Читать книгу Im Licht des Mondes - A. Cayden - Страница 16
ОглавлениеKapitel 10
Rayek:
Es lässt mir keine Ruhe. Egal wie ich es versuche zu vergessen: Es funktioniert nicht. Der neue Buchhalter geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Ich fluche vor mich hin und schnappe mir dann entschlossen meine Jacke. Da hilft nur eins: Ich muss ihn noch einmal sehen und genauer unter die Lupe nehmen. Ich hatte heute Abend ohnehin nichts mehr vor und vielleicht finde ich womöglich etwas zum Lesen. Wie praktisch, dass die Geschäfte in der Innenstadt fast alle bis acht Uhr aufhaben. Voller Tatendrang mache ich mich auf den Weg. Dabei achte ich darauf, meine Mitmenschen nicht direkt anzusehen. Trotz dass die Straßen voll sind, komme ich ohne Probleme und Zwischenfälle zum Ziel. Angespannt bleibe ich vor der Buchhandlung stehen und starre durch das Schaufenster. Ich habe Glück. Herr von Moor hat Schicht und es dauert nicht lange, bis ich ihn ausfindig mache. Verbissen kneife ich meine Augen zusammen und konzentriere mich. Doch so sehr ich es auch versuche, und ich versuche es wirklich, es funktioniert einfach nicht. Nichts. Ich kann nichts sehen. Kein Farbenspiel. Nicht einmal den Hauch eines Schleiers. Ich seufze. Das ist unmöglich. Jeder Mensch besitzt eine Aura, sei sie noch so negativ. Ich probiere es ein weiteres Mal. Dann wieder und wieder. Das Ergebnis bleibt dasselbe: Ich kann keine Aura wahrnehmen. Ein frustrierter Fluch kämpft sich mühelos zwischen meinen Lippen hervor. Was ist nur los? Klappt es nicht mehr? Bin ich den Fluch etwa los?
Ich drehe mich zur Straße um und suche mir ein anderes Ziel. Ein paar Meter von mir entfernt lehnt ein Mann mittleren Alters an der Wand und liest Zigarettenrauchend eine Zeitung. Ich muss mich nicht konzentrieren. Nur ein paar Sekunden später springt mir seine Aura in einem penetranten Grün entgegen. Gier, Eifersucht, Lügen. Angewidert wende ich mich von ihm ab. Ich habe es noch immer. Vorsichtshalber schaue ich in die andere Richtung, wo eine Mutter ihr Kind achtlos im Buggy vor sich her schiebt und dabei verdrossen auf ihrem Handy herum tippt. Ein fades Blau umgibt sie, so schwach, dass es schwer wahrnehmbar ist. Im Gegenzug zu ihr erstrahlt das Baby in einem hellen Weiß. Noch, denn die Aura ändert sich bei Säuglingen relativ schnell, je älter sie werden desto unreiner wird ihr Farbenspiel. Nachdenklich wende ich mich wieder von ihnen ab. Bei anderen Menschen funktioniert das Aura-Lesen tadellos. Ich hole tief Luft und probiere es ein weiteres Mal. Der neue Angestellte sortiert gerade einen Stapel Bücher in die Regale ein. Ich warte einige Minuten und lasse ihn nicht aus den Augen, doch es tut sich nichts. Vor lauter Starren und Konzentrieren bekomme ich langsam Kopfweh. Wieso klappt es nicht? Liegt es an dem Schaufenster, das sich zwischen uns befindet? Das lässt sich ändern. Ohne zu zögern, betrete ich den Buchladen, gehe schnurstracks in die Reiseecke des Geschäfts, ziehe zur Tarnung eines der Bücher heraus und schlage es auf. Über den Buchrand hinweg schiele ich zu der Zielperson. Immer wieder versuche ich es, doch der Erfolg bleibt aus. Was stimmt mit mir nicht? Nein, was stimmt mit ihm nicht?! Wieso kann ich seine Aura nicht sehen? Er muss eine haben – jeder hat eine. Kann er sie verbergen? Wie macht er das? Ist er sich dessen bewusst? Sein Verhalten ist wie zuvor. Unfreundlich. Arrogant. Abweisend. Auch längeres Beobachten bringt mir keine zusätzlichen Erkenntnisse. Ich komme nicht weiter, egal wie sehr ich mich bemühe. Ich schließe kurz meine Lider. Es widerstrebt mir zwar, doch ich sollte ein andermal wiederkommen. Am besten, ich beschatte ihn. Mit dem Kerl stimmt eindeutig was nicht und ich werde herausfinden, was es ist. So viel ist sicher.
