Читать книгу Chassidismus - Susanne Talabardon - Страница 6

|7|1.2. Sozial-ökonomisch geprägte Ursachenforschung

Оглавление

Ein kollektiver Hang zum Obskurantismus konnte jedoch die Verbreitung des osteuropäischen Chassidismus nicht befriedigend erklären. Die Doyens seiner wissenschaftlichen Erforschung wie Simon Dubnow, Benzion Dinur (1884–1973) oder Raphael Mahler (1899–1977) interpretierten daher die Entstehung und den Erfolg des Chassidismus als ein Krisenphänomen. Dubnow erblickte im sozial-ökonomischen Niedergang der jüdischen Gemeinden innerhalb der polnischen Adelsrepublik im Gefolge der Chmielnicki-Massaker 1648/49 eine wesentliche Ursache für den Erfolg der chassidischen ‚Erweckung‘:

Der Chassidismus stellt als Ganzes betrachtet eine der bedeutendsten und originellsten Erscheinungen nicht allein in der Geschichte des Judentums, sondern auch in der Entwicklungsgeschichte der Religionen überhaupt dar. […] Mit den Mitteln mächtiger seelischer Beeinflussung gelang es dem Chassidismus, den Typus eines Gläubigen zu schaffen, der die Innigkeit des Gefühls höher als die Werkheiligkeit, die Gottseligkeit und religiöse Inbrunst höher als Spekulation und Thorastudium stellte. […] Zugleich bot aber der Chassidismus ein Gegenmittel auch gegen die Not und Unterdrückung, die im jüdischen sozialen Leben herrschte […]. Zwar dachte der Chassidismus nicht im entferntesten daran und konnte auch nicht daran denken, die Entrechtung und Knechtung der Juden zu beseitigen, gleichwohl erreichte er kraft der von ihm ausgehenden psychischen Einwirkung, daß seine Anhänger für das Joch der Sklaverei und des Galuth [des Exils] weniger empfindlich wurden. (Dubnow, Geschichte, Bd. 1, S. 67–68; Hervorhebung im Original)

Benzion DinurDer Zionist Benzion Dinur betrachtete den (vermeintlichen) Niedergang des polnischen Judentums hingegen eher als eine politische Führungskrise mit sozialen Auswirkungen. Das Scheitern der messianischen Hoffnungen, die sich auf Schabtai Zvi (1626–1676) gestützt hatten, sowie der Untergang der überregionalen jüdischen Selbstverwaltung (ועד ארבעת ארצות/Wa’ad Arba’at Arazot; Vier-Länder-Kongress) im Jahre 1764/65 hätten das Vertrauen in die Führungsschicht nachhaltig erschüttert. Der Chassidismus präsentierte sich ihm als eine Strömung, welche die messianischen Energien der jüdischen Bevölkerung und deren Erwartungen an die eigene Elite in neue Bahnen lenkte.

Raphael MahlerAuch der (marxistisch geprägte) Raphael Mahler beschrieb jene osteuropäische Reformströmung als ursprünglich sozial orientierte Opposition, die den jüdischen Massen die Möglichkeit zum Widerstand gegen die verbreitete ökonomische Unterdrückung eröffnete. Erst nachdem sich die neue chassidische Führung mit ihren einstigen Gegnern (Mitnagg’dim), der traditionell-rabbinischen Elite, zusammengetan habe, um mit ihnen gemeinsam die Haskala zu |8|bekämpfen, habe der Chassidismus seine sozial-revolutionäre Ausprägung verloren (vgl. Hasidism and the Jewish Enlightenment).

Chassidismus

Подняться наверх