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ОглавлениеKapitel 2
Rayek:
Genervt schlängle ich mich durch die Menschenmassen, die mir wie lästige Hindernisse vorkommen. Warum muss der Weg so beschwerlich sein? Es sind zu viele Leute unterwegs für meinen Geschmack. Haben die denn nichts Besseres zu tun? Vielleicht war es keine gute Idee gewesen, noch in die Stadt zu gehen. Allerdings ist mein Lesestoff aufgebraucht. Ich könnte zwar meine Sammlung durchgehen und einige Manga nochmals lesen, doch momentan habe ich Lust auf was Neues. Der eine Band hat aufgehört, wo es am spannendsten wurde. Ich kann nicht länger warten, auch wenn ich mich dafür durch die Menschentraube kämpfen muss.
Während ich durch die Straßen hetze, halte ich meinen Kopf gesenkt. Ich möchte keinen Blickkontakt, möchte die Personen und Es nicht sehen. Es – das farbige Flimmern das sie umgibt wie eine hauchdünne Wolke. Ihre vermaledeite Aura. Es hat lange gedauert, bis ich kapiert habe, was die schimmernden Farben bedeuten. Als Kind konnte ich nicht verstehen, warum meine Eltern und alle anderen es nicht sahen. Da sie Angst bekamen, wenn ich davon zu sprechen begann, habe ich es bald sein lassen, es nicht mehr erwähnt und für mich behalten. Wozu die Leute aufregen? Ich wusste, was ich sah und brauchte keine Bestätigung.
Für einen kurzen Augenblick muss ich an meine Eltern und Kindheit zurückdenken. Ich war ein recht störrisches Kind. Zumindest glaube ich, mich soweit zu erinnern. Danach fragen kann ich niemanden, denn meine Eltern starben, als ich sechs Jahre alt war. Offiziell waren sie von einer Krankheit dahin gerafft worden, doch ich weiß es besser und kenne die Wahrheit.
„Au!“, ruft es neben mir empört und ich ziehe scharf die Luft ein, als ich beim Zusammenrempeln einen spitzen Schulterknochen gegen die Brust gerammt bekomme. Auch das noch. Ich hebe abwehrend die Arme, murmel ein „sorry“ und versuche, mich an ihm vorbeizuschlängeln, doch er hält mich am Arm fest. Gereizt rolle ich mit den Augen und drehe mich zu dem Typ um, dessen blonder Haarschopf mir fast entgegenzuspringen scheint. Ich rümpfe die Nase. Viele eitrige Pickel und schwarze Mitesser starren mich auffordernd an. Doch schlimmer als die unreine Haut ist seine Aura, die ihn unstet umgibt: ein intensives und dunkles Rot. Vorsichtig weiche ich zurück. Für gewöhnlich sind Besitzer solchen Auren mit Charakterschwächen wie Zorn, Hass, Aggressivität, Tyrannei und Nervosität behaftet. Zudem durchziehen graue und schwarze Punkte den Farbton. Kein angenehmer Zeitgenosse.
„Du kannst mich nicht einfach anrempeln und dann wortlos die Biege machen, Mann!“
„Ja, sorry. War keine Absicht“, erwidere ich tonlos und möchte mich aus seinem Griff winden, doch das Pickelgesicht lässt nicht locker.
„So einfach geht das nicht, Alter! Ich verlange eine ordentliche Entschuldigung!“, keift er mich an und spuckt dabei, sodass ich eine unfreiwillige Dusche erhalte. Langsam verliere ich die Geduld, die bei mir ohnehin nicht in großen Mengen vorhanden ist.
„Ist gut jetzt. Ich hab mich entschuldigt. Mehr bekommst du nicht. Du hättest genauso gut deine Froschglubscher aufhalten können und jetzt lass mich los“, fordere ich ihn aus zusammengekniffenen Augen auf. Für einen flüchtigen Moment fällt ihm die Kinnlade runter und bietet einen unappetitlichen Einblick in seine Mundhöhle. Doch anstatt mich loszulassen, verstärkt er den Griff, so dass ein ziehender Schmerz meinen Arm durchfährt. Passanten bleiben in unserer Nähe stehen und beginnen zu gaffen. Ich seufze. Das hatte ich befürchtet. Um mich herum bildet sich ein Farbenmeer verschiedener Auren gleich eines Tornados.