Ich lege das Buch achtlos beiseite und drehe mich um, um zu gehen.
„Hey, das ist aber nicht nett! Wenn du was rausnimmst zum Schauen, dann musst du es danach wieder zurücklegen, wenn du es nicht kaufst. So haben wir dich nicht erzogen!“
Ich verziehe etwas gequält das Gesicht. Die haben mir jetzt gerade noch gefehlt.
„Als ob! Ihr habt rein gar nichts mit meiner Erziehung zu tun.“
„Autsch, so gefühlskalt und charmant wie eh und jeh.“ Joy seufzt theatralisch auf und schüttelt den Kopf. Ihre Schwester schenkt mir einen ermahnenden Blick und stemmt ihre Hände in die Hüften.
„Hast du was anderes von ihm erwartet?“
„Also ich bin schon ein bisschen enttäuscht“, gesteht Joy und schüttelt bedauernd den Kopf. Ich schnaufe hörbar auf und setze zum Gehen an, doch Drew stellt sich mir entschlossen in den Weg.
„Wo willst du denn hin?“
„Ich wüsste nicht, was dich das angeht“, entgegne ich ungeduldig, „aber nach Möglichkeit endlich heim.“
„Dann räum gefälligst erst das Buch weg, das du nicht kaufst.“
Ich verdrehe genervt die Augen. Dass die Schwestern immer derart pingelig sein müssen. Allerdings habe ich keine Lust, hier noch länger zu verweilen. Wenn das so weitergeht, erregen sie die Aufmerksamkeit von dem unheimlichen Händler. Das muss nicht sein. Deshalb gebe ich nach, schnappe mir die verdammte Reiselektüre und schiebe sie zurück ins Regal.
„Zufrieden?“, frage ich Drew gereizt, ohne eine Antwort zu erwarten. Ich schiele kurz zu Herr von Moor und bin erleichtert, dass er nicht auf uns aufmerksam geworden ist und weiterhin seiner Arbeit nachgeht. Abermals unternehme ich einen Versuch, das Geschäft zu verlassen, doch Joy setzt mir hinterher.
„Hey, hey, Brüderchen, wo willst du denn hin?“
„Das sagte ich bereits.“
„Ja … aber warum so eilig?“
Muss ich darauf antworten? Wahrscheinlich, sonst werde ich sie wohl nie los.
„Mmh … ich habe Hunger“, gebe ich zurück. Etwas Besseres fiel mir auf die Schnelle nicht ein. Sie klatscht erfreut in die Hände. In dem Moment wird mir klar, dass meine Antwort die Falsche war.
„Das ist prima! Drew und ich haben auch noch nichts gegessen. Dann könnten wir doch gemeinsam essen gehen! Auf was hast du Lust? Italienisch? Chinesisch? Wir sind bei allem dabei, nicht wahr, Drew?“
Ihre Schwester schaut genauso entgeistert drein wie ich, doch wir können es nicht ändern. Wenn sich Joy erst einmal etwas in den Kopf gesetzt hat, dann ist sie nicht leicht davon abzubringen. Ich seufze und ergebe mich meinem Schicksal. Mir ist heute nicht nach diskutieren zumute. Der Misserfolg beim Lesen der Aura des unheimlichen Angestellten hängt mir nach. Ich hasse Dinge, die ich mir nicht erklären kann.
„Okay, dann lasst uns zum Italiener gehen.“
***
Nachdenklich stochere ich in meinen Nudeln herum. Der Typ geht mir einfach nicht mehr aus dem Kopf. Es nervt, dass ich fürs erste nur warten und beobachten kann. Geduld war noch nie meine Stärke.
