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3.3. Ba’alé Schem und die praktische Kabbala

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Während die meisten Kabbalisten den Weg asketischer Frömmigkeit und der Isolation gingen […], verbanden die Ba’alé Schem die Massen mit den zurückgezogen lebenden Chassidim. (Hundert, Jews in Poland, S. 142)

Praktische KabbalaKabbalistische Traditionen verbreiteten sich jedoch nicht nur unter den Eliten in ihren abgeschlossenen Zirkeln und Kloysen. Durch die „praktische Kabbala“ (Kabbala Ma’assit/קבלה מעשית) kamen auch breitere Schichten der Bevölkerung in Kontakt mit ursprünglich esoterischen Denkmustern. Diese Entwicklung begann, in jeweils charakteristischen Formen, im Spanien des 15. Jahrhunderts (vgl. Josef della Reina, 1418–1472) und im Italien der Renaissance (vgl. Jochanan Alemanno, ca. 1435 bis nach 1504). Unter dem Einfluss der Verfolgung der jüdischen und muslimischen Minderheit (Spanien) bzw. der Wiederentdeckung spätantiker neoplatonischer und hermetischer Texte (Italien) kam es zu einer Aufwertung magischen Handelns innerhalb kabbalistischer Kreise. Von der harschen Kritik insbesondere an den magischen Versuchen della Reinas, den Messias durch magische Techniken herbei zu zwingen, blieb die Grundidee, kabbalistisches Wissen zur Einflussnahme auf göttliche Sphären zu nutzen, unbeschadet. Mosche Cordovero beispielsweise, kurzzeitig Lehrer und Mentor von Jitzchak Luria, hielt ebenso an ihr fest wie zahlreiche andere einflussreiche Mystiker.

Ba’al SchemNatürlich sind etliche der ab dem 14. Jahrhundert in die Kabbala Ma’assit eingebundenen Verfahren – wie die Abwehr von Dämonen durch Amulette oder Medikationen, die magischen oder mantischen Beschwörungen höherer Mächte zum Zwecke der Rettung und Heilung – viel älter als die mittelalterliche Esoterik und stellen zudem kulturelle Universale dar. Die etwa seit dem 13. Jahrhundert in Zentraleuropa anzutreffenden Ba’alé Schem (sing.: Ba’al Schem/|35|בעל שם; Meister des Heiligen Namens) waren die Erben spätantiker mystischer Traditionen, welche ihre wirkmächtige Kraft unter anderem aus Meditationen von Heiligen Namen des Ewigen (Schemot/שמות) und den Buchstaben des hebräischen Alphabets bezogen. In der Forschung (vgl. Grözinger, Wundermann, S. 170–171) werden mitunter nicht weniger als sieben verschiedene Typen dieser Ba’alé Schem identifiziert, wie sie in der jüdischen Erzählliteratur sichtbar werden.

Einfluss der lurianischen KabbalaSeit Ende des 17. Jahrhunderts entwickelte sich der Personenkreis, der sich regelmäßig mit ‚praktischer Kabbala‘ befasste, zu einem angesehenen, von der Bevölkerung intensiv nachgefragten Berufsstand und infolgedessen zu einem häufig anzutreffenden Phänomen. Die Anzahl der noch heute namentlich bekannten Ba’alé Schem begann ab jener Zeit signifikant zu steigen. Unter dem Einfluss der lurianischen Kabbala kam es außerdem zu einer Art Spiritualisierung dieser Profession, da der diagnostische Prozess wesentlich als eine prophetische Aufdeckung von individueller Sünde und Unreinheit verstanden wurde. Vorbild und Modell dieser Art der charismatisch begabten Retter und Heiler war Jitzchak Luria selbst, dessen außergewöhnliche Fähigkeiten von seinem Schüler Chajim Vital folgendermaßen beschrieben wurden:

[Dies ist,] was ich tatsächlich mit meinen eigenen Augen sah: Wunderbare und wahrhafte Dinge sind es. Er wusste eine künftige Seele [aus den Oberen Gefilden] vor sein Antlitz herabzuziehen – sei es, von den Lebenden oder von den Abgeschiedenen, von den frühen oder von den späteren [Gelehrten]. Er befragte sie ganz nach seinem Willen über Erkenntnisse des Künftigen oder über Verborgenes der Tora. Auch offenbarte sich ihm Elija, der Prophet, sein Andenken sei zum Segen, und lehrte ihn. Ebenso kannte er sich mit den Buchstaben der Stirn [Metoposkopie] aus und mit der Lehre des Antlitzes [Physiognomie]. Oder mit den Lichtern, die es auf der Haut des menschlichen Körpers gibt. Oder mit den Lichtern in den Haaren. Und mit dem Zwitschern der Vögel. Und mit den Gesprächen der Palmen und Bäume und Kräuter. Und sogar mit dem Gespräch der unbelebten Materie, wie gesagt ist: ‚Ein Stein schreit aus der Mauer.‘ etc. (Hab 2,11a) Und mit dem Gespräch der Feuerflamme. Und der Flamme von Kohlefeuer. Er sah die Engel, die in der Welt alle Ankündigungen ankündigen – wie bekannt – und sprach mit ihnen. Und er war vertraut mit allen Kräutern und mit ihren wahrhaften Heilwirkungen. Und wie diese wäre noch vieles, was man nicht aufzählen kann. Man würde diese [Dinge] nicht glauben, wenn man sie erzählt bekommen würde – was aber meine Augen gesehen haben und nichts Fremdes, schrieb ich wahrhaftig. (Vital, Scha’ar Ru’ach Qodesch, S. 19)

Die meisten der Ba’alé Schem waren – genau wie ihre asketischen Gegenpole – gelehrte Männer. Man schrieb ihnen die Fähigkeit zu, sich des Unaussprechlichen Namens des Ewigen bedienen zu können (daher: Ba’al Schem), um die Himmlischen Segensströme herunterzuführen |36|und die dämonischen Kräfte der Anderen Seite (סיטרא אחרא/Śitrá Achrá) von den Menschen fernzuhalten. Praktiken der Ba‘alé SchemNeben der Durchführung wirkungsvoller Exorzismen und dem Anfertigen von Amuletten gehörten (heilpraktische) Medikationen, wirkmächtige Gebete, Beschwörungen oder mantische Fähigkeiten wie Metoposkopie und Chiromantik zum Standardrepertoire dieser Experten. Sie wurden nicht nur bei physischen Problemen konsultiert, sondern wirkten, soweit es ihre oft ortsunabhängige Tätigkeit zuließ, auch als spirituelle Führungspersönlichkeiten.

Etliche der Ba’alé Schem legten ihr Wissen auch schriftlich nieder, sodass vor allem im 18. Jahrhundert eine ganze Reihe äußerst einflussreicher Handbücher der Kabbala Ma’assit ihren Weg in die Druckerpressen fanden. Zu diesen Werken gehören beispielsweise der Śefer Amtachat Binjamin (ספר אמתחת בנימין, Wilhermsdorf 1716), der Śefer Tol’dot Adam (ספר תולדות אדם, Zolkiew 1720) des bekannten Ba’al Schem Jo’el Heilprin von Ostróg (starb 1713), und der Śefer Schem Tov qatan (ספר שם טוב קטן, Zolkiew 1781) des Benjamin Beinisch Ba’al Schem Tov ben Jehuda Leib ha-Kohen von Krotoszyn (ca. 1670 bis ca. 1725).

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