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|32|3.2. Die Übernahme von Riten der Gemeinschaft von Zefat

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Neue RitenMit gleicher Hingabe griffen jene Chassidim auch die erwähnten, in Zefat neu entwickelten Bräuche auf, was letztlich zu einer Vertiefung der Unterschiede zwischen ihnen und der traditionell orientierten Mehrheit in Zentraleuropa führte. So bevorzugten sie, wie die Anhänger Lurias, das Tragen weißer Kleidung am Schabbat. Die dritte Mahlzeit des Schabbat (סעודה שלישית/Śe’uda Sch’lischit; vgl. Weiß, Circle, S. 31–34), im Norden Europas wegen der des Winters früh hereinbrechenden Dunkelheit oft kaum rituell elaboriert, sowie das Essen direkt nach dem Abschluss des Schabbat, die Melawé Malka (מלווה מלכה), erfuhren bei ihnen entscheidende Aufwertung. Hinsichtlich der Kaschrut, insbesondere bei der Schächtung von Tieren, übten sie überaus genaue Observanz. Um sicher zu gehen, dass bei der Schlachtung tatsächlich nur geschnitten und nicht, wegen etwaig schartiger Geräte, auch „gerissen“ wurde, verwendeten sie ausschließlich sogenannte „überscharfe“ Messer. Die Zaddikim um den Ba’al Schem Tov und dessen Nachfolger behielten diese Praxis bei.

BußpraxisNeben den besonderen Riten in Gebet und den neuen Bräuchen während der Festtage zeichneten sich die Frommen lurianischer Prägung durch zahlreiche und intensiv geübte Bußpraktiken aus. Derlei Phänomene waren in elitären und esoterischen jüdischen Gruppen seit dem Mittelalter häufiger zu beobachten: Man denke nur an den ausgefeilten Bußkatalog der Chassidé Aschkenas (vgl. S. 21–22). Nach dem Untergang des Judentums auf der Iberischen Halbinsel und den massenhaften Konversionen der dortigen Bevölkerung zum Christentum wandten sich viele Juden mit großer Hingabe asketischen Übungen zu. Insbesondere an der Gemeinschaft von Zefat lässt sich ein von Umkehr und Reinigung geprägtes spirituelles Leben geradezu idealtypisch verfolgen.

An jedem Tag, drei Stunden vor Anbruch des Tages, begaben sich die Gemeinschaften der Erwählten in die Synagogen und lernten dort in Abgeschiedenheit. Einer, der dort in Zefat war, möge es bald erbaut und errichtet werden in unseren Tagen, dessen Name war der Herr und Meister, Herr Abraham Halevi, sein Andenken sei zum Segen. […] Jedes Mal zu Mitternacht stand er auf und durchstreifte die Straßen und erhob seine Stimme und schrie mit bitterer Stimme: Steht auf, zur Ehre des Ewigen, Er sei gepriesen, denn die Schekhina weilt im Exil und das Haus Unserer Heiligkeit ward im Feuer verbrannt und Israel steckt in großer Bedrängnis! Diese vielen Worte verkündete er und jeden einzelnen Gelehrten rief er beim Namen und er wich nicht vom Fenster, bis dass er sah, dass derjenige schon von seinem Bett aufgestanden war. Und zur ersten Stunde wurde die ganze Stadt erfüllt von den Stimmen derer, die Mischna, Sohar oder die Midraschim der Weisen studierten, oder von Psalmen und Propheten, von |33|Hymnen oder von Bitten um Erbarmen. (Aus einem Brief des Schlomo ben Chajim Meinsterl von Dresnitz; vgl. Avraham Ja’ari, Igg’rot, S. 205)