„Du liebe Güte, heute bist du aber besonders schlecht drauf. Ist irgendetwas vorgefallen?“
Ich sehe auf und in Joys aufmunternd lächelndes Gesicht. Die Anwesenheit der Schwestern hatte ich tatsächlich für einige Minuten vergessen.
„Wahrscheinlich gab es mal wieder Ärger für unkollegiales Verhalten.“
„Drew!“
„Ist doch wahr. Wenn es etwas gibt, an dem er unbedingt arbeiten muss, dann ist es das.“
Ich lasse die beiden diskutieren und schiebe mir eine Gabel Nudeln in den Mund. Sollen sie doch reden. Dass ich Probleme in Sachen Teamarbeit habe, weiß ich selbst. Abgesehen davon ist es mir herzlich egal, was man von mir denkt.
„Aber Rayek kann mit anderen zusammenarbeiten! Reico zum Beispiel.“
Drew lacht hämisch auf. „Ja, das ist aber auch der einzige.“
„Nicht wahr. Da gibt es mittlerweile bestimmt noch andere, nicht wahr, Rayek?“
Sie sieht mich bittend und hoffnungsvoll an. Was will sie von mir hören? Ich zucke mit den Schultern und nehme einen großen Schluck von meiner Cola.
„Wozu ist das nötig? Es ist doch klar, dass Reico mein Partner wird.“
Joys Mundwinkel sinken enttäuscht nach unten und Drew schüttelt abermals den Kopf.
„Normalerweise ist das eben nicht klar. Die Mönche beobachten euch und eure Fortschritte während der gesamten Ausbildung. Erst nach der erfolgreichen Ablegung der Prüfung wird vom Rat festgelegt, wer als Partner aufgestellt wird“, korrigiert mich Drew. Ihr Tonfall ist scharf und ihre Miene ernst, als würde sie ein kleines, ungelehriges Kind tadeln.
„Das weiß ich selbst, aber einen anderen Partner als Reico akzeptiere ich nicht“, antworte ich gelassen und ich meine es durchaus ernst. Das hat nichts mit Arroganz oder Überheblichkeit zu tun. Ich harmoniere nicht mit anderen. Reico ist eine Ausnahme – jemand Besonderes. Entweder mit ihm, allein oder gar nicht.
Joy lacht verlegen auf, während Drew verärgert das Gesicht verzieht.
„Genau das ist es. Du hast das nicht zu entscheiden! Was wäre, wenn die Mönche dir jemand anderes zuteilen oder wahrscheinlicher: du die Ausbildung und Prüfung nicht bestehst, weil du mit anderen nicht kompatibel bist?“
„Dann muss ich mir eben was anderes suchen“, gebe ich gleichgültig zurück und spiele mit den Resten meines Abendessens.
Joys Kinnlade klappt entsetzt nach unten und Drew schnalzt wütend mit der Zunge. Verständnislos schaue ich von einer zur anderen und warte auf eine Erklärung.
„Du würdest einfach so deine Ausbildung als Anwärter des Lichts hinschmeißen?“, fragt mich Joy fassungslos, während ihre Schwester meinem Blick ausweicht.
„Hinschmeißen trifft es nicht ganz …“
„Aber du würdest lieber aufgeben, als mit jemand anderem zusammenzuarbeiten.“
„Ja, ich denke schon.“
Für eine Zeitlang herrscht betretenes Schweigen. Ich grüble über die Situation nach. Klar, für die Top-Elite der Anwärter ergeben meine Worte keinen Sinn. Wahrscheinlich nehmen sie sie sogar als Beleidigung und Angriff wahr.
„Sag mal, Rayek, du magst Menschen nicht besonders, oder?“, unterbricht Drew die drückende Stille. Was soll die Frage? Ich ziehe misstrauisch eine Braue nach oben.
