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ОглавлениеKapitel 9
Reico:
Verschlafen nippe ich an meinem Cappuccino, während ich auf Rayek warte. Kaum zu glauben, dass wieder eine Woche vergangen ist. Da wir diese Sieben Tage unter den Mönchen aufgeteilt wurden, habe ich ihn gar nicht zu Gesicht bekommen und konnte mich nicht erkundigen, was er jetzt genau von Jan hält. Per WhatsApp wollte ich ihn nicht fragen. Zu unpersönlich. Wenn dann richtig.
Ich schrecke auf, als Rayek plötzlich neben mir steht und versetze ihm einen mahnenden Schubs.
„Also wirklich! Wenigstens wenn du kommst, solltest du dich durch eine Begrüßung bemerkbar machen.“
Er sieht mich verständnislos an. „Warum? Es funktioniert doch auch so.“
„Ja, und mich hast du mit der Aktion fast zu Tode erschreckt.“
Er zuckt mit den Schultern und wir setzen uns in Bewegung.
„Wie ich sehe, hast du dir schon was zu Trinken besorgt?“
Er deutet auf meinen To-Go-Becher und ich nicke.
„Ja, allerdings könnte ich Nachschub gebrauchen“, antworte ich und leere mein Getränk in einem Zug. „Bin bereit für den nächsten.“
„Lange Nacht?“
„Kann man so sagen“, entgegne ich mit einem schiefen Grinsen und steuere zielsicher den nächsten Coffee-Shop an.
Nachdem wir uns mit genügend Koffein versorgt haben, bummeln wir gemütlich durch die belebte Fußgängerzone. Ich hoffe, es ist für ihn okay und frage mich, warum Rayek derart menschenscheu ist. Natürlich habe ich ihn bereits öfter danach gefragt und eine nicht gerade schmeichelhafte Antwort bekommen, wie er die Menschen sieht. Aber ist das alles? Steckt da nicht mehr dahinter? Ich mustere ihn aus den Augenwinkeln und die Zeitspanne ist erschreckend kurz, bis er es bemerkt. Wie macht er das nur? Bin ich zu offensichtlich?
„Was ist?“
„Ähm, also … ich hab mich gefragt, wie du das Doppeldate vergangenes Wochenende fandest.“
„Ja, war ganz okay.“
Ich lache verlegen auf. Begeisterung klingt anders.
„Es war also nicht dein Ding?“
Rayek bleibt abrupt stehen und besieht mich mit einem durchdringenden Blick.
„Die Date-Sache oder meinst du Jan?“
Ich streiche mir verunsichert durch die Haare. Erwischt.
„Mmh ja, beides.“
Mein Herz klopft aufgeregt in meinem Brustkorb. Ich drücke mir selbst den Daumen mit der freien Hand. Erwartungsvoll schaue ich ihn an und er verzieht kurz den Mund. Nicht gut. Mein Herz macht einen Sprung in den Keller und hat Angst, wieder hervorzukommen.
„Du weißt, dass ich solche Verkupplungsaktionen nicht leiden kann. Ich bin nur wegen dir mitgegangen. Jan ist in Ordnung.“
„In Ordnung wie „ich möchte ihn gern wiedersehen“ oder in Ordnung wie „ich fand es nett, doch ich habe kein Interesse“?“, frage ich leise nach, mich immer noch an einen Strohhalm der Hoffnung klammernd.
Er nippt schnaufend an seinem Milchkaffee und beginnt wieder zu gehen. Schnell springe ich neben ihn und halte mit ihm Schritt.
„In Ordnung wie „er ist ertragbar“, um sich ab und an vielleicht zu treffen, doch er ist absolut nicht mein Typ und es wird nie und nimmer was zwischen uns laufen.“
Enttäuscht lächle ich und nicke. Verdammt. Ich habe es ja geahnt, aber dennoch … es hätte funktionieren können. Es wäre so schön gewesen ...
„Mal was anderes.“
„Mmh?“
Er ergreift mich am Ärmel und zieht mich zum Schaufenster eines Schuhgeschäfts. Verdutzt betrachte ich mir die Auslage.
