen über menschliches Verhalten. Das schließt Fernsehsendungen, Radiotalkshows, Hollywoodfilme, Selbsthilfebücher, Zeitschriften, Boulevardzeitungen und Internetseiten mit ein. Beispielsweise lehrt uns die Alltagspsychologie Folgendes:

• wir verwenden lediglich 10 % unserer Gehirnkapazitäten

• unser Gedächtnis funktioniert wie Videobänder oder Kassettenrekorder

• wenn wir wütend sind, ist es besser, der Wut freien Lauf zu lassen statt sie zu unterdrücken

• die meisten sexuell missbrauchten Kinder werden als Erwachsene selbst zu Kinderschändern

Dieses Buch wird zeigen, dass alle diese vier „Tatsachen“ in Wahrheit nur weit verbreitete Annahmen sind. Auch wenn die Alltagspsychologie eine unersetzliche Quelle für Informationen sein kann, so enthält sie doch mindestens genauso viele falsche wie korrekte Informationen. Wir bezeichnen diese riesige Fülle an Fehlinformationen als Psychomythologie, weil sie aus Missverständnissen, modernen Legenden und Ammenmärchen aus der Psychologie besteht. Überraschenderweise gibt es nur sehr wenige Bücher, die mehr als ein paar Seiten dem Aufdecken dieser Irrtümer widmen. Genauso gibt es nur sehr wenige populäre Quellen, die Interessierte mit wissenschaftlichen Hilfsmitteln ausstatten, mithilfe derer es möglich wäre, wahre von unwahren Behauptungen zu unterscheiden. Ergebnis dieses Umstandes ist, dass viele Menschen, sogar jene, die Psychologie studiert haben, eine Menge über die Wahrheiten menschlichen Verhaltens wissen, nicht aber, was falsch ist.

Bevor wir nun fortfahren, möchten wir den Leser beruhigen. Auch wenn Sie alle eingangs genannten Mythen geglaubt haben, gibt es keinen Grund, sich zu schämen, da Sie sich in guter Gesellschaft befinden. Umfragen machen deutlich, dass ein Großteil der allgemeinen Bevölkerung sowie auch Studienanfänger im Fach Psychologie an die Richtigkeit dieser und anderer psychologischer Irrtümer glauben. Selbst der eine oder andere Psychologieprofessor glaubt, dass es sich bei den Irrtümern um Wahrheiten handelt.

Wenn Sie sich wegen Ihres „Psychologie-IQs“ immer noch ein bisschen unsicher fühlen, sollten Sie sich vor Augen halten, dass der griechische Philosoph Aristoteles (384–322 v. Chr.), der als einer der klügsten Menschen gilt, die je gelebt haben, glaubte, dass Emotionen im Herzen und nicht im Gehirn entstehen und dass Frauen dümmer seien als Männer. Er war sogar davon überzeugt, dass Frauen weniger Zähne besäßen als Männer! Die falschen Annahmen des Aristoteles führen uns vor Augen, dass hohe Intelligenz einen nicht vor dem Glauben an Psychomythologie bewahrt. Das Hauptthema dieses Buches ist daher, dass wir alle Opfer falschen Wissens über Psychologie werden können, wenn wir uns nicht mit den korrekten Fakten wappnen. Dies ist heute noch so wahr, wie es das bereits vor Jahrhunderten gewesen ist.

Im 18. Jahrhundert war eine psychologische Disziplin namens Phrenologie in weiten Teilen Europas wie auch Amerika eine beliebte Wissenschaft. Phrenologen waren der Meinung, dass besondere geistige Fähigkeiten wie beispielsweise dichterisches Talent, Kinderliebe, Gespür für Farben oder Religiosität einzelnen Bereichen des Gehirns zugeordnet werden konnten. Ihrem Wissen nach war es möglich, die Persönlichkeit eines Menschen durch das Ausmessen der Kopfform zu erfassen (sie glaubten fälschlicherweise, dass große Hirnareale Beulen im Schädel hervorrufen würden). Die Typologie der Psyche umfasste dabei vermutlich zwischen 27 und 43 Eigenschaften. „Phrenologie-Sprechzimmer“, in denen es neugierigen Klienten möglich war, ihre Häupter und Persönlichkeiten vermessen zu lassen, schossen in dieser Zeit überall aus dem Boden. In diesem Zusammenhang entstand im englischsprachigen Raum auch der populäre Satz „having one's head examined“. Dennoch erwies sich die Phrenologie in einem bedeutenden gesellschaftlichen Zusammenhang als bemerkenswertes Beispiel der Psychomythologie, da Studien schließlich zeigten, dass die vorhergesagten Änderungen nach Beschädigung bestimmter Gehirnareale so gut wie nie zutrafen. Auch wenn die Phrenologie heute als Wissenschaft tot ist, sind viele andere Bereiche der Psychomythologie noch immer überall anzutreffen.

Mit diesem Buch möchten wir Ihnen helfen, zwischen Fakt und Vermutung im Bereich der populären Psychologie zu unterscheiden. Wir werden Sie mit einer Reihe von Fähigkeiten ausstatten, mit denen Sie die Märchen entlarven und psychologische Behauptungen wissenschaftlich bewerten können. Wir werden nicht nur weit verbreitete Mythen der Psychologie aufklären, sondern auch erläutern, was sich in den unterschiedlichen Wissensgebieten als korrekt herausgestellt hat. Wir hoffen, Sie davon überzeugen zu können, dass die wissenschaftlich belegte Forschung mindestens genauso interessant ist wie die falschen Thesen – wenn sie sich nicht sogar meist als noch überraschender erweist.

Dies soll nicht bedeuten, dass wir alles ignorieren sollten, was die „Küchenpsychologie“ zu bieten hat. Viele Selbsthilfebücher ermutigen uns dazu, für unsere Fehler selbst die Verantwortung zu übernehmen, Kindern eine liebevolle und fördernde Umgebung zu bieten, sich moderat und ausgewogen zu ernähren, regelmäßig Sport zu treiben und sich auf Freunde und andere Unterstützung zu verlassen, wenn es uns schlecht geht. Im Großen und Ganzen sind es kluge Ratschläge, auch wenn sie bereits unsere Großmutter kannte.

Das Problem ist, dass die Alltagspsychologie diese Ratschläge oft mit Thesen vermischt, die jedem wissenschaftlichen Indiz widersprechen. Zum Beispiel empfehlen uns Talkshow-Psychologen regelmäßig, bei Beziehungsfragen immer unserem Herzen zu folgen, obwohl dieser Rat in einer falschen Entscheidung enden kann. Der bekannte Fernsehpsychologe Dr. Phil McGraw („Dr. Phil“) empfiehlt den Lügendetektortest, um herauszufinden, welcher Partner in einer Beziehung derjenige ist, der lügt. Allerdings werden wir später (siehe Irrtum 23) sehen, dass der Lügendetektortest alles andere als unfehlbar ist.

Warum Mozart Babys nicht schlauer macht

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