„Nein, nicht wirklich.“
„Und was hältst du von Dämonen?“
Was soll ich darauf antworten? Versucht sie, mich zu provozieren? Aus der Reserve zu locken? Ich blicke sie lauernd an und auch Joys Augen ruhen nervös auf ihrer Schwester. Die sieht ernst drein und wartet auf eine Antwort.
„Was soll ich von ihnen halten? Sie sind unsere Gegner und wir vernichten sie.“
Meine Aussage scheint ihr nicht zu reichen. Sie schlägt ihre Beine übereinander und beugt sich leicht über den Tisch.
„Ja, aber was denkst du über sie? Was empfindest du dabei?“
Ich ziehe meine Stirn in Falten. Empfinden?
„Fühlst du dich gut bei dem Gedanken, die Welt um ein paar Dämonen zu erleichtern? Menschenleben zu retten? Den Kampf gegen das Böse anzutreten?“, hakt sie verdrossen nach und trommelt mit den Fingerspitzen auf dem Tisch.
„Was ist schon gut und was böse? Die Dämonen tun auch nur ihre Arbeit, zumindest die, die wir jagen. Sie sind nichts weiter, als die kleinen Handlanger der Dämonenfürsten und –Könige.“
Drews Hand schlägt mit einem lauten Knall auf den Tisch auf. Sie funkelt mich erzürnt an und es wirkt fast so, als würde sie mir jeden Moment an die Kehle springen.
„Wie bitte?!“
„Drew, bitte beruhige dich. Bestimmt meint er es anders und hat sich etwas ungünstig ausgedrückt“, versucht Joy, sie zu beschwichtigen.
„Doch, habe ich. Sie werden zum größten Teil in ihre Rolle hineingeboren, oder etwa nicht? Sie befolgen Anweisungen, genau wie wir. Sie töten Menschen, wir töten sie und die Menschen töten die Natur und sich gegenseitig. Wer von uns ist nun schlechter oder besser? Die Dämonen und wir, die Anwärter und zukünftigen Anwärter des Lichts, tun nur, was man uns aufträgt. Sie und wir sind Werkzeuge für den Glauben anderer.“
„Dämonen töten Menschen im Schlaf! Sie sind von Grund auf schlecht und böse!“, keift Drew und ich zucke mit den Schultern.
„Und? Menschen tun das auch. Dazu kommen Verbrechen wie Vergewaltigen, Folter und etliche weitere Delikte. Wo bitte schön, sind die Menschen besser als Dämonen?“
Entsetzt stieren mich die Zwillinge an. Ich glaube sogar, in Joys Augen Tränen entdecken zu können. Ich spiele kurz mit meiner Zunge am Lippenpiercing und warte, bis sie sich wieder fassen.
„Das ist es, was ich meine. Abgesehen davon, dass ich deine Antwort katastrophal finde“, blafft mich Drew an. „Ein Anwärter möchte den Menschen helfen, weil er sie liebt und an das Gute in jedem einzelnen von ihnen glaubt, aber du … Was ist deine Motivation? Was treibt dich an? Warum möchtest du ausgerechnet ein Anwärter des Lichts werden?“
„Weil es meine Bestimmung ist.“
„Deine Bestimmung?“, wiederholt Drew ungläubig und ihre Schwester schaut verwirrt drein.
„Ja.“
„Nun … wie auch immer. Was ich damit sagen möchte: um die Prüfung zu bestehen und den Beruf auszuüben fehlt dir etwas ganz entscheidendes: die Liebe zu deinen Mitmenschen. Klar besitzt du gute Fähigkeiten und deine Noten plus Leistungen sind herausragend, doch das allein reicht nicht aus. Du brauchst die Leidenschaft, das Feuer, den Eifer, den Dämonen ein für alle Mal zum Wohl der Menschheit den Garaus zu machen!“
Ich zucke mit den Schultern. Zwar verstehe ich ihre Einstellung, teilen kann ich sie jedoch nicht.
„Ich werde tun, was nötig ist.“
„Es ist aussichtslos!“ Drew seufzt und lässt sich in das Polster ihres Sitzes zurückfallen. Joy lacht unbeholfen auf. Der Rest des Essens verläuft in einvernehmlichem Schweigen.