„Du brauchst Schuhe?“
„Ne, ich wollte nur aus dem Menschenstrom ausbrechen.“
„Oh, okay.“
„Warum wolltest du mich denn unbedingt mit Jan verkuppeln?“
„Ähm … nun, ja. Ich dachte, es wäre nett, wenn wir öfter was zu viert machen könnten.“
„Wenn dir das derart am Herzen liegt, können wir das auch, ohne dass wir ein Paar sind. Aber das ist nicht alles, oder?“
Seine Augen fixieren mich und scheinen in mich hineinsehen zu können, um jedes Geheimnis zu ergründen. Ich schlucke, doch ich kann mich seinem Blick nicht entwinden. Etwas darin fesselt mich, ohne dass ich was dagegen tun kann.
„Ich … was meinst du?“
„Bist du glücklich mit diesem Bernd?“
Erstaunt starre ich ihn an. Wo kommt das denn auf einmal her? Meine Gedanken fahren im Kopf Karussell. Ich möchte einen Witz machen und die Sache damit abtun, aber ein Blick in sein Gesicht reicht mir, um zu wissen, dass er mich nicht einfach gehen lassen wird.
„Ähm, ich … ich denke, ja.“
Seine Miene verfinstert sich und ich weiche instinktiv einen Schritt zurück. Warum ist er nur dermaßen missgelaunt?
„Du denkst? Hörst du dich mal bitte reden? Wenn er dich nicht glücklich macht, dann servier ihn ab.“
Harte Worte. Ich kralle mich an meinen Cappuccinobecher auf der Suche nach Halt. Vergebens. Aber das ist nun mal Rayek und eigentlich hat er Recht …
„Ich … das ist es nicht“, beginne ich stotternd, „das Problem ist, dass … Bernd – ich bin nicht sein Typ. Also, normalerweise.“
Ich senke den Kopf und schaue auf das Kopfsteinpflaster. Tatsächlich beschäftigt mich dieser Fakt schon seit Beginn. Vergessen kann ich es nicht und es stärkt unaufhaltsam meine Unsicherheit.
„Wie kommst du denn auf diese beschissene Idee?“
„Weil er mir das gesagt hat.“
„Wann?“
„Bei unserem ersten Date. An dem Tag, wo wir zusammengekommen sind. Er hatte mich in der Disco mit jemand anderem verwechselt.“
„Aha? Und wieso seid ihr nun ein Paar?“
„Weil … er mich trotzdem besser kennenlernen wollte und ebenso wie ich dachte, dass es funktionieren könnte. Und das tut es ja auch.“
Er mustert mich mit einem nicht zu deutenden Ausdruck. Meine Haut prickelt unangenehm. Ich möchte lieber nicht darüber nachdenken.
„Und ist er dein Typ?“
Ich sinne kurz darüber nach und schüttle den Kopf.
„Nein, eigentlich nicht.“
„Also, was ist dann das Problem? Dass es nicht die Liebe auf den ersten Blick war? Wenn du ansonsten glücklich bist, sollte das kein Hindernis sein. Vorausgesetzt, du bist es.“
Ich kann ihm nicht widersprechen, allerdings kann ich ihm nicht sagen, dass das nicht alles ist. Natürlich ärgert mich Bernds unsensible Art, aber auch das ist nicht das Problem. Ich schließe kurz meine Lider und hole tief Luft. Da sehe ich es wieder vor mir. Gestern – wir wollten einen DVD Abend bei mir machen und haben es uns im Wohnzimmer bequem gemacht. Während wir auf der Couch lagen, saß mein Bruder in der anderen Ecke des Raumes am Computer, um zu zocken. Es war ganz gemütlich gewesen, bis zu dem Zeitpunkt, an dem Bernds Finger auf Wanderschaft gingen. Mir wird schlecht bei der Erinnerung, wie seine Hand unter mein Oberteil wanderte und hinunter zu meiner Hose glitt. Ich habe Bernds Hand festgehalten und ihm zugeflüstert, dass ich das nicht möchte, dass ich mich unwohl fühle, wenn mein Bruder im gleichen Raum ist, doch das war ihm egal. Er meinte nur, dass er ohnehin nichts mitbekommen würde, hat meine Hand abgeschüttelt und weitergemacht. Ekel überkommt mich und ich habe das Gefühl, seine widerlichen Berührungen noch immer zu spüren. Auf der Haut, am Glied, meinem Hintern und in mir …
Ich würge kurz und versuche, die Gedanken schnell abzuschütteln. Unmöglich kann ich mit jemandem darüber reden. Schon gar nicht mit Rayek. Dafür schäme ich mich zu sehr. Es ist so erniedrigend und demütigend. Ich fühle mich benutzt und beschmutzt. Ekelhaft.