„Das reicht, Mann! Keiner redet so mit mir, du Freak!“, schreit er mich an und holt gleichzeitig mit der Faust aus. Immerhin fackelt er nicht lange. Jetzt ist zumindest sichergestellt, dass ich nicht angefangen habe. Die Mönche und Ausbilder werden nicht begeistert von der Auseinandersetzung sein, wenn sie davon erfahren. Und ich bin mir sicher, dass sie das werden.
Ich wehre seinen offensichtlichen und langsamen Schlag mit der freien Hand ab und drehe mich anschließend an ihn heran. Zwar wende ich ihm zur Folge den Rücken zu, allerdings macht das nichts, denn beim nächsten Atemzug ramme ich ihm meinen Ellenbogen in die Rippen und entreiße mich seinem Griff. Keuchend geht er zu Boden, ehe er kapiert, was mit ihm passiert ist.
„Ich hoffe, das reicht dir als Entschuldigung. Im Gegensatz dazu werde ich keine von dir verlangen“, meine ich und versuche, so schnell wie möglich den Schaulustigen zu entkommen, wobei ich den Blick wieder senke. Ich möchte sie nicht sehen, ihre Seelenfarben. Das ist lästig. Manche würden es wohl als Fähigkeit beschreiben, doch für mich ist es ein Fluch. Es ist, als würde ich in jeden hineinblicken wie in ein offenes Buch, ohne dass ich es möchte oder verhindern kann. Die meisten haben dermaßen viel Dreck an sich haften, dass es einfach nur belastend ist. Ich bin nicht an zwischenmenschlichen Beziehungen interessiert und schon gar nicht möchte ich von x-beliebigen Personen ihre Stärken und Schwächen kennenlernen. Das ist abstoßend.
Natürlich hätte ich mit den Priestern darüber reden können, doch wozu? Es bringt mir absolut keine Vorteile, dass ich diese Last mit mir rumtragen muss. Dämonen kann ich damit keine einfangen.
Ich atme erleichtert auf, als ich endlich mein Ziel erreiche, sich die Tür des Ladens automatisch öffnet und mir Einlass gewährt. Fast schon fluchtartig stürze ich rein und steuere zielstrebig den Mangabereich, an. Bei jedem weiteren Schritt spüre ich die Anspannung von mir abfallen und als ich die ersten Bände prüfend in die Hand nehme, habe ich den Vorfall bereits fast vergessen. Neugierig blättere ich mich von einem Exemplar zum nächsten und sortiere mir eine engere Auswahl. Ich habe mir vorsorglich eine Preisgrenze gesteckt, sodass ich nicht zu viel Geld ausgebe. Ein notwendiges Übel, wenn ich zum Manga shoppen unterwegs bin.
Ich habe mich fast entschieden, als ich bemerke, dass ich beobachtet werde. Ein unangenehmes Ziehen durchfährt meine Haut. Ich kann aus den Augenwinkeln erkennen, dass es sich um einen Typ handelt. Allerdings ignoriere ich ihn erstmal, denn ich habe gerade Wichtigeres zu tun. Mein Gefühl verrät mir, dass er ohnehin nicht mein Beuteschema ist. Dummerweise scheine ich dem Kerl zu lange zu brauchen, denn er pirscht auf mich zu und bleibt unmittelbar neben mir stehen. Ich ignoriere ihn weiterhin, doch er lässt nicht locker.
„Du liest wohl gern Yaoi“, kommentiert er meine Auswahl und deutet auf den sortierten Stapel.
„Sieht so aus“, gebe ich unbeeindruckt zurück und versuche, mich weiter auf den Band zu konzentrieren.
„Ich kann dem nichts abgewinnen. Die erotischen Bilder sind zwar ganz nett, aber an die Realität kommen sie nicht ran. Mir ist ein heißer Körper zum Anfassen lieber. Was meinst du?“
Okay, das war‘s. Meine Konzentration ist nun völlig hinüber. Ich schlage den Band zu und wende mich dem Unbekannten zu, der mich mit einem vielsagenden Grinsen mustert. Mein Blick schweift kurz über seine Statur, die man als schlaksig bezeichnen kann. Die Klamotten sind ihm ein bis zwei Nummern zu groß. Ein klotzig wirkendes Tribal ist auf seinem Hals tätowiert und passt so ganz und gar nicht zu ihm. Ich bin mir jedoch nicht sicher, ob es tatsächlich echt ist, denn er sieht nicht gerade wie einer der hartgesottenen Typen aus. Sein Gesicht wirkt von Sommersprossen besprenkelt. Das können auch seine blauen, kleinen Augen nicht wegmachen, die zu eng über der Hakennase kauern. Die Haare sind aschblond und mit Gel festgeklebt. Absolut das Gegenteil von meinem Beuteschema. Ich weiß, dass meine Ansprüche nicht gerade niedrig sind, doch warum soll ich mich mit weniger zufriedengeben, als ich haben kann?