Noch einen anderen Brauch pflegte der Chassid [Abraham Halevi Berukhim]: Er ging auf die Märkte und Straßen und verkündete die Bußumkehr. Und er versammelte Ansammlungen von Bußwilligen im Lehrhaus der Babylonier. Und dort sagte er ihnen: Was ihr von mir seht, das tut! Und er stieg in einen Sack hinein und gebot ihnen, ihn durch das ganze Lehrhaus zu ziehen, damit er gedemütigt würde und seinen [bösen] Trieb erniedrige. Danach gebot er, dass sie ihn mit Steinen steinigen sollten. Und er hatte dort Steine von anderthalb Litra Gewicht. Und sie steinigten ihn mit all diesen Steinen. Danach kam er aus dem Sack heraus und man bereitete ihm ein Bett aus Nesseln, die brannten auf dem Fleisch wie Feuer, die nennt man Bre“n-Nes’iln. Und er zog seine Kleidung aus und streckte sich nackt auf den Nesseln aus. Und er rollte auf ihm herum, bis dass sein Fleisch voll Pusteln war. (Schivché ha-Ar“i, Benayahu, Tol’dot, S. 226–227)

Asketische PraktikenZu den rigorosen Praktiken, die von den obergaliläischen Kabbalisten bis in die östlichsten Ecken Europas vorgedrungen waren, gehörte das sogenannte Wochenfasten, bei dem man nur am Schabbat etwas anderes als ein wenig Brot und Wasser zu sich nahm, das todesmutige Ertragen von Schmerzen oder Kälte und schließlich die „Galut-Wanderung“. Bei letzterer handelte es sich um ein imitatives Nachvollziehen des Exils (גלות/Galut) der Schekhina. Wie die Schekhina, die Präsenz des Ewigen, seit der Zerstörung des Tempels gewissermaßen heimatlos auf Erden herumstreifte, so sollte der Fromme von Ort zu Ort ziehen, ohne – Schabbat und Festtage ausgenommen – länger als eine Nacht irgendwo zu verweilen.

Ein Paar Beispiele hiervon, wovon ich selbst Augenzeuge war, werden hinreichend seyn, die Sache genugsam zu bestätigen. Ein wegen seiner Frömmigkeit damals bekannter jüdischer Gelehrter, Simon aus Lubtsch, der schon die Tschubath hakana (die Buße des Kana) ausgeübt hatte, welche darin besteht, daß er sechs Jahre täglich fastet, und alle Abend nichts von alledem, was von einem lebendigen Wesen herkömmt (Fleisch, Milchspeisen, Honig und dergl.), genießt, Golath [Galut], d.h. eine beständige Wanderung, wo man nicht zwey Tage an einem Ort bleiben darf, gehalten, und einen haarnen Sack auf dem bloßen Leib getragen hatte, glaubte noch nicht genug zur Befriedigung seines Gewissens getan zu haben, wenn er noch nicht Tschubath h[a]mischkal (die Buße des Abwägens), d.h. eine partikuläre, jeder Sünde proportionierten Buße, ausüben werde. Da er aber nach Berechnung gefunden hatte, daß die Anzahl seiner Sünden zu groß sey, als daß er sie auf diese Art abbüßen könnte, so ließ er sich einfallen, sich zu Tode zu hungern. Nachdem er schon einige Zeit auf diese Art zugebracht hatte, kam er auf seiner Wanderung an den Ort, wo mein Vater wohnte, und ging, ohne daß jemand im Hause etwas davon wußte, in die Scheune, wo er ganz ohnmächtig auf den Boden fiel. Mein Vater kam zufälligerweise in die Scheune und fand diesen Mann, der ihm schon längst bekannt war, mit einem Sohar in der Hand […] halb todt auf dem Boden liegen. […] Simon [der die wiederholten Bitten von Maimons Vater, doch |34|etwas zu essen, zurückwies] strengte alle seine Kräfte an, machte sich auf, ging aus der Scheune und endlich aus dem Dorfe. Als mein Vater abermals in die Scheune kam, und den Mann nicht mehr fand, lief er ihm nach und fand ihn nicht weit hinter dem Dorfe todt liegen. Die Sache wurde überall unter der Judenschaft bekannt, und Simon ward ein Heiliger. (Salomon Maimon’s Lebensgeschichte, S. 182–184)

Das Studium esoterischer Schriften und das Gebet nach lurianischem Ritus in den Kloysen, insbesondere aber die asketischen Praktiken sorgten für eine Abgrenzung der Asketen von ihrer Umgebung, auch wenn sie selbst ihr Tun als spirituellen Dienst an der gesamten jüdischen Gemeinschaft interpretierten.

Chassidismus

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