„Alles in Ordnung?“Rayeks Stimme reißt mich aus meinem trübsinnigen Gemütszustand und holt mich in die befreiende Gegenwart zurück.
„Ah, ja. Sorry, ich schlafe wohl noch“, lüge ich und nehme schnell einen großen Schluck von meinem Cappuccino. „Du hast recht. Ich mache mir einfach zu viele Gedanken.“
Er mustert mich durchdringend und scheint mir nicht zu glauben. Dennoch nickt er nach einer Weile und ich atme erleichtert auf. Gemeinsam schlendern wir weiter durch die Straßen bis wir am Ziel sind.
„Das ist er also?“
„Mmh?“
„Der Ort, an dem man dich am ehesten findet?“ Ich strecke ihm die Zunge raus und er setzt an, mich zu schubsen, überlegt es sich dann aber anders.
„Kann ich nicht leugnen.“
Ich folge ihm in die geräumige Buchhandlung. Zielstrebig steuert er die Manga-Ecke an. Ich wusste nicht einmal, dass es dafür einen eigenen Bereich gibt. Ehrlich gesagt war ich eine Ewigkeit nicht mehr in einem Bücherladen. Rayek studiert die vorhandenen Bände und geht dabei in die Hocke. Ich beobachte ihn eine Weile und muss schmunzeln. Zwar kann ich seine Faszination nicht teilen, doch ich finde ihn in dem Moment unglaublich niedlich, wie er begeistert ein Werk nach dem anderen prüfend in die Hand nimmt und anfängt zu sortieren.
„Ihr sortiert die Comics, die ihr nicht kauft, aber gefälligst wieder ein!“, ertönt eine ruppige Stimme neben uns. Erschrocken drehe ich mich um, während Rayek unbeeindruckt mit seiner Suche fortfährt. Ich lege mir in Gedanken Worte zurecht, doch als ich den gutaussehenden Mann Mitte zwanzig erblicke, bekomme ich keinen Ton heraus. Meine Augen wandern von seinen eng anliegenden, schwarzen Jeans über sein weißes Hemd, das nicht vollständig zugeknöpft ist und einen gutgebauten Oberkörper erahnen lässt. Schweren Herzens löse ich mich von dem Appetit anregenden Anblick und sehe wieder in sein Gesicht und in seine eisblauen Augen. Ich bin wie elektrisiert und kann mich nicht von ihm abwenden. Ungeduldig streicht er sich durch sein schwarzes Haar und ich schlucke sehnsüchtig. Seit wann sind Angestellte in Buchhandlungen dermaßen heiß?
„He, ich rede mit euch.“
„Ähm, ja. Klar. Keine Sorge … Herr von Moor?“
Unschlüssig sehe ich auf das Namensschild, doch ich habe mich nicht verlesen. Seltsamer Name.
„Das höre ich zum ersten Mal, ein seltener Nachname“, versuche ich, mit ihm ins Gespräch zu kommen, und werfe ihm einen hypnotisierenden Blick zu. Zu meiner Enttäuschung geht er nicht darauf ein. Stattdessen nickt er stumm und geht zurück zur Kasse. Verträumt schaue ich ihm hinterher und dabei zu, wie er seiner Arbeit nachgeht. Richtig leidenschaftlich erledigt er sie nicht gerade. Die Kunden scheinen ihm lästig. Er wirkt überheblich, kühl und arrogant. Dennoch muss ich zugeben, dass ihm die Art steht. Er ist verdammt sexy.
„Du sabberst gleich“, ertönt Rayeks Stimme neben mir, der sich gerade aufrichtet und mit seiner Auswahl fertig zu sein scheint. Ich habe nicht einmal mitbekommen, wie er die aussortierten Manga zurückgestellt hat.