Trotzdem, dass was mich am meisten von ihm abstößt, ist das unstetig flackernde dunkelbraun seiner Aura, womit mich mein Fluch wieder einholt.
„Kommt auf das Angebot an“, erwidere ich kühl und schnappe mir meinen Stapel Bücher, um damit zur Kasse zu gehen. Schnell springt er neben mir her. Sein dämliches Grinsen hat er noch immer nicht abgelegt.
„Und? Was sagt das Auge?“
„Kein Interesse.“
Aus den Augenwinkeln sehe ich, dass er auf der Stelle stehen bleibt und mir entgeistert hinterher starrt. Ich lasse ihn, wo er ist, und begebe mich zielstrebig zur Kasse.
„Hi, Rayek. Wieder Nachschub holen?“, begrüßt mich Liz am Tresen freundlich und ich nicke stumm. Sie fängt an, die Manga flink abzuscannen und als ich nach meinem Geld krame, beginnt sie amüsiert zu grienen.
„Hast du wieder ein Herz gebrochen? Böser Junge.“
„Ja, aber was heißt hier wieder?“ Ich reiche ihr einen Fünfzig Euro Schein und sie fischt mit schlanken Fingern nach dem Wechselgeld.
„Na, es gibt kaum jemand, den du bei dir landen lässt. Wie wär‘s, wenn du deine Ansprüche etwas runter schraubst? Es laufen nur selten muskulöse Sahnehäubchen mit Waschbrettbäuchen auf der Straße rum.“
„Und? Um mich zu befriedigen brauche ich nicht unbedingt 'nen Typ. Dafür habe ich zwei Hände und andere Hilfsmittel. Und den da“, ich nicke in Richtung des schlaksigen Blonden, der unbewegt da steht und zu uns rüber sieht, „den schenk ich dir sogar.“
Sie beginnt herzhaft zu lachen und steckt meinen Einkauf in eine Papiertüte.
„Ja, klar. Charmant wie eh und je.“
Ich nicke ihr kurz zu und verlasse dann meinen Lieblingsbuchladen. Liz arbeitet seit ungefähr fünf Jahren dort. Sie ist nicht viel älter als ich und in Ordnung. Eine der wenigen Personen, die ich für ein paar Minuten ertragen kann.
Gedankenverloren bahne ich mir den Weg zurück in meine Wohnung. Eine braune Aura … meine Mutter hatte dieselbe Farbe. Jedoch war ihre hell und strahlend gewesen. Mein Vater hatte hingegen eine Rosafarbene besessen. Beides schöne Nuancen.
Ich seufze und biege um die Ecke, als mein Handy in der Hosentasche vibriert. Etwas umständlich krame ich es hervor und werfe einen Blick drauf. Ich stutze. Was möchte Reico denn von mir? Hatte er heute nicht ein Date mit irgendeinem Typen, den er in der Disco kennengelernt hat? Das kann nur bedeuten, dass es ein Reinfall war. Keine Ahnung, warum er solche Probleme hat, einen halbwegs passablen Kerl zu finden. Wahrscheinlich zieht er einfach zu viele Idioten an. An Auswahl mangelt es ihm nicht. Allerdings scheint er Schwierigkeiten damit zu haben, die Saat von der Streu zu trennen. Diese Art Umstände ist mir fremd. Wenn ich jemand sehe, erkenne ich, ob es sich um eine potentielle Bettgelegenheit handelt oder nicht. Reico ist zu nett. Er kann nicht nein sagen. Eine dumme Angewohnheit und vor allen Dingen extrem anstrengend …
Kopfschüttelnd stecke ich mein Handy wieder ein, ohne die Nachricht gelesen zu haben. Sorry, Reico, aber du musst jetzt warten. Zuerst habe ich ein Date mit meinen neuen Mangas. Lächelnd schließe ich meine Wohnungstür auf und mache es mir auf der Couch gemütlich.