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|25|2.5. In der kabbalistischen Literatur

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In der frühen KabbalaDer Śefer ha-Bahir (ספר הבהיר; etwa: Buch des Glanzes), der in der Provence des 12. Jahrhunderts erstmalig verbreitet wurde, bietet eine der frühesten Darstellungen eines Systems aus dem Ewigen emanierender Strukturen, der Śefirot (ספירות). Sie finden sich zu einer Art Baum hierarchisiert, der späterhin als Ez Chajim (עץ חיים; Baum des Lebens) bezeichnet werden sollte. Die neunte dieser zehn Śefirot, Jessod (יסוד; Basis, Fundament), wird mit dem Zaddik identifiziert. Dies reicht in die Hebräische Bibel (Prov 10,25) zurück, wo es heißt: „Der Gerechte ist ein ewiger Grund (jessod)“ bzw. „Der Gerechte ist das Fundament (jessod) der Welt.“

Der Bahir erläutert dazu unter Rückgriff auf talmudische Aussagen (bChag 12b; bJoma 38b):

Es wird gelehrt: Eine Säule [reicht] vom Land bis zum Firmament und ‚Zaddik‘ ist ihr Name. Aufgrund des Begriffs der Zaddikim – denn wenn es Zaddikim in der Welt gibt, dann wird [die Säule] gestärkt, und wenn nicht, dann wird sie geschwächt. Und sie trägt die ganze Welt, wie geschrieben ist [Prov 10,25]: ‚Der Zaddik ist das Fundament der Welt‘. Wenn sie schwach ist, dann kann die Welt nicht bestehen. Daher: Sogar, wenn es nur einen Zaddik in der Welt [gibt], dann lässt Er die Welt bestehen, wie gesagt ist: ‚Und der Zaddik ist das Fundament der Welt.‘ [ibid.] (Bahir 44,11a)

Der Begriff Chassid findet sich in der frühen kabbalistischen Literatur hingegen kaum explizit erläutert. Immerhin werden einige der Exponenten der frühen provençalischen Kabbala von ihren Schülern als Chassid tituliert. Dazu gehören Rabbi Jitzchak der Blinde (Anfang des 13. Jh.), der als einer der ‚Urväter‘ der Kabbala gilt, oder Jakob ha-Levi he-Chassid (13. Jh.). Wie bei den Chassidé Aschkenas, so könnte auch bei ihnen deren asketischer Lebensstil zu diesem Ehrentitel beigetragen haben.

Asri‘el von GeronaErst Asri’el von Gerona (ca. 1160–1238), der Schüler Isaaks des Blinden, weist auf eine naheliegende terminologische Analogie hin, nämlich die zwischen der vierten Śefira, Chessed (חסד), und den Chassidim:

In Verbindung mit diesem Attribut (Tif’eret) bezieht es sich auf diejenigen, die es empfangen, die Zaddikim genannt werden, weil sie über die Kraft von Zedek (Malkhut) und Zedaka (Tif’eret) verfügen; und es bezieht sich auf die Aufrechten (Jescharim), die von der Kraft des strengen Gerichts herkommen, das man Joscher nennt (d.i., Gevura oder Malkhut); und es bezieht sich auf die Chassidim, die von Chessed empfangen. (Asri’el von Gerona, Perusch ha-Tefillot, zitiert nach Tishby, Wisdom, S. 1411)

Asri’el entwirft in seinem Kommentar zu den Gebeten eine Rangfolge von drei lobenden Attributionen, die er jeweils einer der Śefirot zuordnet. Dabei wird der Zaddik auf die zehnte (מלכות/|26|Malkhut oder שכינה/Schekhina) bzw. sechste (תפארת/Tif’eret) Śefira bezogen, der „Aufrechte“ (יושר/Joscher) auf die fünfte (גבורה/Gevura oder דין/Din) bzw. die zehnte und schließlich der Chassid auf die vierte (Chessed oder רחמים/Rachamim) und somit höchste der genannten Manifestationen des Ewigen.

Was auf den ersten Blick wie eine klare Rangfolge aussieht, lässt jedoch bei näherem Hinsehen jede spezifische Qualifikation vermissen. Dies sollte als absolut typisch für die Art und Weise gelten, wie die Tradition mit der scheinbar so klaren Begrifflichkeit umgeht: Verwendung und Darstellung der Termini sind völlig von den Grundtexten abhängig, die gerade kommentiert werden – in diesem Fall ein Abschnitt aus der Neujahrsliturgie. Weitreichende Schlussfolgerungen, etwa im Sinne einer klaren Überordnung des Chassid über den Zaddik, sollte man besser nicht anstellen.

Zaddik und Chassid im SoharGleiches gilt für das Hauptwerk der klassischen Kabbala, den Sohar und seine „Satelliten“ (Midrasch ha-Ne’elam, Tiqquné Sohar, Sohar Chadasch etc.). Diese Textgruppe wird auf den Zirkel der kastilischen Kabbalisten um Mosche de León (ca. 1250–1305) zurückgeführt. Der im Sohar weitaus häufiger verwendete generische Begriff für einen vorbildlichen Menschen ist der des Zaddik. Er wird verhältnismäßig (!) konstant mit der Śefira Jessod (IX) verknüpft. Im anthropologischen Symbolsystem des Sohar kann Jessod mit dem männlichen Geschlechtsorgan des Adam Qadmon (אדם קדמון), des präfigurierten Urmenschen, identifiziert werden und dieses wiederum mit dem Bund der Beschneidung. Daraus ergibt sich – im ethischen Symbolsystem – die Kardinaltugend der Keuschheit, für die wiederum der biblische Joseph als ideale Verkörperung gilt (vgl. Sohar II, 23a).

Seltener äußern sich soharische Traditionen zum Chassid (beispielsweise I, 39a; II, 129b–130b; III, 145a.b), und dies noch dazu mit recht unterschiedlichen Perspektiven und Ergebnissen. Im Grunde bleibt dem Beobachter nichts anderes übrig, als sich der Einschätzung Isaiah Tishbys anzuschließen, wenn er konstatiert:

Es ist mir nicht gelungen, zu mehr als nur vagen Schlussfolgerungen der dürftigsten Art zu kommen. Es trifft zu, dass der Autor des Sohar an wenigen Stellen eine Unterscheidung zwischen Zaddik und Chassid vornimmt, und in diesen Fällen den Chassid eher zufällig auf einen höheren Rang hebt. Er macht sich aber nirgends die Mühe, die Charakteriska der Chassidut zu erklären oder ein genaueres Bild vom Idealtypen eines Chassid zu etablieren. […] Generell bedeutet Chassidut, wenn es überhaupt erwähnt wird, individuelle Vollkommenheit in Bezug auf Moral und gute Taten, wohingegen die hauptsächlichen Qualitäten anderer Art – nämlich mystische Wahrnehmungsfähigkeit und Betätigung einerseits und Führungskraft beim inneren und praktischen Leben andererseits – einen weitaus prominenteren |27|Platz im Sohar einnehmen und beinahe ausschließlich mit dem Zaddik assoziiert werden. (Tishby, Wisdom, S. 1416)

Diese Verwendung der beiden Begriffe, so vorsichtig sie auf den gesamten soharischen Korpus ausgedehnt werden mag, deutet schon auf ihren spezifischen Gebrauch innerhalb des osteuropäischen Chassidismus hin.

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