Ich ignoriere meine Wangen, die zu Glühen beginnen, und streiche mir den widerspenstigen Pony aus dem Gesicht.
„Du musst zugeben, er ist heiß. Kein Wunder, dass du so oft hier bist“, gebe ich neckisch zurück und zwinkere ihm zu.
„Pfh, was soll ich mit 'nem Typen, der nicht einmal den Unterschied zwischen Manga und Comic kennt?“
„Den kannte ich am Anfang auch nicht, bis du es mir erklärt hast …“
„Du arbeitest aber nicht in einem Fachgeschäft für Bücher. Abgesehen davon kenne ich ihn nicht. Er scheint neu zu sein.“
„Auf jeden Fall keine schlechte Wahl. Findest du nicht?“
Rayek antwortet nicht, sondern fixiert mit den Augen den Angestellten. Seine Gesichtszüge sind für mich nicht eindeutig zu lesen, aber es ist ja nichts Neues, das er ein Buch mit sieben Siegeln ist. Trotzdem: Er lässt nicht von ihm ab. Wir scheinen in gewisser Weise denselben Männergeschmack zu haben. Grinsend begleite ich ihn zur Kasse, wo von Moor die Bücher entgegennimmt und den Preis abscannt. Er wendet sich nicht von dem Mann ab. Und da bin ich mir sicher, dass er ihm mehr gefällt, als er zugibt.
„Was ist?“, fragt der Angestellte unwirsch, als er Rayeks Starren bemerkt. Der zuckt gelassen mit der Schulter, ohne sich loszulösen.
„Das sind übrigens Manga und keine Comics.“
Der Schwarzhaarige mustert ihn mit aufblitzenden Augen. Dann schiebt er ihm die Bücher über die Theke entgegen.
„Tüte gibt es keine aus Umweltschutzgründen“, antwortet er mürrisch und nimmt die Bezahlung entgegen.
„Brauche ich nicht“, murrt Rayek und wartet auf sein Wechselgeld.
Fasziniert beobachte ich die Szene. Wieso ist mir das vorher nicht aufgefallen? Eine gewisse Ähnlichkeit im Verhalten ist durchaus gegeben. Gleich und gleich gesellt sich wohl gern. Rayek schnappt sich seine Manga und mustert den Angestellten abermals, als suche er etwas. Von Moor stiert ernst und provokant zurück. Man kann die Anspannung förmlich in der Luft Funken schlagen sehen. Ich stehe eine Weile daneben, doch weder der Buchhändler noch Rayek sprechen ein weiteres Wort und starren sich stumm an wie zwei lauernde Wölfe. Ist das eine neue Art von Flirt, die noch nicht bei mir angekommen ist? Das Ganze ist mir etwas suspekt. Ich komme mir vor, wie im falschen Film.
„Ähm, dann mal vielen Dank und einen schönen Tag noch“, unterbreche ich die unheimliche Stille, greife nach Rayeks Ärmel und ziehe ihn aus dem Laden. Die kalte Luft wirkt befreiend und ich atme sie tief ein. Als ich aufsehe, erwische ich ihn dabei, wie er konzentriert durch das Schaufenster schaut.
„Also … jetzt grenzt es schon fast an Besessenheit, meinst du nicht?“ Ich lache unsicher auf und zupfe an seiner Jacke. „Gib einfach zu, dass du ihn total interessant findest.“
„Mmh, kann schon sein“, murmelt er vor sich hin, dann wendet er sich mir endlich wieder zu. „Gehen wir weiter?“
Ich nicke und wir setzen unseren Bummel fort. Immerhin bin ich mir nun sicher, was Rayeks Geschmack an Kerle angeht.
***
Es klingelt und ich habe keine Lust. Auf den Abend. Auf Zweisamkeit. Auf Bernd. Noch während ich das denke und mir den Weg zur Haustür bahne, bekomme ich ein schlechtes Gewissen. Was stimmt mit mir nicht? Ich sollte mich freuen, meinen Freund zu sehen und mit ihm Zeit zu verbringen. Eigentlich tue ich das auch. Nur nicht zu zweit, sondern in einer Gruppe. Ich atme tief durch und öffne die Tür. Wie erwartet steht Bernd davor. Seine angespannten Gesichtszüge verraten mir, dass er mies drauf ist. Ich hauche ihm einen flüchtigen Kuss auf die Lippen und lasse ihn rein. Für einen kurzen Moment verziehe ich angeekelt das Gesicht. Er hat geraucht. Ich hasse den Geschmack von Zigaretten. Na gut, dann heute keine Küsse mehr.
„Anstrengender Tag?“, frage ich mitfühlend und streiche ihm über den Rücken.
Er nickt und murmelt griesgrämig: „Kann man wohl sagen.“
Ohne ein weiteres Wort der Erklärung geht er die Treppen hoch und ich folge ihm in mein Zimmer. Er zieht seine Jacke und Schuhe aus, schmeißt sie über meinen Schreibtischstuhl und legt sich auf mein Bett.
„Magst du drüber reden?“, frage ich ernsthaft interessiert und besorgt zugleich. Allerdings schüttelt er nur den Kopf und klopft neben sich auf die Matratze. Aus zusammengekniffenen Augen schielt er verschmitzt zu mir rüber.
„Mir wäre es lieber, wenn du dich zu mir legst.“
Eine unsichtbare Schlinge legt sich um mein Herz und lässt es krampfen. Ich zucke kurz zusammen, er scheint es nicht zu bemerken. Auffordernd sieht er mich an und mir fällt keine Ausrede ein, um der Situation zu entkommen. Mit schweren Schritten schlurfe ich zu ihm und komme der Aufforderung nach. Zaghaft schmiege ich mich an ihn und hoffe, dass er es dabei belassen wird, aber es dauert keine Minute, bis seine langen Finger auf Erkundungstour gehen. Mein Körper beginnt sich zu versteifen, als seine Hand zielsicher zu meiner Hose gleitet. Meine Gedanken überschlagen sich und ich versuche, ein Zittern zu vermeiden, was mir jedoch nicht gelingt.
„So aufgeregt?“, fragt Bernd erregt und scheint es falscherweise als positives Zeichen meinerseits zu werten. Mir wird leicht übel. Mein Verstand bekommt einen Gedanken zu fassen und hält ihn krampfhaft fest. Ich greife schnell nach seiner Hand und halte sie fest, während ich vorsichtig mit meinem Daumen über seinen Handrücken streichle.
„Hat sich Jan mittlerweile wegen dem Date geäußert?“, frage ich und versuche, die Situation auf ein Gespräch zu lenken. Bernd verzieht das Gesicht und befreit seine Hand aus meiner, um seine Finger wieder auf Wanderschaft zu schicken.
„Ja, er fand es ganz nett.“
„Und was hält er von Rayek?“, hake ich nach und winde mich aus der Umarmung, um seiner Hand zu entkommen, was er mit einem genervten Grunzen missbilligt.
„Er ist nicht sein Typ.“
„Oh, okay. Also auch nicht.“
„Was heißt ‚auch nicht‘?“
„Na ja, Rayek hat leider ebenfalls kein Interesse.“
Er beginnt spöttisch vor sich hin zu prusten. Verdutzt starre ich ihn an. Das gefällt mir nicht.
„Was … wieso lachst du?“
Sein Blick trifft den meinen. Arroganz und Hohn liegt darin. Das stößt mich ab.
„Jan ist nicht sein Typ? Der könnte sich mehr als nur glücklich schätzen, wenn Jan was von ihm wollen würde!“
Empört richte ich mich auf. Habe ich mich verhört? Ich befürchte nicht. Was soll das Ganze? Wieso geht er so gegen Rayek? Er hat ihm doch nichts getan!
„Was willst du denn damit sagen?“
„Oh, komm schon. Sieh dir deinen Arbeitskollegen mal an“, antwortet Bernd mit einem hämischen Kichern und in mir erwacht langsam die Wut. Er zieht mich wieder zu sich, doch ich drücke ihn entschieden von mir weg.
„Mensch, Reico, das ist nicht dein ernst?“, meint er und stöhnt genervt auf.
„Doch, das musst du mir jetzt erklären! Was ist an Rayek denn angeblich verkehrt?“
Er verdreht gereizt die Augen und richtet sich ebenfalls auf.
„Mal davon abgesehen, dass er mürrisch und unfreundlich ist bis zum geht nicht mehr – er sieht aus wie ein Wrack.“
Meine Kinnlade klappt entsetzt nach unten. Ein Wrack?! Hat der sie noch alle? Rayek sieht verdammt sexy aus. Da kann Bernd nicht mithalten. Es kostet mich alle Kraft, den Zorn zu unterdrücken.
„Rayek sieht gut aus. Verdammt gut sogar!“, gebe ich so gelassen wie möglich zurück, obwohl ich ihn am liebsten anschreien würde. Er funkelt mich wütend an und ich weiche erschrocken zurück.
„Was genau findest du an dem Freak attraktiv? Sein Babyface? Die platte Stupsnase? Oder vielleicht seine vielen Ohrpiercings, die ihn aussehen lassen, wie einen übervollen Tannenbaum für Arme?!“
Ich schlucke. Das reicht. Nicht nur, dass er Rayek nicht zu beleidigen hat, anschreien lasse ich mich schon gar nicht. Der soll erst mal wieder runter kommen! Wortlos stehe ich auf und will mein Zimmer verlassen, doch er springt mir hinterher, greift nach meinem Arm und reißt mich brutal zu sich herum.
„Du lässt mich nicht einfach stehen!“, schreit er mich an und ich verziehe schmerzverzerrt das Gesicht, als er den Druck seines Griffes verstärkt.
„Au, du tust mir weh! Lass mich los und beruhig dich erstmal!“ Meine Stimme klingt schwach, als wäre sie kurz vorm Versagen. Fast wie meine Beine, die wie Gelatine zittern. Sein Blick legt sich wie ein Strick um meine Kehle. Ich habe das Gefühl, keine Luft zu bekommen. Meine Haut beginnt zu brennen, als ob tausend Messer gleichzeitig auf mich einstechen.
„Dann hör auf wegen dem kleinen Freak rumzuzicken!“
„Ich zicke nicht und Rayek ist kein Freak! Er sieht gut aus und hat das Herz am rechten Fleck. Du …“ Ich erstarre augenblicklich, als seine Hand in die Höhe schießt. Entsetzen erfüllt mich. Wie eine kochend heiße Woge wallt es in mir auf und strömt mir in den Kopf. Mit weit aufgerissenen Augen starre ich ihn an und erwarte eine Ohrfeige, doch er stoppt und lässt die Hand sinken, offensichtlich geschockt von seiner Reaktion.
„Reico, das … das tut mir leid“, stammelt er und endlich lockert er den Griff um meinen Arm. Er wirkt verstört und hilflos. Trotzdem bin ich nicht in der Lage mich zu rühren. In seinen Augen sammeln sich Tränen und er sinkt vor mir auf die Knie, vergräbt den Kopf in meinem Bauch und umklammert mich mit seinen Armen wie ein Ertrinkender.
„Es tut mir leid, so leid. Vergib mir. Ich hätte nicht … bitte, verzeih mir“, wimmert er, während ich langsam aus meiner Starre erwache. Vorsichtig sehe ich zu ihm herab und streiche ihm durch das Haar. Er beginnt mir leidzutun. Das ist dumm, doch ich kann es nicht verhindern.
„Bitte, du musst mir verzeihen … es tut mir so leid. Es kommt nie wieder vor.“
„Schon gut“, nuschle ich, auch wenn ich mich gar nicht danach fühle, aber ich kann nicht anders. Er erweckt Mitleid in mir und gleichzeitig habe ich Angst. Vor ihm. Davor, dass es ein andermal eskaliert. Vor Zweisamkeit und seinen massiven Annäherungen …
Ich beiße mir auf die Unterlippe, unterdrücke meine Tränen und schaue aus dem Fenster, während er weiterhin vor sich hin wimmert und sich an mich klammert. Der Nachthimmel hat einen dichten Vorhang aus Wolken vor die leuchtenden Sterne gezogen und lässt kein tröstendes Licht hindurch. Was bleibt, ist die Dunkelheit.